"Der deutsche Soldat hat tapfer, treu und gehorsam seine Pflicht getan. Er durfte dabei glauben, sie für das Vaterland zu erfüllen. Er wurde missbraucht durch eine verbrecherische Staatsführung."
Der erste Bundesminister der Verteidigung, Theodor Blank, am 27. Juni 1955 vor dem Deutschen Bundestag. Damals war sie noch mehrheitsfähig, die Legende von der "sauberen Wehrmacht". Längst hat die Ausstellung des "Hamburger Instituts für Sozialforschung" einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewusstsein gerufen, was die Geschichtswissenschaft schon viel früher festgestellt hatte: dass die Wehrmacht als Institution und große Teile ihrer Angehörigen aktiv an den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt gewesen sind. Die Legende von der "saubereren Wehrmacht" ist selbst längst Geschichte. Vor diesem Hintergrund gibt das Militärgeschichtliche Forschungsamt nun einen Band heraus, der sich mit der Frage befasst, wer die Bundeswehr – die 1955 übrigens noch unter "Neue Wehrmacht" firmierte – geprägt hat. Denn Bundeskanzler Konrad Adenauer war genauso klar wie den westlichen Alliierten: Deutsche Streitkräfte konnten nur aufgebaut werden, wenn man auch auf die kriegserfahrenen Soldaten der Wehrmacht zurückgriff. Das Buch-Projekt: Eine lohnende Aufgabe, doch das Vorwort – verfasst vom Amtschef des Militärgeschichtlichen Bundesamtes, Hans-Hubertus Mack – lässt aufhorchen:
"Die Aufbaugeschichte der Bundeswehr zu kennen und zu respektieren, ist die Aufgabe aller folgenden Soldatengenerationen."
Wird hier Autoren wie Herausgebern des Sammelbands die gewünschte Richtung vorgegeben, Grenzen für mögliche Wertungen gesetzt? Zumal sich Letztere als Angehörige der Bundeswehr – beide im Rang eines Oberstleutnants – direkt angesprochen fühlen dürften? In der Tat: Der Band ist zwar der kritischen Aufarbeitung verschrieben – und erfüllt diesen Anspruch in weiten Teilen. Er ist aber keineswegs frei von Motiven der klassischen Traditionspflege, mit der die Leistungen der Aufbaugeneration der Bundeswehr positiv gewürdigt werden sollen. Beispiel: Der Beitrag des Mitherausgebers Helmut R. Hammerich über Oberst Gerd Ruge, im Zweiten Weltkrieg hoch dekorierter Wehrmachtoffizier, den – so der Autor – wirtschaftliche Schwierigkeiten "in die Arme der Nationalsozialisten" getrieben hätten; der ab Juni 1941 in Russland und in Ungarn eingesetzt wurde, und der zu jenen ehemaligen Frontoffizieren gehörte, die in der Bundesrepublik den Aufbau des Heeres sichergestellt hätten. Ruge, so das Fazit des Autors Hammerich, sei ...
"... ein Vertreter der "Generation der Frontoffiziere", die sich sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch im Kalten Krieg an vorderster Front bei der Umsetzung bzw. Ausführung von Konzepten und Befehlen bewährten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger."
Kann man aber – nach dem, was über die Verstrickung der Wehrmacht in die NS-Verbrechen bekannt ist – noch davon sprechen, dass sich ein Offizier in eben jenem Krieg im Osten "bewährt" hat – ohne den entsprechenden Kontext zum Vernichtungskrieg herzustellen? Hammerich argumentiert sozusagen "aus der Zeit heraus", und verweist darauf, dass die Ostfront-Erfahrung die ehemaligen Kriegsteilnehmer für NATO und Bundeswehr ungeheuer bedeutsam gemacht habe – wegen der Bedrohung durch die Sowjetunion:
"Das ist heute natürlich anders, keine Frage. Aber in der damaligen Zeit zum Aufbau einer Panzertruppe oder einer Panzerjägertruppe waren diese Erfahrungen durchaus wichtig. Also insofern wurde auch gerne auf solche "bewährten Kräfte" zurückgegriffen. Aber auch da unterscheidet sich die Bundeswehr natürlich nicht von anderen Ressorts. Die vergleichbaren Auswärtiges-Amt-Mitarbeiter oder die vergleichbaren Juristen wurden natürlich auch aufgrund ihrer Expertise, die sie vor dem Zweiten Weltkrieg oder während des Zweiten Weltkrieges hatten, dann ja für den Aufbau der Bundesrepublik Deutschland durchaus auch genutzt."
Weit besser aber als in anderen Institutionen sei es gelungen, stark NS-belastete Personen aus der Bundeswehr herauszuhalten – darauf legen die Herausgeber wert. Und zwar durch die Einsetzung eines sogenannten Personalgutachterausschusses, so Herausgeber Rudolf J. Schlaffer - allen gegenteiligen Behauptungen vonseiten der DDR und der Sowjetunion zum Trotz:
"All die Vorwürfe, die man versucht hat zu konstruieren, erwiesen sich als unbegründet. dahin gehend ist eigentlich der Aufbau der Bundeswehr, was Skandalisierungen im Hinblick auf NS-Personal oder stark in Verbrechen verstrickten Personal angeht – also die sind hier nicht aufgetreten."
Und dennoch blieb der Einsatz von Offizieren, die Krieg und Nationalsozialismus erlebt hatten, für die neue, demokratische Armee nicht ohne Folgen. Zu diesem Schluss kommt die Psychoanalytikerin Elke Horn, die in dem Band eine Analyse der biografischen Skizzen vornimmt. Der Kampf wurde auch nach dem Krieg idealisiert. Verbrechen wurden verdrängt, verschwiegen oder legitimiert, Pflicht und Gehorsam verabsolutiert. Junge Soldaten, die – selbst durch den Krieg vaterlos geworden – versuchten, sich an ihren Vorgesetzten zu orientieren – wurden stattdessen Gegenstand von Misshandlungen. Elke Horn:
"Das Ausüben von Täterschaft führt dazu, dass man sich von seinem menschlichen Kern ein Stück isoliert, dass also Teile des eigenen Seelenlebens nicht mehr berührbar sind und innerlich abgespalten werden müssen. Alles, was mit Sensibilität oder "auch-mal-schwach-sein-dürfen" und solchen Dingen zu tun hat, das wird dann entwertet. Und genau diese Dinge, die man an sich selber hasst und die man abgespalten hat, die werden dann im Gegenüber eigentlich wahrgenommen und dort oft dann mit betonter Härte behandelt."
Und das, so betont Elke Horn, betreffe nicht nur die Armee, sondern die ganze Gesellschaft – und setzte sich bis hin zu Extrem-Erscheinungen wie dem Terror der "Roten-Armee-Fraktion" beispielsweise fort. Die radikalisierten Jungen fühlten sich als Opfer ihrer NS-belasteten Väter, griffen aber selbst auf Motive der Nazi-Zeit zurück: Mystifizierung des Kampfes, Gruppendruck, das Ausgrenzen von Personen, die nicht auf Linie waren.
"Und das zeigt eben, dass da auch unbewusst eine Identifikation mit Täterschaft stattgefunden hatte. Diese Eigenschaften wurden natürlich für die "gute Sache" eingesetzt, aber daran glaubte man im Nationalsozialismus auch. Es kommt plötzlich zu einer Art Realitätsverkennung, in der dann der Zweck die Mittel heiligt, und dann ist man leider schon auf dem Holzweg."
Die Diskussion darüber, wie stark die Erlebnisse von Krieg und Verbrechen die Gesellschaft noch heute prägen, bis in die dritte und vierte Generation hinein – diese Diskussion hat faktisch gerade erst begonnen. Interessante Einblicke erhält - trotz aller Mängel -, wer den Band über die "Aufbaugeneration der Bundeswehr" zur Hand nimmt.
Helmut R. Hammerich (Hrsg.): Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970. Ausgewählte Biografien. Oldenbourg Verlag, 469 Seiten, 34,80 Euro ISBN: 978-3-48670-436-5
Der erste Bundesminister der Verteidigung, Theodor Blank, am 27. Juni 1955 vor dem Deutschen Bundestag. Damals war sie noch mehrheitsfähig, die Legende von der "sauberen Wehrmacht". Längst hat die Ausstellung des "Hamburger Instituts für Sozialforschung" einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewusstsein gerufen, was die Geschichtswissenschaft schon viel früher festgestellt hatte: dass die Wehrmacht als Institution und große Teile ihrer Angehörigen aktiv an den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt gewesen sind. Die Legende von der "saubereren Wehrmacht" ist selbst längst Geschichte. Vor diesem Hintergrund gibt das Militärgeschichtliche Forschungsamt nun einen Band heraus, der sich mit der Frage befasst, wer die Bundeswehr – die 1955 übrigens noch unter "Neue Wehrmacht" firmierte – geprägt hat. Denn Bundeskanzler Konrad Adenauer war genauso klar wie den westlichen Alliierten: Deutsche Streitkräfte konnten nur aufgebaut werden, wenn man auch auf die kriegserfahrenen Soldaten der Wehrmacht zurückgriff. Das Buch-Projekt: Eine lohnende Aufgabe, doch das Vorwort – verfasst vom Amtschef des Militärgeschichtlichen Bundesamtes, Hans-Hubertus Mack – lässt aufhorchen:
"Die Aufbaugeschichte der Bundeswehr zu kennen und zu respektieren, ist die Aufgabe aller folgenden Soldatengenerationen."
Wird hier Autoren wie Herausgebern des Sammelbands die gewünschte Richtung vorgegeben, Grenzen für mögliche Wertungen gesetzt? Zumal sich Letztere als Angehörige der Bundeswehr – beide im Rang eines Oberstleutnants – direkt angesprochen fühlen dürften? In der Tat: Der Band ist zwar der kritischen Aufarbeitung verschrieben – und erfüllt diesen Anspruch in weiten Teilen. Er ist aber keineswegs frei von Motiven der klassischen Traditionspflege, mit der die Leistungen der Aufbaugeneration der Bundeswehr positiv gewürdigt werden sollen. Beispiel: Der Beitrag des Mitherausgebers Helmut R. Hammerich über Oberst Gerd Ruge, im Zweiten Weltkrieg hoch dekorierter Wehrmachtoffizier, den – so der Autor – wirtschaftliche Schwierigkeiten "in die Arme der Nationalsozialisten" getrieben hätten; der ab Juni 1941 in Russland und in Ungarn eingesetzt wurde, und der zu jenen ehemaligen Frontoffizieren gehörte, die in der Bundesrepublik den Aufbau des Heeres sichergestellt hätten. Ruge, so das Fazit des Autors Hammerich, sei ...
"... ein Vertreter der "Generation der Frontoffiziere", die sich sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch im Kalten Krieg an vorderster Front bei der Umsetzung bzw. Ausführung von Konzepten und Befehlen bewährten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger."
Kann man aber – nach dem, was über die Verstrickung der Wehrmacht in die NS-Verbrechen bekannt ist – noch davon sprechen, dass sich ein Offizier in eben jenem Krieg im Osten "bewährt" hat – ohne den entsprechenden Kontext zum Vernichtungskrieg herzustellen? Hammerich argumentiert sozusagen "aus der Zeit heraus", und verweist darauf, dass die Ostfront-Erfahrung die ehemaligen Kriegsteilnehmer für NATO und Bundeswehr ungeheuer bedeutsam gemacht habe – wegen der Bedrohung durch die Sowjetunion:
"Das ist heute natürlich anders, keine Frage. Aber in der damaligen Zeit zum Aufbau einer Panzertruppe oder einer Panzerjägertruppe waren diese Erfahrungen durchaus wichtig. Also insofern wurde auch gerne auf solche "bewährten Kräfte" zurückgegriffen. Aber auch da unterscheidet sich die Bundeswehr natürlich nicht von anderen Ressorts. Die vergleichbaren Auswärtiges-Amt-Mitarbeiter oder die vergleichbaren Juristen wurden natürlich auch aufgrund ihrer Expertise, die sie vor dem Zweiten Weltkrieg oder während des Zweiten Weltkrieges hatten, dann ja für den Aufbau der Bundesrepublik Deutschland durchaus auch genutzt."
Weit besser aber als in anderen Institutionen sei es gelungen, stark NS-belastete Personen aus der Bundeswehr herauszuhalten – darauf legen die Herausgeber wert. Und zwar durch die Einsetzung eines sogenannten Personalgutachterausschusses, so Herausgeber Rudolf J. Schlaffer - allen gegenteiligen Behauptungen vonseiten der DDR und der Sowjetunion zum Trotz:
"All die Vorwürfe, die man versucht hat zu konstruieren, erwiesen sich als unbegründet. dahin gehend ist eigentlich der Aufbau der Bundeswehr, was Skandalisierungen im Hinblick auf NS-Personal oder stark in Verbrechen verstrickten Personal angeht – also die sind hier nicht aufgetreten."
Und dennoch blieb der Einsatz von Offizieren, die Krieg und Nationalsozialismus erlebt hatten, für die neue, demokratische Armee nicht ohne Folgen. Zu diesem Schluss kommt die Psychoanalytikerin Elke Horn, die in dem Band eine Analyse der biografischen Skizzen vornimmt. Der Kampf wurde auch nach dem Krieg idealisiert. Verbrechen wurden verdrängt, verschwiegen oder legitimiert, Pflicht und Gehorsam verabsolutiert. Junge Soldaten, die – selbst durch den Krieg vaterlos geworden – versuchten, sich an ihren Vorgesetzten zu orientieren – wurden stattdessen Gegenstand von Misshandlungen. Elke Horn:
"Das Ausüben von Täterschaft führt dazu, dass man sich von seinem menschlichen Kern ein Stück isoliert, dass also Teile des eigenen Seelenlebens nicht mehr berührbar sind und innerlich abgespalten werden müssen. Alles, was mit Sensibilität oder "auch-mal-schwach-sein-dürfen" und solchen Dingen zu tun hat, das wird dann entwertet. Und genau diese Dinge, die man an sich selber hasst und die man abgespalten hat, die werden dann im Gegenüber eigentlich wahrgenommen und dort oft dann mit betonter Härte behandelt."
Und das, so betont Elke Horn, betreffe nicht nur die Armee, sondern die ganze Gesellschaft – und setzte sich bis hin zu Extrem-Erscheinungen wie dem Terror der "Roten-Armee-Fraktion" beispielsweise fort. Die radikalisierten Jungen fühlten sich als Opfer ihrer NS-belasteten Väter, griffen aber selbst auf Motive der Nazi-Zeit zurück: Mystifizierung des Kampfes, Gruppendruck, das Ausgrenzen von Personen, die nicht auf Linie waren.
"Und das zeigt eben, dass da auch unbewusst eine Identifikation mit Täterschaft stattgefunden hatte. Diese Eigenschaften wurden natürlich für die "gute Sache" eingesetzt, aber daran glaubte man im Nationalsozialismus auch. Es kommt plötzlich zu einer Art Realitätsverkennung, in der dann der Zweck die Mittel heiligt, und dann ist man leider schon auf dem Holzweg."
Die Diskussion darüber, wie stark die Erlebnisse von Krieg und Verbrechen die Gesellschaft noch heute prägen, bis in die dritte und vierte Generation hinein – diese Diskussion hat faktisch gerade erst begonnen. Interessante Einblicke erhält - trotz aller Mängel -, wer den Band über die "Aufbaugeneration der Bundeswehr" zur Hand nimmt.
Helmut R. Hammerich (Hrsg.): Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970. Ausgewählte Biografien. Oldenbourg Verlag, 469 Seiten, 34,80 Euro ISBN: 978-3-48670-436-5