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"Keine Chance auf Realisierung"

Eine Kopfpauschale wäre nicht finanzierbar, kritisiert der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder. Für bis zu 40 Prozent der Versicherten müsste ein Ausgleich gezahlt werden, da ansonsten eine soziale Schieflage entstünde.

Markus Söder im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Im Grunde genommen ist im Koalitionsvertrag genau festgehalten, in welche Richtung Schwarz-Gelb in Sachen Gesundheitspolitik geht: einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge. Der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) will sie offenbar nicht. Bevor ich mit ihm darüber spreche, rufen wir uns die entscheidende Passage des Koalitionsvertrags deshalb noch einmal in Erinnerung.

    "Langfristig wird das Bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie, regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden. Weil wir eine weitgehende Entkoppelung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten wollen, bleibt der Arbeitgeberanteil fest."

    Herter: So weit der Auszug des geltenden Koalitionsvertrages. – Ich bin mit Markus Söder verbunden, dem bayerischen Gesundheitsminister. Guten Morgen, Herr Söder!

    Markus Söder: Guten Morgen, grüß Gott.

    Herter: Grüß Gott! – Steht die CSU nicht mehr zum Koalitionsvertrag? Wir haben es gerade gehört: einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge. Das steht im Koalitionsvertrag. Wollen Sie das auch?

    Söder: Da steht auch drin, dass wir zum Beispiel mehr Wettbewerb wollen für die Kassen, mehr Beitragsautonomie, mehr regionale Aspekte, was gerade für die südlichen Länder von ganz entscheidender Bedeutung ist. Deswegen ist die Fixierung, die alleinige Fixierung auf die Kopfpauschalenidee, die wird ja dem Koalitionsvertrag nicht gerecht. Das heißt, wenn man ein Finanzierungssystem vorlegt, dann muss man die anderen Bereiche mindestens gleichberechtigt vorlegen. Aber das Problem ist ja etwas anderes. Das Problem ist ja neben der grundsätzlich gesellschaftlich hoch schwierigen Akzeptanz auch letztlich die Finanzierbarkeit eines solchen Kopfpauschalenmodells, wo kein Mensch weiß, wie hier ein sozialer Ausgleich stattfinden könnte.

    Herter: Aber bleiben wir noch mal bei dem Punkt einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge. Das heißt Kopfpauschale. Richtig?

    Söder: Zumindest geht es in die Richtung. Allerdings muss man sagen, dass dieser Koalitionsvertrag ja dann nachher von der FDP sehr stark interpretiert wurde, sehr stark interpretiert, als die Kopfpauschale und zwar in reinster Form das Modell wäre, und ich bleibe da grundlegend skeptisch, deswegen einfach, weil es ein tief verankertes gesellschaftliches Solidarprinzip ist, dass derjenige, der etwas mehr hat, etwas stärker ist, auch einen stärkeren Beitrag zur Solidarität in die Versicherung erbringt, und dass der, der schwächer ist, eben damit die Chance hat auf Hilfe. Das ist das Entscheidende. Es geht ja letztlich aus Sicht der Patienten. Es geht ja nicht, wer theoretisch Recht hat, sondern es geht am Ende, was ist aus Sicht vom Patienten und Beitragszahler das Beste, und da glaube ich, dass die Kopfpauschale in reinster Form schlicht und einfach gesellschaftlich ein Akzeptanzproblem hat.

    Herter: Wie ist aber dieses Wort, dieser Begriff dann in den Koalitionsvertrag hineingeraten? Sie waren ja an den Verhandlungen beteiligt.

    Söder: Koalitionsverträge sind Kompromisse. Sie sind auch nicht die reine Wahrheit, sie sind aber Kompromisse und in der Tat hat man gesagt, man wird versuchen, darüber zu diskutieren. Deswegen gibt es jetzt auch eine Regierungskommission. Ich glaube allerdings, dass es ja noch ein ganz anderes Problem gibt. Das ist ja eine theoretische Frage. Theoretische Konstrukte kann man theoretisch diskutieren, aber man muss sie letztlich ja auf ihre praktische Relevanz überprüfen. Wenn man feststellt, dass man eine Kopfpauschale will, dann sagen ja selbst die eifrigsten Befürworter, weil sie letztlich ein schlechtes Gewissen haben wegen der sozialen Schieflage, wir brauchen eine Art sozialen Ausgleich.

    Herter: Und was würde das kosten?

    Söder: Genau das ist das Problem. Nach fast allen Schätzungen macht man zum einen übrigens fast 40 Prozent der Deutschen dann zur Art sozialen Zuwendungsempfängern. Man muss sich das mal überlegen. Man schätzt, dass bis zu 40 Prozent dann quasi Unterstützung bräuchten, und das schätzt man zwischen, sagen wir, 15 und 30 oder 40 Milliarden, je nachdem wie groß man eine solche Prämie gestaltet. Wer soll das Geld bei den steuerlichen Situationen aufbringen? Insofern, glaube ich, würde es am Ende eine theoretische und wenig praktisch relevante Frage bleiben.

    Herter: Noch in diesem Monat soll die Kommission, die von Ihnen angesprochen worden ist, eingesetzt werden, sie soll sich der Sache annehmen. Warum soll denn in der Kommission gelingen, was in den Koalitionsverhandlungen gescheitert ist?

    Söder: Das ist eine gute Frage, da weiß ich auch keine abschließende Antwort. Ich hätte mir auch ehrlich gesagt gewünscht, dass wir, wenn wir die Probleme jetzt sehen – wir haben übrigens im Koalitionsvertrag wirklich gute Sachen beschlossen, zu dem stehen wir auch, was die ärztliche Versorgung betrifft, was die Versorgung für ältere Patienten betrifft, was auch die Ausrichtung der Krankenhauspolitik betrifft, gute Beschlüsse, eine Abkehr auch von dem, was Ulla Schmidt jahrelang letztlich als zentralistische Gesundheitspolitik gemacht hat -, ich würde mir auch wünschen, dass wir die Konzentration auf die Umsetzung der Beschlüsse richten, die praktisch für die Patienten relevant sind und weniger ideologische sind. Deswegen wäre auch eine Regierungskommission wahrscheinlich besser gewesen, die sich zum Beispiel mit der Frage beschäftigt, wie wir die Entbürokratisierung hinbekommen, denn wir haben nach wie vor ein Riesen Problem der Bürokratiekosten im deutschen Gesundheitswesen. Da anzusetzen, Formulare abzubauen – mir hat noch keiner hier erzählen können, dass ein Formular eine heilende Wirkung gehabt hätte -, solche Dinge wären praktisch wesentlich wichtiger, als eine Debatte, die meiner Sicht nach keine Chance auf Realisierung hat.

    Herter: Wettbewerb zwischen den Krankenkassen soll es geben, aber haben wir nicht viel zu viele Krankenkassen, wenn Sie gerade die Bürokratie schon ansprechen?

    Söder: Und wir haben ja die Krankenkassen in den letzten Jahren massiv reduziert, sind reduziert worden. Es gibt auch jetzt nach wie vor große Fusionen, viele Krankenkassen stehen vor dem Aus, durch auch den Einheitsbeitrag des Fonds, übrigens leider auch viele sozialpolitisch hoch bedeutsame Betriebskrankenkassen, die jetzt fusionieren müssen.

    Trotzdem hat sich die Gesamtbürokratie ja nicht verändert. Die Bürokratie definiert sich nicht über die Anzahl der Kassen, sondern über die Vorgänge im Gesundheitswesen. Wenn man überlegt, dass in Deutschland der durchschnittliche Arzt-Patienten-Kontakt über alle Behandlungsformen hinweg sieben Minuten ist, der Dokumentationsaufwand desselben aber doppelt so lang, 14 Minuten. Zwei Drittel der Zeit müssen unsere Ärzte sich mit Formularen herumplagen, anstatt Patienten zu helfen. Da liegt der eigentliche Ansatz, da müssen wir ran.

    Herter: Was ist mit der Pharmaindustrie? Da gibt es Experten, Fachleute, die sagen, da könnte man bis zu sechs Milliarden jährlich herausholen und Deutschland sei ein Schlaraffenland für die Pharmaindustrie. Sehen Sie das auch so?

    Söder: Wichtig ist – und in der Tat: Wir waren mal die Apotheke der Welt -, wir sind im innovativen Bereich der Arzneimittel immer noch stark und ich hoffe, das wollen wir auch bleiben, denn ansonsten gehen Tausende von Arbeitsplätzen verloren. Das sind in Deutschland über 50.000 Arbeitsplätze. Wir können uns in der jetzigen Situation es auch nicht leisten, einfach zu sagen, eine ganze Industrie interessiert nicht. Aber in der Tat: Ein Beitrag muss erbracht werden. Ich wünsche mir aber intelligente Lösungen, nicht die klassischen Ulla-Schmidt-sparenden und Dämpfungsgesetze, die hoppla-hopp gemacht werden, sondern intelligente Lösungen.

    Man könnte zum Beispiel deutlich sparen, indem man Vertragsmöglichkeiten zwischen Kassen und Pharma ausweitet, indem man zum Beispiel ein neues Element einführt: nicht bezahlen nach der Masse der Medikamente, sondern nach der Qualität, dass dann der Patient sozusagen nicht für die Tablette, sondern für deren Wirkung zahlt, also mit Geld-zurück-Garantie. Es gibt einzelne Medikamente, wo das schon gemacht wird, beispielsweise bei Osteoporose-Mitteln oder bei Immunsuppressiva-Mitteln. Da gibt es schon solche Vertragselemente. Das ausbauen, könnte viel Geld sparen.

    Herter: Bei der Pharmaindustrie lässt sich also einiges machen. Auf der anderen Seite: Was Sie da beschreiben ist wiederum mit Bürokratie verbunden. Wie wollen Sie das dann wieder vermeiden? Das sind doch Gegensätze.

    Söder: Nein, ganz im Gegenteil, weil das sind ja Möglichkeiten der Vertragsphilosophie. Sie müssen ja ohnehin verhandeln. Heute ist es ja so, dass es keinerlei Vertrags- oder kaum Vertragsverhandlungen zwischen Kassen und Pharma beispielsweise gibt, dass stattdessen es aber 30 regulierte Steuerungsinstrumente per Gesetz gibt über alle Formen hinweg, zum Teil mit völlig absurden Wirkungen – denken Sie an bestimmte Elemente der Rabattverträge, wo Patienten ein Medikament, bei dem sie bereit sind, zuzuzahlen, das sie halt unbedingt brauchen, nicht zahlen können, weil ihnen das der Rabattvertrag verbietet. Das ist ja absurd! Wenn wir da lichten, wenn wir diese Steuerungsinstrumente synchronisieren, vereinfachen, auf ihre Wirksamkeit überprüfen, haben wir echt auch was gewonnen.

    Herter: Dennoch gibt es Streit in der Koalition über anstehende Gesundheitsreformen. Glauben Sie, dass das der CSU und der FDP nützt, dieser Streit?

    Söder: Letztlich kommt es darauf an, was dem Patienten nützt. Es geht gerade in der Gesundheitspolitik, glaube ich, weniger um Taktik. Man kann mit der Gesundheitspolitik ohnehin - - Wer glaubt, damit jetzt große Wahlerfolge zu erzielen, der täuscht. Aber es geht doch um was anderes.

    Es geht darum, dass eine älter werdende Gesellschaft eine humane Medizin verdient, eine Medizin, die sich auch sprechend um die Patienten kümmert, die langfristig operiert. Das was wir an Ulla Schmidt immer kritisiert haben – und zwar zurecht -, war ein zentralistischer, sehr kurzfristig angelegter Politikansatz. Deswegen sollten wir einfach versuchen, das was wir im Koalitionsvertrag auch an neuer Gesundheitsarchitektur vereinbart haben, voranzubringen und uns weniger auf diese Streitfragen zu konzentrieren, sondern auf das Gemeinsame. Wir haben mit der Kopfpauschale nicht ständig begonnen, aber man muss natürlich eine Meinung sagen, insbesondere wenn man der Sorge ist, dass ist schlechter fürs Land.

    Herter: Markus Söder war das, der bayerische Gesundheitsminister, über Reformen im deutschen Gesundheitswesen. Vielen Dank, Herr Söder.

    Söder: Danke.