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"Kein rechtlich bindender Mechanismus"

Die OECD-Standards sollen bei Bergbaukonflikten in Lateinamerika in helfen, Menschenrechte zu schützen, aber in der Praxis seien die Instrumente der OECD oftmals "zahnlose Tiger", sagt Susanne Friess von Misereor. Im besten Fall komme es zu einem Dialog, bei dem versucht werde, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bekommen.

Susanne Friess im Gespräch mit Jule Reimer | 17.07.2013
    Jule Reimer: Kein Windrad, kein Wasserkraftwerk funktioniert ohne Metalle. Für die Energiewende braucht Deutschland Rohstoffe, und die müssen in der Regel importiert werden. Die Bundesregierung schließt und verhandelt zu diesem Zweck Rohstoffpartnerschaften mit der Mongolei, mit Kasachstan und das jüngste Projekt in Umsetzung ist eine Partnerschaft mit Peru. Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen haben jedoch große Bedenken, denn gerade in Peru treten viele Konflikte zwischen den Bergbauunternehmen und der lokalen Bevölkerung auf. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel setzt bei solchen Abkommen auf die OECD-Richtlinien für Umwelt- und Sozialstandards, die europäische und auch nordamerikanische Unternehmen einhalten sollen.

    Susanne Friess begleitet für die katholische Hilfsorganisation Misereor lokale Gemeinden in Lateinamerika, die in Rohstoffkonflikte verwickelt sind. Ich fragte sie vor dieser Sendung, für wie wirksam sie die OECD-Standards hält.

    Susanne Friess: In der Theorie sollen sie natürlich helfen, Menschenrechte zu schützen, sollen Menschen vor Ort, die betroffen sind von Menschenrechtsverletzungen, zum Beispiel die Möglichkeit geben, sich bei einer OECD-Kontaktstelle zu beschweren, wenn ein Unternehmen Menschenrechtsverletzungen begangen hat. In der Praxis halten wir diese Instrumente – und wir, da meine ich jetzt die NGO-Szene, die sich zum Thema Menschenrechte auch mit dem Thema Menschenrechte beschäftigt – oftmals für zahnlose Tiger.

    Reimer: Warum?

    Friess: Weil sie kein rechtlich bindender Mechanismus sind. Da werden keine Sanktionen verhangen, da werden keine rechtlich bindenden Urteile gesprochen, sondern das mündet im besten Fall in einen Dialogprozess, wo versucht wird, die Konfliktparteien an einen Tisch zu kriegen und dann einen Kompromiss auszuhandeln. In ganz vielen Fällen, wo Betroffene eine Klage vor die OECD-Kontaktstelle gebracht haben, wurde die einfach abgelehnt. Wenn eine Bevölkerungsgruppe sagt, wir wollen keinen Kompromiss, wir haben die ganz klare Haltung, wir wollen hier keinen Bergbau haben oder keinen Rohstoffabbau, dann macht es auch keinen großen Sinn, in so einen Dialogprozess einzutreten. Deshalb ist auch eine Empfehlung an unsere Partner, OECD-Kontaktstellen eigentlich nur dann zu kontaktieren, wenn tatsächlich der Dialog mit dem Unternehmen auch gewünscht ist und man sich davon dann auch irgendwie ein Resultat verspricht, was den Prozess weiterbringt.

    Reimer: Was wäre denn aus Ihrer Sicht die bessere Lösung? Was würden Sie sich von der Bundesregierung wünschen?

    Friess: Die beste Lösung wäre mit Sicherheit, wenn die Menschen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, das Unternehmen in dem Land anklagen könnten, wo das Unternehmen seinen Sitz hat.

    Reimer: Setzt sich dafür die Bundesregierung ein?

    Friess: Im Moment nicht, nein.

    Reimer: Was ist denn mit den ILO-Standards, also mit den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation? Macht eine Bindung an diese Normen Sinn, hilft das?

    Friess: Alle diese Normen sind Orientierungshilfen: Woran sollen sich Unternehmen orientieren, was sind international vereinbarte Standards. Aber es gibt kein durchgehendes Monitoring-System. Es gibt dann auch oftmals keine Instanzen, wo das zur Anklage gebracht werden kann. Man muss sich das mal aus der Sicht von jemand vorstellen, der – ich sage jetzt mal Peru, weil das das Land ist, was ich am besten kenne – auf dem Land lebt, mit einer Grundbildung, dann kommt ein Unternehmen und sagt, wir wollen hier Gold abbauen, und zwar es geht los Mitte nächsten Jahres, Ende nächsten Jahres und wir brauchen euer Land. Dann bieten die Geld an, meistens beträchtliche Summen aus der Perspektive dieser Person. Nachher merken die oft, dass es natürlich vergleichsweise wenig Geld ist, und dann geht der Prozess los und die Leute haben vor Ort eigentlich niemand, der sie berät, außer das Unternehmen. Und wenn dann im Laufe dieses Prozesses: Dann wird die Miene gebaut, dann wird abgebaut, dann kommt es möglicherweise zu Umweltverschmutzung, die Leute stellen fest, unsere Tiere werden krank, die Leute merken, mit unserem Wasser ist irgendwas nicht in Ordnung. Und dann liegt die ganze Beweislast bei den Leuten! Die müssen dann beweisen, dass nicht nur das Wasser verschmutzt ist, was teuere Analysen sind, was auch einen technischen Prozess beinhaltet, sondern die müssen dann auch noch beweisen, dass das Unternehmen schuld ist. Das ist in der Praxis so gut wie unmöglich, das zu bewerkstelligen.

    Reimer: Warum ist das so schwierig?

    Friess: Es ist ja ein riesiges Machtgefälle. Die einen haben die Macht, das Geld, die Regierung hinter sich, meistens, weil die Regierung diesen Sektor ausbauen will, weil sie sich davon Devisen verspricht, und die anderen haben ganz wenig in die Wagschale zu werfen. Das ist für eine Dorfgemeinschaft fast unmöglich nachzuweisen, dass das Unternehmen der Verschmutzer ist. Oftmals fehlen grundlegende Studien, die zu Anfang gemacht werden müssten, um diesen Nachweis überhaupt jemals erbringen zu können. In ganz, ganz vielen Fällen liegen die ja einfach gar nicht vor. Und dann, später, nach 10, 20, 30 Jahren Bergbau zu sagen, wir haben hier zwar ein Riesenproblem und wir können jetzt aber auch sagen, Du bist schuld und Du musst jetzt als Unternehmen hier quasi Altlastenbeseitigung machen – in Peru gab es eine neue Studie, 5500 Altlasten, und bei 15 Prozent lässt sich überhaupt noch nachverfolgen, wer der Verursacher ist beziehungsweise ein Verantwortlicher zuordnen.

    Reimer: Was würden Sie sich jetzt speziell für dieses Rohstoffabkommen mit Peru von der Bundesregierung wünschen?

    Friess: Es ist noch nicht unterschrieben, aber der Verhandlungstext steht und soweit die Informationen jetzt aus dem Wirtschaftsministerium an uns kamen, werden von deutscher Seite da keine Veränderungsvorschläge mehr eingebracht. Wir hatten darauf gedrängt, dass sehr viel griffigere Klauseln in den Vertragstext kommen, was Menschenrechte, Umweltstandards angeht. Wir wissen ja nicht, was drinsteht, insofern kann ich jetzt schwer sagen, was wir uns erhoffen würden. Unsere Befürchtung ist, dass es einfach eine Erwähnung von bestimmten Richtlinien und internationalen Normen und Standards zwar in dem Vertragstext gibt, aber dass es nicht ausdifferenziert wird, was passiert denn im Zweifelsfall, wenn. Es wird auch keinen Beschwerdemechanismus, keinen eigenen geben. Wenn also deutsche Unternehmen, die deutsche Rohstoffallianz jetzt als Gruppe in einem Land exploriert oder dann irgendwann auch Rohstoffe abbaut und es da zu Menschenrechtsverletzungen kommt, gibt es keine eigene Beschwerdeinstanz und es wird wahrscheinlich auch in dem Fall wieder sehr schwierig werden, dass Betroffene in Deutschland Zivilklagen einreichen können.

    Reimer: Die Bundesregierung argumentiert ja auch damit, oder Bundesentwicklungsminister Niebel, dass deutsche Unternehmen meistens sowieso mit höheren Standards als Investoren auftreten. Ist das häufig der Fall, oder ist das eher nicht der Fall? Wie ist da Ihre Erfahrung?

    Friess: Ich kann da nicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen. Ich kann nur sagen, in Lateinamerika, die Gruppe von Unternehmen im Rohstoffbereich, die am präsentesten im Moment ist, sind die Kanadier. Die legen in Ihrem Land ganz andere Standards zugrunde als in Peru, weil es zum einen eben zusätzliche Kosten verursachen würde, es zum anderen auch kein Mensch einfordert. Wenn die Regierung es nicht einfordert, bestimmte Standards einzuhalten, warum soll ich mir als Unternehmen diese Mühe dann machen.

    Reimer: Das Interview mit Susanne Friess von Misereor über Bergbaukonflikte in Lateinamerika und die Rolle der Bundesregierung beim Rohstoffabkommen mit Peru haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.