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Keine brotlose Kunst

Die Gleichung "Philosoph gleich Taxifahrer" beschreibt nach landläufiger Meinung den Karriereweg von Geisteswissenschaftlern. Dass es auch anders geht, zeigt Beate Schreiber. Die studierte Historikerin hat sich zusammen mit einem Partner selbstständig gemacht und bietet ihren Auftraggebern professionelle Recherchedienste an.

Von Markus Rimmele |
    Sie ist eine, die es geschafft hat. Eine Geisteswissenschaftlerin, die von der Geisteswissenschaft lebt. Und das auf eigene Rechnung. Kein Schuldienst, keine akademische Laufbahn, keine Kulturinstitution. Beate Schreiber, Jahrgang 1971, ist Unternehmerin. Nach dem Geschichtsstudium gründete sie mit einem Partner zusammen in Berlin die Firma Facts & Files. Die beiden betreiben historische Aktenforschung als Dienstleistung. Ihre Themen bunt gemischt: Provenienzrecherche zu Kunstgütern, Bodenreform in der DDR oder Arisierung jüdischen Eigentums in der NS-Zeit. Die Kunden sind Unternehmen, Rechtsanwälte, die Bundesregierung, Privatpersonen.

    "Die haben meistens ein Problem, dass sie nicht genau wissen, wie es vonstatten gegangen ist oder dass sie eine Dokumentation brauchen, um etwas belegen zu können, oder weil es sie einfach interessiert. Das gibt es auch. Und da ist einfach das Bewusstsein gewachsen auch in Deutschland, dass man sich dafür nicht selber irgendwie jahrelang in Archiven rumtreibt, sondern lieber jemanden beauftragt, der das kann und der dann im Prinzip auch in der Pflicht steht, das mit wissenschaftlichen Methoden zu machen."

    Mittlerweile hat Facts & Files zehn Mitarbeiter und Erfolg. Vor zwei Jahren gab es den Grimme Online Award für eine Website zur Geschichte der Jugendopposition in der DDR. Beate Schreiber ist eine der Referentinnen bei der Tagung am Berliner Gendarmenmarkt. Sie steht für einen neuen Trend: Geisteswissenschaft als Dienstleistung. Sie bietet ihr Wissen und ihre handwerkliche Professionalität auf dem freien Markt an. Das ist eine Chance, die mehr Geisteswissenschaftler nutzen sollten, sagt der Vorsitzende des Deutschen Kulturrats Max Fuchs:

    "Es gibt jetzt die ersten Philosophen, die keine Lehrstühle kriegen und so ein kleines philosophisches Beratungsbüro als Dienstleistung anbieten. Ich glaube schon, dass da der Kreativität überhaupt keine Grenzen gesetzt sind. Man kann es auch kritisieren. Richard Sennett, wenn er über den flexiblen Kapitalismus schreibt, kritisiert natürlich auch ein bisschen dies. Aber was will man tun?! Die Kohle ist ja notwendig. Man muss schauen, und das ist Aufgabe des Kulturrates, dass die Leute wenigstens ein gewisses soziales Netz haben und nicht völlig ins Nichts fallen. Wir müssen uns aber auch in unserer Politik dann auf diese größer werdende Gruppe von Freiberuflern verstärkt konzentrieren."

    Dienstleistung und Freiberuflichkeit unter Geisteswissenschaftlern – das ist eines der Tagungsthemen. Es geht aber auch um die Frage nach einer zeitgemäßen Ausbildung für Geisteswissenschaftler, nach ihrer Rolle als Kulturvermittler – sei es in der Erwachsenenbildung, sei es in der kirchlichen Akademiearbeit oder im Bibliothekswesen. Die Arbeit im Kulturbereich verleiht Lebenssinn, sagt Max Fuchs, und die Gewissheit, eine für die Gesellschaft wichtige Arbeit zu tun. Doch klar ist auch: Der Kulturbereich ist ein schwieriger Arbeitsmarkt, gekennzeichnet von Finanzknappheit in den Kulturinstitutionen, von befristeten Arbeitsverhältnissen, Werkverträgen und einem Mangel an festen Stellen. Die meisten Geisteswissenschaftler zieht es daher auch in andere Branchen. Bundesbildungsministerin Annette Schavan:

    "Zwei Drittel all derer, die im Jahr 2001 ein geisteswissenschaftliches Studium – Lehramt ausgenommen – absolviert haben, sind in der Industrie tätig. Sie sind in guter Stelle angekommen. Der überwältigende Anteil derer, die Geisteswissenschaften studiert haben, sagen, nach fünf Jahren haben sie die Stelle und die Tätigkeit, die sie wollten. Gleichwohl gilt für die Geisteswissenschaften, wie aber für sehr viele Bereiche, dass es natürlich auch die zeitliche Befristung gibt und damit eine längere Phase häufig, bis es dann im Übergang vom Studium zum Beruf zur wirklich festen Anstellung kommt."

    Kein Grund also, vor einem geisteswissenschaftlichen Studium zurückzuschrecken, so Schavan, die selbst Philosophie und Theologie studierte. Die Gleichung "Philosoph gleich Taxifahrer" hält der Empirie nicht stand. Auch der Kulturbereich ist trotz der prekären Arbeitsmarktlage nicht zwangsläufig eine Sackgasse. Wer kreativ ist, kann sich neue Nischen erobern. Und dann klappt das auch mit dem Geld. Beate Schreiber:

    "Es ist nicht so, dass man sich einen Porsche leisten kann. Das will eigentlich auch niemand von uns so richtig. Aber das ist eigentlich schon in Ordnung. Man wird nicht superreich, vielleicht ein bisschen reich, irgendwann mal am Ende. Vielleicht lohnt es sich ja. Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung."