Hoher Krankenstand
Kein Lohn mehr am ersten Krankheitstag - Wirtschaftsexperten für Karenztag gegen "Blaumachen"

Arbeitnehmer sollen nach Ansichten von Wirtschaftsvertretern und Ökonomen in den ersten Tagen einer Krankheit künftig keinen Lohn mehr erhalten. Der Chef des Versicherungskonzerns Allianz, Bäte, spricht sich angesichts des hohen Krankenstands in Deutschland dafür aus, den Karenztag bei Krankmeldungen wieder einzuführen. Damit würden Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen, sagte er dem Handelsblatt.

    Der Vorstandsvorsitzende der Allianz SE, Oliver Bäte, lächelt am 03.05.2017 in München (Bayern) vor Beginn der Hauptversammlung des Versicherungskonzerns.
    Auch der Vorstandsvorsitzende der Allianz SE, Oliver Bäte, drängt auf die Einführung von Karenztagen im Krankheitsfall. (Alexander Heinl/dpa)
    Arbeitnehmer in Deutschland seien im Schnitt 20 Tage pro Jahr krank, während der EU-Schnitt bei acht Krankheitstagen liege. Deutschland sei mittlerweile "Weltmeister" bei den Krankmeldungen. Das erhöhe die Kosten im System.
    Arbeitgeber in Deutschland zahlten pro Jahr 77 Milliarden Euro Gehälter für kranke Beschäftigte. Von den Krankenkassen kämen weitere 19 Milliarden Euro. Das entspreche rund sechs Prozent der gesamten Sozialausgaben; EU-weit liege der Durchschnitt bei etwa 3,5 Prozent.

    Auch Ökonomen sprechen sich für Karenztage aus

    Für die Wiedereinführung von Karenztagen hatte sich kürzlich auch die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer ausgesprochen. Der Ökonom Nicolas Ziebarth vom Mannheimer Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sagte jüngst der "Welt am Sonntag", mit einer abgesenkten Lohnfortzahlung werde es weniger Menschen geben, die sich krankmeldeten, obwohl sie nicht krank seien - "also blaumachen".
    Der Karenztag war in den 70er Jahren abgeschafft worden. Es gibt ihn derzeit in Schweden, Spanien oder Griechenland.

    DGB widerspricht: Zu viele Menschen arbeiten trotz Krankheit

    Der DGB nannte dien Vorschläge "zutiefst ungerecht". Vorstandsmitglied Piel meinte, immer mehr Menschen würden trotz Krankheit arbeiten. Präsentismus, also krank bei der Arbeit zu erscheinen, sei branchenübergreifend weit verbreitet. Präsentismus schade aber nicht nur der eigenen Gesundheit, sondern führe auch zur Ansteckung von Kollegen. Die wirtschaftlichen Folgekosten seien etwa doppelt so hoch wie die Kosten krankheitsbedingter Fehlzeiten.
    Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sei ein soziales Schutzrecht, das ab dem ersten Krankheitstag gelte, betonte Piel. Nur so sei gewährleistet, dass kranke und erholungsbedürftige Beschäftigte tatsächlich gesund werden könnten.

    IG Metall: Unverschämt und fatal, den Beschäftigten Krankmacherei zu unterstellen

    Die IG Metall bezeichnete es als unverschämt und fatal, den Beschäftigten Krankmacherei zu unterstellen. Wer Karenztage aus der Mottenkiste hole, greife die soziale Sicherheit an und fördere verschleppte Krankheiten, sagte Vorstandsmitglied Urban. "Die deutsche Wirtschaft gesundet nicht mit kranken Beschäftigten, sondern im Gegenteil mit besseren Arbeitsbedingungen."

    Unionspolitiker offen für "neue Ideen" im Kampf gegen hohen Krankenstand

    Unions-Fraktionsvize Müller (CDU) äußerte Bereitschaft für die Idee, dass Arbeitnehmer am ersten Krankheitstag keinen Lohn erhalten. Die Sozialsysteme würden immer weiter beansprucht, sagte er dem Nachrichtenportal "Politico". Auch wenn das Thema der Karenztage sich nicht in unserem Wahlprogramm finde, könne dies ein altbewährter Ansatz sein. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Sorge, sagte derweil: "Nur die allerwenigsten Menschen melden sich aus Spaß krank." Sorge forderte einen "Krankenstands-Gipfel", um mit den beteiligten Akteuren über die Lage zu beraten.