Debatte über Karenztag
DAK-Analyse sieht Ursache für hohen Krankenstand nicht im "Blaumachen" - Warnungen vor Kultur des Misstrauens

Der hohe Krankenstand in Deutschland ist nach einer neuen DAK-Studie nicht auf das "Blaumachen" von Beschäftigten zurückzuführen. In diesem Zusammenhang warnte DAK-Vorstandschef Andreas Storm vor einer "Misstrauenskultur in der Arbeitswelt". Zuvor hatte der Chef des Versicherungskonzerns Allianz, Bäte, dafür plädiert, den Karenztag bei Krankmeldungen wieder einzuführen.

    Arbeitsplatz: Rechner und Tastatur mit Atemschutzmaske, Symbolfoto
    Dass die Krankmeldungen zuletzt sprunghaft angestiegen sind, liegt laut DAK nicht am "Blaumachen" der Beschäftigten, sondern auch an einem Anstieg der Atemwegserkrankungen. (imago images / Sabine Gudath)
    Die Krankenkasse DAK analysierte zusammen mit dem IGES Institut die Ursachen für den sprunghaften Anstieg der Krankmeldungen von 2021 auf das Jahr 2022. Seit dem gibt es die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - kurz eAU -, die direkt an die Krankenkassen geht und nicht mehr von den Versicherten selbst eingereicht werden muss. Dieses neue Meldeverfahren verursache einen statistischen Effekt, teilte die DAK nun mit. Bei Erkältungskrankheiten lasse sich der Anstieg zu 60 Prozent dadurch erklären. Auch Atemwegserkrankungen und Corona-Infektionen spielten eine Rolle. Für den systematischen Missbrauch etwa der telefonischen Krankmeldung gebe es keinerlei Anzeichen, heißt es in der Analyse.
    Der Präsident der Bundesärztekammer, Reinhardt, erläuterte, heute seien sämtlicher Krankschreibungen zu 100 Prozent erfasst. Das sei bis zur Einführung der eAU nicht so gewesen, weil viele Versicherte "den Zettel, der an die Krankenkasse ging, häufig gar nicht weggeschickt hat, sondern nur den, der an seinen Arbeitgeber ging."

    Debatte über Karenztage auch unter Ökonomen

    Im Jahr 2023 lag die durchschnittliche Anzahl an Fehltagen pro Beschäftigten laut Statistischem Bundesamt bei 15,1 Tagen. Allianz-Chef Bäte zufolge ist Deutschland "Weltmeister" bei den Krankmeldungen. Seiner Ansicht nach sollten Arbeitnehmer künftig in den ersten Tagen einer Krankheit keinen Lohn mehr erhalten.
    Für die Wiedereinführung von Karenztagen hatte sich kürzlich auch die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer ausgesprochen. Der Ökonom Nicolas Ziebarth vom Mannheimer Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sagte jüngst der "Welt am Sonntag", mit einer abgesenkten Lohnfortzahlung werde es weniger Menschen geben, die sich krankmeldeten, obwohl sie nicht krank seien - "also blaumachen".
    Der Karenztag war in den 70er Jahren abgeschafft worden. Es gibt ihn derzeit in Schweden, Spanien oder Griechenland.

    Gewerkschaft: Vorwurf der Krankmacherei "unverschämt"

    Die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Engelmeier, bezeichnete Bätes Vorschlag in der Frankfurter Rundschau als "Unverschämtheit". Ähnlich positionierte sich die IG Metall. Wer Karenztage aus der Mottenkiste hole, greife die soziale Sicherheit an und fördere verschleppte Krankheiten, sagte Vorstandsmitglied Urban. "Die deutsche Wirtschaft gesundet nicht mit kranken Beschäftigten, sondern im Gegenteil mit besseren Arbeitsbedingungen."
    DGB-Vorstandsmitglied Piel meinte, ohnehin würden immer mehr Menschen trotz Krankheit arbeiten. Das schade aber nicht nur der eigenen Gesundheit, sondern führe auch zur Ansteckung von Kollegen. Die wirtschaftlichen Folgekosten seien etwa doppelt so hoch wie die Kosten krankheitsbedingter Fehlzeiten.

    Widerspruch auch aus der Politik

    Der Parteichef der Linken, van Aken, forderte von den Kanzlerkandidaten von CDU, SPD und Grünen ein Bekenntnis zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Er forderte in einem Schreiben an Bundeskanzler Scholz, CDU-Chef Merz und den Kanzlerkandidaten der Grünen, Habeck, stattdessen eine Initiative für bessere Arbeitsbedingungen.
    Auch der Sozialflügel der CDU lehnt den Vorschlag Bätes ab. Dieser sei gänzlich inakzeptabel, sagte der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft CDA, Radtke, dem Berliner "Tagesspiegel". Bätes Vorstoß stehe für eine "Kultur des Misstrauens gegenüber allen Arbeitnehmern" und betreffe vor allem Menschen mit kleinen Einkommen.
    Unions-Fraktionsvize Müller dagegen hatte sich offen für einen Karenztag gezeigt. Er sagte dem Nachrichtenportal "Politico", die Sozialsysteme würden immer weiter beansprucht.
    Diese Nachricht wurde am 07.01.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.