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Keine Abstimmung zur "vertraulichen Geburt"

Die sogenannte vertrauliche Geburt könnte eine Alternative zur Babyklappe sein: Frauen in Notlage sollen ihr Kind in einem Krankenhaus zur Welt bringen dürfen, ohne dass ihre persönlichen Daten weitergegeben werden. Doch das geplante Gesetz hat Lücken.

Von Franziska Rattei |
    Katharina Jeschke sitzt an einem kleinen runden Holztisch im Geburtshaus Schwachhausen. Vor zehn Jahren gründete die freiberufliche Hebamme das Haus. Im Obergeschoss finden gerade Kurse zur Babymassage und zur Rückbildung statt, im Geburtsraum: entspannte Schlafzimmer-Atmosphäre. An den großen Fenstern hängen sonnenblumengelbe Gardinen. Ein großes, gemütliches Bett steht für Frauen bereit, die weder in der Klinik noch zu Hause entbinden wollen. Bis vor zwei Jahren arbeitete Katharina Jeschke hier noch, inzwischen ist sie Mitglied im Präsidium des Deutschen Hebammenverbands. Ein Vollzeitjob, der sie vor ein paar Tagen zu einer Anhörung in den Deutschen Bundestag führte. Dort nahm sie Stellung zum Gesetzentwurf der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder.

    "Das Ziel, was in diesem Gesetz formuliert ist, ist, dass allen Frauen eine fachliche Assistenz zur Geburt zusteht."

    Dabei geht es um Frauen, die sich in Notlagen befinden und deshalb anonym entbinden wollen. So geht es rund 100 Frauen pro Jahr in Deutschland. Zwei Drittel von ihnen bekommen Ihr Baby im Krankenhaus, wollen aber ihren Namen nicht nennen. Die übrigen 30 Frauen legen ihr Kind in den sogenannten Babyklappen ab; rund 90 Wärmebettchen gibt es mittlerweile in Deutschland. Der Deutsche Ethikrat kritisiert die Babyklappen seitdem es sie gibt, also seit mehr als zehn Jahren; unter anderem, weil die Frauen ihre Kinder ohne fachliche Assistenz gebären und weil die Kinder nie erfahren können, woher sie eigentlich stammen. Das neue Gesetz soll die Babyklappen ablösen. Schwangere in Notlagen sollen die Sicherheit haben, in einer Klinik oder an einem anderen frei gewählten Ort ihr Baby zu bekommen. Die Daten der Mutter sollen vertraulich behandelt werden und in einem Umschlag verwahrt bleiben. Erst wenn das Kind 16 Jahre als ist, kann es Auskunft über seine Abstammung verlangen. Dass die Frauen, die vertraulich gebären, ihr Kind grundsätzlich zur Adoption freigeben wollen, wird vorausgesetzt. Genau hier liegt die Schwachstelle des Gesetzes, sagt Katharina Jeschke.

    "Alle anderen Frauen, die zum Beispiel ihre Kinder behalten möchten oder jene Frauen, die erst nach der Geburt so starke Konflikte haben, dass sie ihre Kinder hergeben möchten oder vielleicht vorübergehend abgeben möchten, bis sie sich selber wieder gefangen haben – all jenen Frauen wird mit dem Gesetzentwurf nicht geholfen."

    Katharina Jeschke hat solche Schicksale schon erlebt. Sie erzählt von einer Ungarin, die von einem Bremer Geschäftsmann illegal nach Bremen gebracht wurde. Der zwang sie zur Prostitution, die Frau wurde schwanger. Eine Kollegin von Katharina Jeschke war bei der Geburt dabei und konnte sich auch später noch davon überzeugen, dass die Ungarin ihr Kind liebevoll großzog; zusammen mit einer Freundin.

    "Wenn ich mir diese Geschichte überlege und denke, in wie viel Familien ich war, als Hebamme, in denen Reichtum, ein Haus, zwei Autos, zwei Einkommen, alles war, was man sich gesellschaftlich vorstellte, aber dieses Kind war nicht warmherzig empfangen. Ich möchte dringend alle ermahnen, die sich wagen, ein Urteil zu fällen, vorsichtig zu sein, bevor sie ein Urteil über eine solche Frau sprechen."

    Wer illegal in Deutschland lebt, kann nicht verlangen, sein Kind in der Illegalität aufziehen zu dürfen, sagt dagegen Rainer Bensch, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion.

    "Wir können nicht Menschen, die in Notlagen sind, einen gesetzlichen Rahmen für nochmaliges illegales Verhalten bieten. Stellen sich mal vor: Viele Menschen wollen aus ganz anderen Gründen anonym bleiben. Die wollen keinen Wohnsitz angeben, die wollen ihren Ausweis nicht angeben. Wir brauchen schon ein geordnetes Zusammenleben der Menschen. Dafür gibt es ja letztendlich auch Gesetze."

    Frauen, die anonym gebären und ihr Kind behalten wollen, werden die "vertrauliche Geburt" nicht nutzen können, sagt Katharina Jeschke. Im Zweifelsfall entscheiden sie sich für eine Geburt ohne fachliche Assistenz. Damit wäre die Gesundheit der Mutter und des Babys nach wie vor in Gefahr. Ob die Kritik des Hebammenverbandes dazu geführt hat, dass der Bundestag heute nicht über den umstrittenen Gesetzentwurf entscheidet, ist unklar. Ein neuer Termin steht bislang nicht fest.