Minuten vor der Urteilsverkündung: Marlies Tepe ist Bundesvorsitzende der Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und hofft auf ein Urteil "pro Streikrecht" für beamtete Lehrer:
"Dann würde das Menschenrecht umgesetzt, etwas, wofür wir schon lange kämpfen, wo wir jetzt Mut haben. Wir könnten auf Augenhöhe kämpfen. Das wäre wichtig für uns."
Wiederum Minuten vor der Urteilsverkündung: Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes "Bildung und Erziehung", hofft auf ein Urteil "contra Streikrecht" für beamtete Lehrer.
"Lehrerinnen und Lehrer führen eine hoheitliche Tätigkeit aus. Deswegen müssen sie aus unserer Sicht verbeamtet werden. Und es gibt keinen geteilten Beamtenstatus. Wenn man den Beamtenstatus will, dann mit allen Pflichten und Rechten."
Streikverbot zur Gestaltung der Beschäftigungsbedingungen
Aber eben ohne Streikrecht. Punkt 10 Uhr betritt Andreas Voßkuhle, Vorsitzender des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts, den Saal:
"Im Namen des Volkes: Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen!"
Will heißen: Es gibt kein Streikrecht für Beamte, auch und ganz speziell nicht für beamtete Lehrer:
"Es bleibt auch in Zukunft in Deutschland bei dem Verbot für Beamtinnen und Beamte, zur Gestaltung ihrer Beschäftigungsbedingungen Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen."
Was dann folgt, ist eine 80-seitige, juristisch höchst komplizierte Begründung, die auf die besondere Tradition des Berufsbeamtentums in Deutschland abhebt, das auch Eingang ins Grundgesetz gefunden habe. Mit dieser rechtlich verbrieften Tradition seien für beide, Beamte und Staat als Arbeitgeber, Rechte und Pflichten verbunden: Beamten hätten gegenüber dem Staat eine gewisse Treupflicht zu erfüllen. Der Staat garantiere im Gegenzug, wie das im Juristendeutsch heißt, Alimentierung und Versorgung. Und, ganz wichtig; All dies treffe auch auf die verbeamteten Lehrer zu.
Keine hoheitlichen Aufgaben wie Polizisten oder Finanzbeamte
Das aber hatten vier Lehrer, die wegen Beteiligungen an Warnstreiks der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft mit Disziplinarstrafen belegt worden waren, in Abrede gestellt - und unter anderem darauf abgehoben, dass Lehrer eigentlich keine hoheitlichen Aufgaben wie beispielsweise Polizisten oder Finanzbeamte erfüllten. Und deshalb dürften sie sehr wohl streiken, ohne die Funktionsfähigkeit des Staates infrage zu stellen. Auf den ersten Blick hat das Argument ja was, befand selbst Verfassungsrichter Peter Huber im zweiten Teil der Urteilsbegründung:
"So könnte im Bereich des Schulwesens die Schulleitung bei frühzeitiger Ankündigung der Streikmaßnahmen auf eine Schülerbetreuung durch Notdienste hinwirken."
Allerdings: Solche Notdienste funktionierten eben nur, wenn auch ein Teil der beamteten Lehrer nicht streikten. Das sei aber, sollten verbeamtete Lehrer tatsächlich in den Ausstand treten dürfen, nicht möglich. Daher stellte Verfassungsrichter Huber fest:
"Bei länger anhaltenden Arbeitskämpfen und der Beteiligung von Inhabern innerschulischer Funktionsstellen ließen sich zudem der ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag des Artikels 7 Absatz 1 Grundgesetz, kurz, ein funktionierendes Schulsystem, nicht mehr durchgängig sicherstellen."
Türkei-Urteil nicht auf Deutschland übertragbar
Und daher sei das Streikverbot gerade auch für Lehrer durchaus gerechtfertigt: Ausführlich gingen Huber und Voßkuhle in ihrer Urteilsbegründung auf den Hinweis der vier klagenden Lehrer zu einem Urteil de europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein. Das hatte vier klagenden Lehrern in der Türkei ausdrücklich Streikrecht zugebilligt. Allerdings, so Huber, lasse sich dieses Urteil nicht eins zu eins auf die Bundesrepublik übertragen, da hier der Beamtenstatus eine besondere verfassungsrechtliche Stellung genieße.
So unterschiedlich die Erwartungen waren, die vor dem Urteilsspruch an den Ausgang des Verfahrens gehegt worden waren, so unterschiedlich fielen auch die Reaktionen danach aus:
"Wir als Gewerkschaft sind natürlich enttäuscht von diesem Ergebnis...", so Marlies Tepe, Bundesvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW. Trotz Streikverbot würden sich aber zukünftig beamtete Lehrer gleichwohl solidarisch zeigen mit ihren angestellten Kolleginnen und Kollegen:
"Wir sind immer solidarisch gewesen miteinander. Dieses Urteil wird erst einmal kein Blatt zwischen uns bringen."
Urteil kann zur Image-Verbesserung beitragen
Monika Dahl, Realschullehrerin aus Nordrhein-Westfalen, ist eine der vier klagenden Lehrerinnen und Lehrer - und zeigte sich ebenfalls nach dem Urteilsspruch tief enttäuscht:. Allerdings deutete sie an, dass sie sich nun möglicherweise an die nächsthöhere Instanz wenden wird - auf europäischer Ebene.
"Es gibt die Option, bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterzugehen. Inwieweit das passiert, müssen wir sehen."
Karin Prien, Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Schleswig-Holstein, begrüßt dagegen das Urteil ausdrücklich: Das Streikverbot für Beamte bedeute keine Schwächung der beamtete Lehrer, sondern vor allem eine Stärkung: Denn damit werde die besondere Verantwortung der Lehrer festgeschrieben:
"Ich glaube, das kann auch nochmals zu einer Verbesserung des Images, des Berufes der Lehrerinnen und Lehrkräfte beitragen. Das ist auch ein wichtiges Zeichen heute. Aber darüber hinaus fühlen wir uns auch in unserer Politik bestätigt, Lehrkräfte grundsätzlich als Beamte einzustellen. Und wir werden diese Politik auch fortsetzen."