Michael Köhler: Nicht Wahrheit, sondern Beseitigung von Grausamkeiten. Nicht Erkenntnis ewiger Wahrheiten, sondern Hoffnung und gültige Überzeugung. Nicht die Essenz, sondern Demokratie und Solidarität. So etwas scheinbar Naives wie die Frage danach, wie wir zusammenleben wollen, nicht Begriffe von Vernunft, Realität und Wesen, sondern ein Begriff von besserer menschlicher Zukunft – daran muss sich Politik und Philosophie messen lassen. Solche Alternativen zeigte der Philosoph Richard Rorty auf, der zuletzt am Institut für vergleichende Literaturwissenschaft der Stanford-Universität gelehrt hat. Er ist 75-jährig in Kalifornien einem Krebsleiden erlegen.
"Meiner Meinung nach kann man nie etwas legitimieren mit philosophischen Mitteln. Man kann nur besser diskutieren, aber das ist keine Legitimationsprosa, es ist nur ein Wechsel der Rechtfertigungen von verschiedenen Positionen."
Man kann offenbar auch Deutsch lernen, wenn man Wittgenstein und Heidegger liest. Rorty tat es. Philosophie stellte Argumente, Diskussionsbeiträge für Entscheidungen bereit, die in einer Gesellschaft neu ausgehandelt werden müssen.
Walter Reese-Schäfer ist Kenner von Werk und Person, Autor eines Buches über Richard Rorty. Ihn habe ich gefragt, Hoffnung statt Erkenntnis, das ist eine sonderbare Umleitung philosophischer Arbeit und nicht das, was wir unter einem normalen Philosophen verstehen, oder?
Walter Reese-Schäfer: Rorty war ganz gewiss kein normaler Philosoph, sondern ist aus der philosophischen Disziplin herausgefallen. Er hat sehr starke innerphilosophische Anfänge gemacht, indem er den linguistischen Turn, wie er das genannt hat, begleitet hat noch in den 60er Jahren. Und dann fing er an, die Philosophie immer mehr und immer grundsätzlicher zu kritisieren und insbesondere einen metaphysischen Fundamentalismus immer mehr abzulehnen und sich auf pragmatische Grundprinzipien zu besinnen und sich auch immer stärker an der Literatur zu orientieren. Und das führte dazu, dass er auf seinem ersten Philosophie-Lehrstuhl sehr bald wenig gelitten war und dann auf eine Professur für Geisteswissenschaften, für Humanities, an der Charlottesville University in Virginia gewechselt ist.
Köhler: Der Roman "Onkel Toms Hütte" hält unter Umständen mehr für die Verbreitung der Menschenrechte an Weisheiten bereit als der kategorische Imperativ. Das sind so Sätze, die von Richard Rorty sind.
Reese-Schäfer: Ja, für ihn war eine bestimmte Art von sozialkritischer Literatur wichtig, also neben "Onkel Toms Hütte" sicherlich "1984" von George Orwell, aber auch Vladimir Nabokov, weil er einfach präzise Beschreibungen, präzise Darstellungen literarischer Art des Alltags und von Grausamkeiten, die vermieden werden müssten, wesentlich relevanter fand als Letztbegründung. Also die Existenz des eigenen Ichs ist eine sehr zufällige Angelegenheit, meinte Rorty. Dabei hat er allerdings sein eigenes Leben reflektiert, das so zufällig nicht war. Denn er ist in New York aufgewachsen, in einer linken trotzkistischen Familie, und hat eine ganze Reihe von diesen Elementen aus dem Denken damals, insbesondere die Kritik des Stalinismus, die Orientierung auf Europa, die Orientierung aufs Bücherwissen übernommen. Also das ist ganz wesentlich. Er war als kleiner Junge eigentlich, er nannte sich selbst bookish.
Köhler: Herr Reese-Schäfer, sein Name wird verbunden mit dem, was man die Konjunktur des Pragmatismus oder des Neo-Pragmatismus in Deutschland auch nennt. Das war ja nicht immer unstrittig. Pragmatistisches Denken wurde abgekanzelt als Cash-Value-Denken, als Denken des Stärkeren, das ist aber so nicht richtig. Es räumt der Praxis, den Handlungen den Vorrang ein. Warum ist das so?
Reese-Schäfer: Weil pragmatisches Denken eigentlich von Anfang an doch auch sehr stark mit einer demokratischen basisorientierten Tradition verbunden war. Also der Lehrer, auf den Richard Rorty sich immer wieder beruft, ist natürlich John Dewey gewesen, der große liberale amerikanische Pädagoge. Und der Pragmatismus ist eine Alltagsphilosophie und konzentriert sich auf die einfachen Menschen. Das war eigentlich für Rorty so der Anstoß und der Ansporn eines politischen Engagements.
Köhler: Also ihm ist wichtiger nicht die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Realität, sondern lieber zu fragen, was ist eine sinnvolle nutzbringende Beschreibung von Welt, die dann zu einer besseren Welt führt?
Reese-Schäfer: Ja, und dazu führt, dass wir immer zu Neubeschreibungen kommen, also Entwicklung, Hoffnung und so weiter passiert dann eben durch Neubeschreibung, deswegen ist Literatur ja auch so wichtig, damit wir eben nicht in erstarrten Bahnen einfach weiterdenken und einfach weitermachen. Und jede neue Beschreibung entdeckt auch wieder Menschen, die benachteiligt sind, Gruppen, die übergangen werden, Rechte, die verletzt werden. Und das, ja mit einem starken, auch emotionalen Anteil zu artikulieren, das war eigentlich sein Hauptanliegen.
Köhler: Hatten Sie Gelegenheit, Richard Rorty mal persönlich kennenzulernen?
Reese-Schäfer: Ja, mehrfach. Und ich muss sagen, er war ein ausgesprochen angenehmer, umgänglicher Gesprächspartner, der auch sehr viel narrative Elemente in seine Kommunikation eingebaut hat. Also er konnte wunderbar von den alten Zeiten in New York erzählen und hat auch in wunderbarer Weise eigentlich und sehr eindrucksvoll aus seinen Auseinandersetzungen schon auf dem Schulhof mit den starken Typen, die da die Schlägerrolle und dominierende Rolle einnehmen, entwickelt, dass seine politischen Überzeugung zum Beispiel Kritik an Milosevix in Serbien und dergleichen, eigentlich aus dieser Wahrnehmung solcher Situationen, solcher Gewaltsituationen auf dem Schulhof kommt. Und das fand ich immer einen sehr unmittelbaren und sehr elementaren Zugang zu politischen Fragen.
Köhler: Walter Reese-Schäfer, Verfasser einer Einführung des Denkens von Richard Rorty, der 75-jährig in Kalifornien gestorben ist.
"Meiner Meinung nach kann man nie etwas legitimieren mit philosophischen Mitteln. Man kann nur besser diskutieren, aber das ist keine Legitimationsprosa, es ist nur ein Wechsel der Rechtfertigungen von verschiedenen Positionen."
Man kann offenbar auch Deutsch lernen, wenn man Wittgenstein und Heidegger liest. Rorty tat es. Philosophie stellte Argumente, Diskussionsbeiträge für Entscheidungen bereit, die in einer Gesellschaft neu ausgehandelt werden müssen.
Walter Reese-Schäfer ist Kenner von Werk und Person, Autor eines Buches über Richard Rorty. Ihn habe ich gefragt, Hoffnung statt Erkenntnis, das ist eine sonderbare Umleitung philosophischer Arbeit und nicht das, was wir unter einem normalen Philosophen verstehen, oder?
Walter Reese-Schäfer: Rorty war ganz gewiss kein normaler Philosoph, sondern ist aus der philosophischen Disziplin herausgefallen. Er hat sehr starke innerphilosophische Anfänge gemacht, indem er den linguistischen Turn, wie er das genannt hat, begleitet hat noch in den 60er Jahren. Und dann fing er an, die Philosophie immer mehr und immer grundsätzlicher zu kritisieren und insbesondere einen metaphysischen Fundamentalismus immer mehr abzulehnen und sich auf pragmatische Grundprinzipien zu besinnen und sich auch immer stärker an der Literatur zu orientieren. Und das führte dazu, dass er auf seinem ersten Philosophie-Lehrstuhl sehr bald wenig gelitten war und dann auf eine Professur für Geisteswissenschaften, für Humanities, an der Charlottesville University in Virginia gewechselt ist.
Köhler: Der Roman "Onkel Toms Hütte" hält unter Umständen mehr für die Verbreitung der Menschenrechte an Weisheiten bereit als der kategorische Imperativ. Das sind so Sätze, die von Richard Rorty sind.
Reese-Schäfer: Ja, für ihn war eine bestimmte Art von sozialkritischer Literatur wichtig, also neben "Onkel Toms Hütte" sicherlich "1984" von George Orwell, aber auch Vladimir Nabokov, weil er einfach präzise Beschreibungen, präzise Darstellungen literarischer Art des Alltags und von Grausamkeiten, die vermieden werden müssten, wesentlich relevanter fand als Letztbegründung. Also die Existenz des eigenen Ichs ist eine sehr zufällige Angelegenheit, meinte Rorty. Dabei hat er allerdings sein eigenes Leben reflektiert, das so zufällig nicht war. Denn er ist in New York aufgewachsen, in einer linken trotzkistischen Familie, und hat eine ganze Reihe von diesen Elementen aus dem Denken damals, insbesondere die Kritik des Stalinismus, die Orientierung auf Europa, die Orientierung aufs Bücherwissen übernommen. Also das ist ganz wesentlich. Er war als kleiner Junge eigentlich, er nannte sich selbst bookish.
Köhler: Herr Reese-Schäfer, sein Name wird verbunden mit dem, was man die Konjunktur des Pragmatismus oder des Neo-Pragmatismus in Deutschland auch nennt. Das war ja nicht immer unstrittig. Pragmatistisches Denken wurde abgekanzelt als Cash-Value-Denken, als Denken des Stärkeren, das ist aber so nicht richtig. Es räumt der Praxis, den Handlungen den Vorrang ein. Warum ist das so?
Reese-Schäfer: Weil pragmatisches Denken eigentlich von Anfang an doch auch sehr stark mit einer demokratischen basisorientierten Tradition verbunden war. Also der Lehrer, auf den Richard Rorty sich immer wieder beruft, ist natürlich John Dewey gewesen, der große liberale amerikanische Pädagoge. Und der Pragmatismus ist eine Alltagsphilosophie und konzentriert sich auf die einfachen Menschen. Das war eigentlich für Rorty so der Anstoß und der Ansporn eines politischen Engagements.
Köhler: Also ihm ist wichtiger nicht die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Realität, sondern lieber zu fragen, was ist eine sinnvolle nutzbringende Beschreibung von Welt, die dann zu einer besseren Welt führt?
Reese-Schäfer: Ja, und dazu führt, dass wir immer zu Neubeschreibungen kommen, also Entwicklung, Hoffnung und so weiter passiert dann eben durch Neubeschreibung, deswegen ist Literatur ja auch so wichtig, damit wir eben nicht in erstarrten Bahnen einfach weiterdenken und einfach weitermachen. Und jede neue Beschreibung entdeckt auch wieder Menschen, die benachteiligt sind, Gruppen, die übergangen werden, Rechte, die verletzt werden. Und das, ja mit einem starken, auch emotionalen Anteil zu artikulieren, das war eigentlich sein Hauptanliegen.
Köhler: Hatten Sie Gelegenheit, Richard Rorty mal persönlich kennenzulernen?
Reese-Schäfer: Ja, mehrfach. Und ich muss sagen, er war ein ausgesprochen angenehmer, umgänglicher Gesprächspartner, der auch sehr viel narrative Elemente in seine Kommunikation eingebaut hat. Also er konnte wunderbar von den alten Zeiten in New York erzählen und hat auch in wunderbarer Weise eigentlich und sehr eindrucksvoll aus seinen Auseinandersetzungen schon auf dem Schulhof mit den starken Typen, die da die Schlägerrolle und dominierende Rolle einnehmen, entwickelt, dass seine politischen Überzeugung zum Beispiel Kritik an Milosevix in Serbien und dergleichen, eigentlich aus dieser Wahrnehmung solcher Situationen, solcher Gewaltsituationen auf dem Schulhof kommt. Und das fand ich immer einen sehr unmittelbaren und sehr elementaren Zugang zu politischen Fragen.
Köhler: Walter Reese-Schäfer, Verfasser einer Einführung des Denkens von Richard Rorty, der 75-jährig in Kalifornien gestorben ist.