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Michel Houellebecq: "Vernichten"
Kein Leben ohne Glauben, Liebe und Literatur

"Vernichten" ist ein melancholischer Roman. Michel Houellebecq überrascht mit einem Plädoyer für die Institution der Ehe und festigt den Glauben an die Kraft der erzählenden Literatur.

Von Sigrid Brinkmann | 16.01.2022
Michel Houellebecq: "Vernichten"
Michel Houellebecq zeigt in seinem Roman "Vernichten" Mitgefühl für die Schwachen und Versehrten. (Foto: Philippe Matsas/ Flammarion, Buchcover: DuMont Verlag)
Dass das Abendland sich seit dem Ersten Weltkrieg im Niedergang befindet und geistige Energien fehlen, um die Erosion komplexer, demokratisch verfasster Gesellschaften aufzuhalten, das sind Grundüberzeugungen des Pessimisten Michel Houellebecq. Sie bilden das Fundament seiner erzählerischen und essayistischen Zeitgeistanalysen. Der neue Roman „Vernichten“ spielt im Jahr 2027 – in den Monaten vor und nach einer Präsidentschaftswahl –, doch liest er sich wie eine Beschreibung der Kräfteverhältnisse im Wahljahr 2022. Bleibt also alles auf ewig beim Alten? Ist die Zukunft schon vernichtet?
In den französischen Medien erschienen am 7. Januar erste Rezensionen. Begeisterung und Kritik halten sich bislang die Waage. Johan Faerber, Chefredakteur des renommierten Magazins Diakritik, verriss „Anéantir“ im Sender France Culture. “Vernichten“ präsentiere sich als großer Roman, sei aber lediglich ein dickes Werk.
„Houellebecq entblößt sich. Dieses völlig uninteressante Buch ist die Verkörperung des Nichts.“
Marie Sorbier, Redakteurin der I/O Gazette, misst ihre Enttäuschung an früheren Leseerlebnissen:
„Ich weiß nicht, ob er oder seine Leserschaft sich verändert haben, aber etwas ist anders. Die vorigen Romane habe ich mit Vergnügen gelesen, manchmal sogar etwas schuldbewusst, weil ich so viel gelacht habe. Es gab ziemlich geniale "Pointen" über die Ehe und die Gesellschaft im Allgemeinen. Jetzt habe ich 730 Seiten lang mit Pseudofiguren gelebt, und ich bin einfach nur gelangweilt. Ich kann mich nicht mal aufregen. „Vernichten“ ist einfach nur ein flacher Roman.“ 

Kalkulierte Langeweile

Vielleicht besteht die Provokation ja darin, die Stammleserschaft, zu der auch die Presse zählt, zur Abwechslung mal nicht mehr mit ätzender Satire zu bedienen. Michel Houellebecq treibt ein Spiel mit Enttäuschung und kalkulierter Langeweile. Es gibt drei Erzählstränge in diesem Roman. Der Inlandsgeheimdienst reagiert hilflos auf Deep Fake Videos und kryptische Filmbotschaften von Cyberterroristen. Darin werden eine dänische Samenbank und chinesische Frachter zerstört, ein Boot mit Flüchtlingen torpediert und der amtierende französische Wirtschaftsminister in einer bedrückend echt wirkenden Montage zum Schein hingerichtet. Houellebecq lässt die Suche nach den Urhebern irgendwann sang- und klanglos abreißen.
In einem zweiten Tableau führt er vor, wie der innere Kreis der Macht mithilfe einer ausgebufften Medienstrategin die Wahlkampfauftritte eines französischen Präsidentschaftskandidaten orchestriert und die Öffentlichkeit manipuliert. Alles bleibt äußerst vorhersehbar. Der dritte Strang handelt von der Ehe und vom Sterben des 50 Jahre alten Protagonisten Paul Raison. Den Tod ins Zentrum des Romans zu rücken, hält Johan Faerber von Diakritik letztlich für einen billigen Trick.
„Man muss der Weise misstrauen, wie Houellebecq sein Image instrumentalisiert. Er nutzt die Metaphysik, das Alter und den Tod lediglich als Erzählmethode. Es dient dem „storytelling“, und er baut sich als großer Schriftsteller auf. Das Warten auf den Tod erzeugt Gedanken und ein Selbstbild, das im Vergleich mit gewöhnlichen Sterblichen überhöht ist. Dieses dicke Buch perpetuiert den Mythos des großen Schriftstellers, und die begeisterten Pressereaktionen zeigen ja, dass es funktioniert.“
Dass Michel Houellebecq die Tugend des Mitgefühls zum bestimmenden Thema macht, überrascht. Und auch, wie müde er die Winkelzüge seiner Figuren betrachtet. Einige werden mit Klarnamen genannt, andere sind leicht zu identifizieren. Emmanuel Macron natürlich oder Finanzminister Bruno Le Maire – im realen Leben ein Freund des Autors, im Roman ein verschwiegener, arbeitsamer, brillanter Minister.
Houellebecq spielt ein bisschen mit dem Genre des Politthrillers und dem des Spionageromans, aber letztlich interessieren ihn die Intrigen, die er konstruiert, nicht wirklich. Er pfeift auf Kohärenz. Den Vorwurf, dass er nur zynisch auf die Herausforderungen der Gegenwart und eines Miteinanders in der Zukunft reagiere, hat Michel Houellebecq oft gehört. Leise entgegnet er ein ums andere Mal, dass er sich in keiner Weise als Zyniker empfinde.
D’abord je ne me trouve pas cynique du tout. Je pense que c’est faux.“

Gläubige sind glücklichere Menschen

Tatsächlich liest sich das über 600 Seiten lange Epos wie ein Plädoyer für die Institution der Ehe und den Schutz der Alten und Versehrten, mithin für mehr Mitempfinden und Hingabe. Auch für mehr Toleranz gegenüber Menschen mit ausgeprägten spirituellen Bedürfnissen. Tiefgläubige sind in der Fiktion die glücklicheren Menschen und – verglichen mit den Hauptakteuren - weniger farblos. Paul Raison geht als Finanzinspektor im Wirtschaftsministerium ein und aus, seine Ehefrau Prudence ist Schatzmeisterin und ebenfalls im Staatsdienst.
„Im Hinblick auf die Besteuerung von Kapitalgewinnen waren sie sich auf Anhieb einig gewesen, und sie waren beide so wenig in der Lage, auf eine gewinnende Weise zu lächeln, behände über verschiedene Themen zu sprechen, in einem Wort: zu verführen, dass es wohl diese Einigkeit war, die das Entstehen ihrer Romanze im Laufe jener endlosen Sitzungen ermöglicht hatte, die von der Abteilung für Steuerrecht spätabends einberufen worden waren.“
Abgeklärter lässt sich der Beginn einer Liaison kaum resümieren. Paul und Prudence haben keine Kinder, kaum Freunde und seit 10 Jahren keinen Sex mehr. Dennoch halten beide passiv an der Ehe fest. Prudence frequentiert in ihrer Freizeit neopaganistische Kreise. Paul neigt als Agnostiker zu philosophischer Lektüre.
„Er hatte die Welt stets als einen Ort betrachtet, an den er nicht gehörte, ohne dass er es jedoch eilig gehabt hätte, ihn zu verlassen, weil er schlichtweg keinen anderen kannte. Vielleicht wäre er besser ein Baum gewesen, zur Not auch eine Schildkröte, in jedem Fall etwas weniger Ruheloses als ein Mensch, mit einer Existenz, die weniger Schwankungen unterlag. Keiner der Philosophen schien eine derartige Lösung in Erwägung zu ziehen, sie schienen sich im Gegenteil alle darin einig zu sein, dass man die Natur des Menschen ‚mit all ihren Beschränkungen und Großartigkeiten‘ akzeptieren müsse, wie er einmal in einer humanistisch ausgerichteten Veröffentlichung gelesen hatte; manche äußerten sogar den abstoßenden Gedanken, darin eine bestimmte Form von Würde zu sehen.“

Geträumter und realer Horror

Nüchtern, aber angewidert kanzelt Michel Houellebecq die Neigung der Menschen zur Selbsterhöhung ab. Und rekurriert dabei gern auf geschichtsphilosophische Notizen von Raymond Aron. Er zitiert Alfred de Musset, Paul Claudel und Balzac, lieber noch die Philosophen Pascal und Epikur. Houellebecq verdammt den Rousseausimus vehement und räsonniert über das faschistische Potential der Tiefenökologie. Es kümmert ihn nicht, dass die philosophisch-literarischen Einschübe den Fluss der Romanhandlung hemmen. Auch die Albträume seines Helden nimmt er sehr ernst.
„Der dunkelhäutige Mann erhob sich, zerrte den Greis mit Gewalt zur Tür, betätigte dann den Öffnungsmechanismus und stieß den Greis in die Tiefe. Danach beugte er sich einen Moment lang hinunter, um zu beobachten, wie der Körper zerschmettert und zerstückelt wurde und welche Muster das verspritzte Blut auf dem trockenen Boden bildete. Dann setzte er sich wieder und die Reise wurde fortgesetzt.“
Am 7.Januar 2015 töteten Islamisten zwölf Menschen in den Büroräumen der Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Die Redaktionsmitglieder diskutierten über Michel Houellebecqs am selben Tag publizierten Roman „Unterwerfung“ und das Charlie-Hebdo-Cover, das den Autor als zahnlose Kassandra karikierte. Houllebecq erhielt Morddrohungen und bewegte sich zwei Jahre lang nur mit Polizeischutz in der Öffentlichkeit.
Mehrfach erwähnt er in „Vernichten“ den von sieben Kugeln getroffenen Journalisten Philippe Lançon, der das Massaker schwerverletzt überlebte und siebzehn Gesichtsoperationen ertragen musste. Lançon hatte „Unterwerfung“ rezensiert und den Text in seiner Tasche, als das Attentat passierte. In seinem autobiographischen Buch „Der Fetzen“ finden sich eingestreute Notizen zu Houellebecqs Literatur.
„Den Houellebecq’schen Protagonisten folgte ich wie Losern, die ihre Supermarktwagen mit Sonderangeboten füllten, um ihre Beute draußen auf dem Parkplatz in nüchtern-prophetische Zeichen des menschlichen Elends zu verwandeln.“

Protest gegen aktive Sterbehilfe

Philippe Lançon brachte nach dem Massaker mehr als ein Jahr im Krankenhaus zu. In „Der Fetzen“ verneigt er sich vor dem Pflegepersonal und dem Können der Chirurgen. Bei Houellebecq sind Hospitäler Orte, an denen mehr oder weniger offen Euthanasie praktiziert wird. Die Frage, ob die aktive Sterbehilfe als Mord zu werten sei und wie sehr sie eine Gesellschaft langfristig verändert, geht er frontal an. Offensiv attackiert er das utilitaristische Denken in Krankenhäusern. Der durch einen Schlaganfall gelähmte, nicht mehr sprechfähige Vater des Romanprotagonisten braucht Intensivpflege.
„Er befand sich in einem Zustand, den die Ärzte früher als ‚vegetativ‘ bezeichnet hatten, doch die meisten von ihnen lehnten den Begriff heute ab, weil sie fürchteten, dass er an die gängige Metapher erinnern könnte, die ihre Patienten mit Gemüse gleichsetzte, und dass es sich dabei nur um einen semantischen Trick handelte, um ihre Euthanasie im Voraus zu rechtfertigen.“
Der Autor positioniert sich deutlich an der Seite der Wehrlosen und echauffiert sich darüber, dass in den westlichen Gesellschaften das Leben eines Kindes mehr wert sei als das eines gebrechlichen, verbrauchten Menschen.
„Alles, was wir erreicht haben, unsere Errungenschaften, unser Schaffen, all das hat in den Augen der Welt – und dann sehr bald auch in unseren eigenen Augen – keinen Wert. So entziehen wir dem Leben jeden Ansporn und jeden Sinn; genau das ist es, was man als Nihilismus bezeichnet. Die Vergangenheit und die Gegenwart zugunsten der Zukunft abzuwerten, das Reale zugunsten einer in einer unbestimmten Zukunft verorteten Virtualität abzuwerten, das sind weitaus entscheidendere Symptome des europäischen Nihilismus.“
Houellebecs Romanfiguren entpuppen sich als resolute Lebensschützer. Mithilfe eines „Kommandos zur Bekämpfung von Mord in Krankenhäusern“ entführen sie den paralysierten Schlaganfallpatienten. Einst ein bewunderter Stratege des Inlandgeheimdienstes, verbringt er nun seine Tage damit, in die Landschaft zu schauen und die Hand seiner Lebensgefährtin oder der Tochter zu halten. Im Houllebecqschen Kosmos umsorgen Frauen ihre Partner, Väter und Brüder liebevoll. Nutten gehören selbstverständlich immer noch zum Romanpersonal, aber zum Sex kommt es mit keiner. Der große Ruhepol in dieser Erzählung, in der richtig lebt, wer klaglos zu sterben weiß, ist Pauls Schwester Cécile, eine glühende Katholikin.
Er wusste wirklich nicht, woher sie das hatte, diesen Hang zum Mystizismus, es war der einzige Fall in der Familie. Sie hatte einen von ihrem Schlag geheiratet, der scheinbar etwas besonnener war – als Provinznotar ist man grundsätzlich besonnen, gewiss war es das, worin sich die meisten bei ihm täuschten, denn in Wahrheit merkte man ihm, wenn man sich zwei oder drei Minuten mit ihm unterhalten hatte, eine gewisse Inbrunst an, es kam einem vor, als hätte er ohne zu Zögern sein Leben für Jesus oder für einen vergleichbaren Zweck geopfert. Er mochte die beiden, er fand, sie waren ein schönes Paar (…)“
2019 erzählte Michel Houellebecq vor Publikum, dass er in einer nichtreligiösen Familie aufwuchs. Augenfällig war für ihn, wie wenig seine Angehörigen mit dem Tod umzugehen wussten. 
„Ich werde langsam alt, ich war schon auf vielen Beerdigungen. Tatsächlich bringt nur die Religion einen Diskurs hervor, der von Bedeutung ist. Der Tod des Anderen wird geleugnet, weil er schlicht nicht hinnehmbar ist – anders als der eigene Tod. Epikurs berühmte Argumentation besänftigt mich sofort. Er sagt: "Wir brauchen den Tod nicht zu fürchten, denn wenn wir sind, ist der Tod nicht, und wenn der Tod ist, sind wir nicht". Das ist eine nichtreligiöse Argumentation. Für den Tod des Anderen gilt sie nicht.“

Plädoyer für ehelichen Sex und Mitgefühl

Frömmelei ist Houellebecq grundfremd. Hier und da bürstet er das christliche Weltbild gegen den Strich. Sein größter Einwand: Es sei nur „für starke Menschen mit einem starken Willen“ geschaffen. Die, die „weniger an der Welt teilhaben als ihr vielmehr entkommen wollen“, greifen in seiner Fiktion zum Strick. Der im Getriebe eines Ministeriums verwurzelte und doch sonderbar weltentrückte Agnostiker Paul schenkt sich zur Gemütsaufhellung exquisiten Wein und Whiskey ein – was einen Gastro-Kritiker des Figaro zu der läppischen Behauptung verleitete, man müsse die Spirituosen in „Vernichten“ wie eigenständige Figuren betrachten. Echte Freude empfindet der matte Held nur, wenn er sexuelles Begehren verspürt. Eine lustvolle Erinnerung kann helfen, schwierige Momente zu überstehen.
„Er erinnerte sich an jede seiner sexuellen Begegnungen, selbst an die kürzesten, selbst an einen Blowjob auf der Toilette einer Diskothek (…) ihr Gesicht, ihren Mund, die Art und Weise, wie sie sich hingekniet hatte, all das sah er glasklar vor sich, wenn er die Augen schloss, konnte er sich sogar an die Bewegungen ihrer Zunge erinnern. Im Gegensatz dazu erinnerte er sich an niemanden, den er in seiner Jugend einen Freund hätte nennen können, von Lehrern ganz zu schweigen, er erinnerte sich an keinen einzigen.“
Innerlich kaum verbunden mit anderen Menschen, auf die Partnerin fixiert und emotional abhängig von ihr – so sind die Männer in Houellebecqs Fiktion. Eine unglückliche Ehe aufzulösen, dazu sind sie nicht imstande. Neu ist, dass ein Protagonist geduldig auf Befriedigung wartet. In „Vernichten“ gibt es nur ehelichen Sex. Nur der hilft, sich weiter lebendig zu fühlen. Denn ja, schlussendlich lässt der Autor „die Falle zuschnappen“. Paul Raison erwartet die „Vernichtung“.
„Ein Leben ist niemals schön, wenn man sein Ende betrachtet, wie Pascal es mit der für ihn typischen Brutalität formuliert hatte. ‚Der letzte Akt ist immer blutig, so schön unter anderem die Komödie gewesen sein mag. Zum Schluss schüttet man ein bisschen Erde auf uns, und alles ist für immer beendet.‘ Die Welt erschien ihm mit einem Mal begrenzt und zugleich traurig, geradezu unendlich traurig.
Wie der untröstliche Protagonist schließlich einwilligt, sein nahendes Ende inmitten einer „stummen Gemeinschaft von Unheilbaren“ zu akzeptieren, schildert Houellebecq auf berührende Weise. Je mehr dem Romanhelden die Worte ausgehen, desto stärker verlangt es ihn nach Literatur.

Vom Segen der erzählenden Literatur

„In seinem Bücherregal fand er problemlos den kompletten Sherlock Holmes in einer zweibändigen Ausgabe der Buchreihe Bouquins, war aber am nächsten Nachmittag doch überrascht, wie schnell es ihm gelang, sich von seiner eigenen Existenz zu lösen (…) Nicht einmal der Philosophie hätte das gelingen können, ebenso wenig wie der Poesie, denn auch die Poesie war nicht für Sterbende gemacht; es bedurfte unbedingt eines fiktionalen erzählerischen Werks; es mussten Geschichten anderer Leben als seines eigenen erzählt werden. Und im Grunde genommen, so dachte er, mussten diese anderen Leben nicht einmal fesselnd sein, es war nicht einmal die außergewöhnliche Vorstellungskraft und Erzählkunst eines Arthur Conan Doyle vonnöten, die erzählten Leben hätten ohne Weiteres ebenso trist, ebenso uninteressant sein können wie sein eigenes; sie mussten einfach nur anders sein.“
Unverständlich bleibt, warum Houellebecq Momente der Wärme durch seitenlanges Referieren von onkologischen Therapiekonzepten ruiniert. Als traute er sich nicht, noch genauer über das Ausgehen der Worte, über die Wünsche oder die Wunschlosigkeit in den letzten Wochen und Tagen im Leben eines Menschen zu schreiben; als schreckten ihn existenzielle Krisen.  „Vernichten“ ist ein melancholischer Roman und sicherlich auch das Buch eines Melancholikers – der zu viel wollte. Es ist thematisch überladen und zerdehnt. Die Erzählstränge bleiben unverbunden. Dass der omnipräsente Paul Raison „die Realität“ nur „mit ängstlichem Unverständnis durchschritten“ hatte, erklärt dies nicht. Für Michel Houellebecq hat eine Fiktion ihren Sinn erfüllt, wenn am Ende niemand mehr etwas zu erwarten hat – wenn nur noch, wie er sagt,  „übrigbleibt, was der reinen Wahrnehmung ähnelt“. Mehr Kontemplation zu wagen, hätte sich gelohnt.
„Der riesige Wald, der sich vor ihnen ausdehnte, lag nicht einfach nur unbewegt da, eine leichte Brise wiegte die Blätter hin und her, und diese sehr sanfte Bewegung war noch beruhigender, als es die vollkommene Regungslosigkeit gewesen wäre, ein ruhiger Atem schien den Wald mit Leben zu füllen (…) Er beschwor nicht die Ewigkeit herauf, darum ging es nicht, doch wenn man sich in seiner Betrachtung verlor, schien der Tod an Bedeutung zu verlieren.“
Michel Houellebecq: „Vernichten“, Roman
Aus dem Französischen von Stephan Kleiner und Bernd Wilczek
Dumont Verlag, Köln. 620 Seiten. 28 Euro.