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Keine Abkehr von Tierversuchen?

Die Wissenschafts-Pressekonferenz in Bonn hat am Mittwoch Industrie-, Behörden- und Tierschutzvertreter zu einer Pressekonferenz geladen, in deren Mittelpunkt die neue europäische Chemikalienverordnung REACH stand. REACH war im Oktober 2003 von den EU-Generaldirektionen "Umwelt" und "Unternehmen" gemeinsam verabschiedet worden und soll dafür sorgen, dass in Zukunft alle Chemikalien vor ihrer Markteinführung registriert, bewertet und besonders gefährliche Substanzen nur noch für bestimmte Anwendungen zugelassen werden. Um die Chemikalien einheitlich zu klassifizieren, müssen viele an Tieren getestet werden - auch wenn die Substanzen seit langem schon bekannt sind.

Von Mirko Smiljanic |
    Die "Vermeidung von Tierversuchen" ist neben dem Schutz des Menschen und der Umwelt eines der Schlüsselelemente der neuen EU-Chemikalienpolitik. Aber genau das bezweifeln viele Fachleute: Werden von den 30.000 wichtigsten Substanzen alle getestet, deren Jahresproduktion über zehn Tonnen liegt, müssen in den kommenden Jahren zwölf Millionen zusätzlicher Tierversuche durchgeführt werden - so eine Studie der Britischen Universität Leicester; Tierschützer sprechen gar von 20 Millionen Versuchen. Dabei sind zwei Argumente von besonderer Bedeutung: Die EU-Kommission sei erstens inkonsequent, weil sie einerseits die Zahl der Tierversuche drastisch reduzieren will, mit REACH aber einen so gewaltigen Schub neuer Tierversuche provoziert, dass niemand weiß, ob die Verordnung logistisch überhaupt umgesetzt werden kann.

    Punkt zwei der Kritik ist, dass Tierversuche grundsätzlich nicht das leisten, was ihnen immer nachgesagt wird. Sie sind nicht vorbehaltlos auf den Menschen zu übertragen, die Ergebnisse, die der einzelne Tierversuch liefert, hat letztendlich nur für die Tiere, an denen die Ergebnisse gewonnen wurden.

    Schon aus diesem Grund - sagt Dr. Ursula Baumgartl-Simons, Tierärztin und Vorstandsmitglied im Bundesverband der Tierversuchsgegner, Aachen - plädiere sie für tierversuchsfreie Alternativmethoden. Allerdings verschleiere die Diskussion um In-vivo-Tests das Grundproblem. Es sei ja so, sagt Ursula Baumgartl-Simons,...

    ...dass in der Industrie und auch in anderen forschenden Einrichtungen sicherlich genügend Datenmaterial vorhanden ist, physikalisch-chemische Daten müssen vorliegen, das muss ja bekannt sein und auch Ergebnisse aus In-vivo- und In-vitro-Verfahren, und wenn diese gesamten Ergebnisse zusammengetragen würden, bin ich mir sicher, dass letztendlich alle Chemikalien ausreichend sicher zu klassifizieren sind und Daten, die nicht zu klassifizieren sich, die müssen mit einem Sicherheitsrisiko bewertet werden.

    Tatsächlich verfügt die Chemische Industrie über Daten aus Tierversuchen, die sie aber weder veröffentlich muss noch veröffentlichen möchte.
    Dr. Gerd Romanowski, Geschäftsführer und Leiter der Abteilung Wissenschaft, Technik und Umwelt im Verband der Chemischen Industrie, Frankfurt.

    Wir haben viele freiwillige Programme gemacht, national, europäisch und Bei der von Ihnen angesprochenen Thematik geht es darum, dass die pauschale Forderung, die Industrie möge ihre vorhandenen Daten raus rücken, nicht so ohne weiteres zu erfüllen ist, schließlich ist zu bedenken, dass es Wettbewerb am Markt gibt, dass einige Unternehmen voran marschiert sind, mehr Daten haben als andere, und da müssen Mechanismen gefunden werden, die einen Interessenausgleich und auch einen Kostenausgleich sicher stellen.

    Daran wird sich mittelfristig nichts ändern, die wirklich wichtigen Daten bleiben auch weiterhin geheim. Trotzdem ließe sich die Zahl der Tierversuche drastisch verringern. Zur Zeit zwingt der Gesetzgeber zu Tierversuchen bei chemischen Substanzen, von denen jährlich mehr als zehn Tonnen produziert werden. Das sei der falsche Weg, sagt Gerd Romanowski, ausschlaggebend sollte die Exposition sein.

    Ohne Exposition gibt es kein Risiko, und wenn ich keine Exposition habe, brauche ich bestimmte Daten nicht, brauche ich insbesondere auch keine Tierversuche. Das jetzige System der EU erfordert in einem sehr starren System viele unnötige Daten und damit auch viele unnötige Tierversuche und das können wir glaube ich verbessern.

    Maximal zwei Millionen Tierversuche seien dann noch notwendig. Ob diese Tests irgendwann durch Alternativmethoden ersetzt werden, ist allerdings zweifelhaft. Prof. Horst Spielmann, Leiter der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatzmethoden zu Tierversuchen.

    Wir haben Untersuchungen aus den Daten, die der EU heute vorliegen, aus den seit 20 Jahren durchgeführten Tierversuchen, da können wir sehen, dass nur drei bis fünf Prozent der sicherheitstoxikologischen Prüfungen mit tierversuchsfreien Methoden durchgeführt werden, also 95 Prozent unserer Daten, sind Tierversuchsdaten.

    Der Streit um die neue EU-Chemikalienverordnung ist noch nicht beigelegt!