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Keine Alternative zur Atom-Diplomatie

Die Internationale Atomenergie-Organisation, kurz IAEO, erhielt 2005 gemeinsam mit ihrem damaligen Generaldirektor Mohamed ElBaradei den Friedensnobelpreis. Nun hat er seine spannenden Erinnerungen vorgelegt.

Von Mirko Smiljanic |
    Wenn Präsidenten die politische Bühne verlassen, folgen fast schon reflexartig "Erinnerungen". Sie bekämpfen damit den eigenen Bedeutungsverlust, verdienen viel Geld, polieren am politischen Selbstbild und rechnen nebenbei mit Gegnern ab. Liegen die Memoiren vor, stellt sich aber rasch heraus: Der Berg kreißte und gebar ein Mäuschen!

    "Erinnerungen" bestehen häufig aus viel taubem Gestein, das dünne Goldadern durchzieht – von Ausnahmen abgesehen. Eine solche Ausnahme ist Mohamed ElBaradei, zwischen 1997 und 2009 Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation, kurz IAEO. In seinem Buch "Wächter der Apokalypse – Im Kampf für eine Welt ohne Atomwaffen" beleuchtet er die dramatischen Jahre seiner Amtszeit, vom 11. September 2001 über die Kriege im Irak und in Afghanistan bis hin zu den Atomprogrammen Nordkoreas und Irans.

    Vieles ist seit Langem bekannt, aus Perspektive der IAEO beschrieben, bekommt es aber eine besondere Nähe. Etwa die Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak: Eine Ladung Aluminiumrohre galt als unumstößlicher Beleg für die Existenz des irakischen Atomprogramms.

    Am 27. Januar hatte ich in meinem Bericht an den Weltsicherheitsrat erklärt: "Wir haben bislang keine Beweise dafür gefunden, dass der Irak sein Programm zum Bau von Kernwaffen wieder aufgenommen hat." Vertreter westlicher Regierungen und Medienkommentatoren, die zu ihren eigenen Schlüssen gekommen waren, hatten diese Stellungnahme scharf kritisiert, doch die Kritiker beriefen sich auf Spekulationen und präsentierten sie als Beweise. Was ich gesagt hatte, war die Wahrheit.

    Mit vielen Hintergrundinformationen angereichert, beschreibt der ägyptische Spitzendiplomat die Mühsal der Inspektionen und die teilweise plumpen Versuche der USA, die Atomenergie-Behörde für ihre politischen Interessen zu instrumentalisieren. Da war zum Beispiel David Kay, ein US-Beamter ohne technische Erfahrung, der auf wundersame Weise zum Inspektor des "Iraq Action Team" berufen wurde. Er sei während der Inspektionsreisen nicht nur durch seinen aggressiven Umgang mit den irakischen Wissenschaftlern unangenehm aufgefallen.

    Während der Debatte um die Irak-Resolution des Weltsicherheitsrates waren wir zusammen nach New York gereist. Ohne mich zu fragen oder zu informieren, traf er sich mit Regierungsvertretern, was gegen die übliche Praxis der IAEO verstieß. Rückblickend erscheint es durchaus denkbar, dass Kay für die amerikanischen Geheimdienste arbeitete und Informationen an sie weitergab. Ob Blix und Zifferero von Kays möglichen Geheimdienstverbindungen wussten, kann ich nicht sagen.

    Der politische Druck auf ElBaradei wuchs. Mit ihm, das war der Bush-Administration klar, würden sich Massenvernichtungswaffen im Irak kaum nachweisen lassen. Zum Eklat kam es schließlich im Dezember 2004, als bekannt wurde, dass ElBaradei systematisch von den USA belauscht wurde. Hintergrund war seine bevorstehende Wiederwahl zum Generaldirektor der IAEO. Man habe belastendes Material gesucht, um ihn aus dem Amt zu drängen, vermutet ElBaradei.

    Falls ein solches Manöver tatsächlich geplant war, misslang es: Im August 2005 erhielten er und die Atomenergiebehörde den Friedensnobelpreis, im September bestätigte die Hauptversammlung ihn für weitere vier Jahre im Amt. In dieser letzten Amtszeit standen Nordkorea und der Iran im Zentrum seiner diplomatischen Bemühungen.

    Hintergrundgespräche mit George W. Bush und Barack Obama, Nicolas Sarkozy und Mahmud Ahmadinedschad folgten, die allerdings nicht immer erfolgreich endeten. Mitte Mai 2010 hatten Brasilien und die Türkei mit der Führung Irans einen Kompromiss zum Austausch von Uran für einen Forschungsreaktor ausgehandelt. Der Iran – so sah die Vereinbarung vor – bringt schwach angereichertes Uran in die Türkei und bekommt im Gegenzug Brennstäbe für den Reaktor. In letzter Sekunde stieß die Vereinbarung aber auf Kritik. Die USA, Frankreich und Russland bemängelten, Teheran habe nach der Tauschaktion immer noch genug Uran, um eine Atombombe zu bauen.

    Ich war sprachlos und zutiefst enttäuscht. In einem Interview sagte ich, der Westen habe ein Entgegenkommen ein weiteres Mal ausgeschlagen. Brasilien und die Türkei waren wütend. Ahmadinedschad forderte die Vereinigten Staaten auf, den Handel als einen Schritt zu Offenheit und Dialog doch noch zu akzeptieren. Im Weltsicherheitsrat stimmte Brasilien gegen die Sanktion. Aber es war zwecklos. Wieder einmal war die Lösung zum Greifen nahe gewesen, und die westlichen Mächte hatten sie vom Tisch gefegt.

    Interessanterweise wurde zeitgleich Stuxnet entdeckt, eine Schadsoftware, die Teile der iranischen Atomanlagen unbrauchbar machte. Stuxnet ist ein so raffiniert geschriebenes Programm, dass viele Experten Geheimdienste hinter der Attacke vermuten.

    "Wächter der Apokalypse – Im Kampf für eine Welt ohne Atomwaffen" ist gut lesbar, bietet eine Fülle zeitgeschichtlicher Informationen, und es birgt eine Mahnung: Trotz der Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima ist die militärisch genutzte Atomkraft immer noch weitaus gefährlicher als ihr industrieller Einsatz. Für Mohamed ElBaradei bedeutet dies zweierlei: Es gibt keine Alternative zu einer atomwaffenfreien Welt, und es gibt keine Alternative dazu, wie dieses Ziel erreicht wird: durch Diplomatie.

    Die Atomdiplomatie ist ein zähes und kompliziertes Geschäft. Aber der Weg ist klar: Wir sind eine menschliche Familie, und ob wir es wollen oder nicht, wir sitzen alle in einem Boot. Das einzig sinnvolle und erstrebenswerte Ziel ist die Sicherheit aller Menschen.

    Mohamed ElBaradei: "Wächter der Apokalypse. Im Kampf für eine Welt ohne Atomwaffen."
    Campus Verlag, 366 Seiten, 24,90 Euro.
    ISBN: 978-3-593-39348-3