Martin Zagatta: Die grün geführte Landesregierung in Stuttgart will nun doch auf Diesel-Fahrverbote verzichten. Mitgehört hat Jürgen Resch, der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Herr Resch, wie beurteilen Sie das, was Sie jetzt heute Morgen von der Landesregierung hören? Ist das eine Rolle rückwärts?
Jürgen Resch: Ja, das ist es ganz eindeutig. Kretschmann hat einen schmutzigen Deal mit der Automobilindustrie angekündigt. Nur wir werden ihm da einen Strich durch die Rechnung machen, und morgen vor Gericht wird sich zeigen, ob das Verwaltungsgericht Stuttgart einen solchen Verzicht auf Fahrverbote akzeptieren wird. Denn das, was Herr Kretschmann präsentiert, ist ein Gespräch, das es gegeben hat. Es gibt noch nicht einmal ein verbindliches Angebot. Wir wissen nicht, welche Effekte eintreten werden. Vor allen Dingen für das Jahr 2018 wird das überhaupt keine Minderungswirkung haben. Im Grunde genommen ist es eine Luftnummer.
Entschärfung nach "vager Ankündigung der Autoindustrie"
Zagatta: Die Klage wird morgen verhandelt vor dem Verwaltungsgericht. Hat das jetzt einen direkten Zusammenhang, dass die Landesregierung heute jetzt noch mal mit dieser Klarstellung oder mit diesem Umdenken gekommen ist? Hat das mit dem Urteil etwas zu tun, oder gibt es da keinen Zusammenhang?
Resch: Ja, ganz unmittelbar. Wir haben vor zwei Tagen einen neuen Schriftsatz bekommen der Landesregierung, dass sie ihren eigenen Luftreinhalteplan, den sie vorgelegt hat vor Gericht, jetzt im Wesentlichen entschärft, und nur auf die vage Ankündigung, dass die Automobilindustrie mit einer Software-Lösung irgendwelche Verbesserungen machen könnte, von den Fahrverboten zurücktreten wird.
Nach allem, "was diese Industrie an Betrug praktiziert hat"
Das Verwaltungsgericht hat allerdings unsere Grundforderung schon im letzten Jahr aufgegriffen, dass nämlich im nächsten Jahr ab Januar 2018 im gesamten Stadtgebiet von Stuttgart die Luftqualitätswerte eingehalten werden müssen, und das erreichen Sie ausschließlich über eine weitgehende Aussperrung von Diesel-Fahrverboten. Deswegen gehen wir auch davon aus, dass dieses Modell vor Gericht natürlich scheitern wird, denn man stellt jetzt an Stelle einer konkreten Maßnahme die Ankündigung der Industrie, was Freiwilliges machen zu wollen. Was diese Industrie jetzt in den letzten Jahren an Betrug praktiziert hat, da jetzt zu sagen, wir geben uns voll in ihre Hände und verzichten auf Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung, das raubt mir doch ein bisschen den Atem.
Zagatta: Die Landesregierung argumentiert aber, wenn ich das jetzt in den ersten Informationen richtig verstanden habe, man habe sich jetzt dem Argument der Bundesregierung eigentlich angeschlossen, dass das juristisch gar nicht machbar sei, solche Fahrverbote. Wenn dem so ist, dann hätten Sie ja auch vorm Verwaltungsgericht wahrscheinlich mit Fahrverboten schlechte Chancen.
Resch: Ja, das Problem ist, dass da Herr Dobrindt ja schon gleich widersprochen hat und sich falsch zitiert fühlt, und wir haben auch in einem gestrigen Schriftsatz dem widersprochen und an vielen Beispielen aufgezeigt, dass sehr wohl auch in einer Umweltzone beispielsweise zusätzlich verkehrsberuhigte Bereiche, Fußgängerzonen eingerichtet werden dürfen, oder am Fall der Münchner Umweltzone, dass dort auch zusätzlich Lkw-Durchfahrtverbote ausgesprochen wurden. Natürlich sind diese zusätzlichen Maßnahmen möglich.
Umwelthilfe hofft auf Verwaltungsgericht-Entscheid
Das wird morgen sicher auch das Verwaltungsgericht bestätigen. Ich finde es irgendwie verwunderlich, wie eine grün-schwarze Landesregierung überhaupt nicht den Schutz der Bevölkerung in den Mund nimmt. Wir haben in Stuttgart die schmutzigste Luft in ganz Deutschland. Wir haben in Stuttgart besonders viele zu erwartende Todesfälle beziehungsweise auch Erkrankungen und man unternimmt nichts, um diesen Menschen in den nächsten ein, zwei Jahren zu helfen. Man möchte schon wieder Zeit gewinnen für die Zukunft, um diese schmutzigen Diesel in der Stadt zu belassen.
Deswegen sagen wir, wir brauchen jetzt klare Fahrverbote für die Diesel, die die Euro-sechs-Grenzwerte nicht einhalten. Das wird dann tatsächlich dazu führen, dass die Industrie sehr schnell die Exportqualität, die sie ja für die USA im Moment baut, auch in Europa verkauft. Dann kriegen wir saubere neue Diesel. Und wir hoffen, dass dann auch eine Nachrüstung beginnt, die ehrlich ist. Mit Software können Sie eine kaputte Abgasanlage nicht sauber kriegen. Sie müssen wirklich dann die Fahrzeuge, die zukünftig eine Ausnahme erhalten, mit einer neuen funktionstüchtigen Abgasreinigung versehen.
Hersteller wollten mit 100 statt 1.500 Euro davonkommen
Zagatta: Also eine Art Katalysator?
Resch: Da muss ein SCR-Katalysator mit Harnstoff dazu.
Zagatta: Und das ist teuer.
Resch: Das kostet ungefähr 1500 Euro. Die Autoindustrie möchte mit 100 Euro davonkommen, nämlich irgendwie ein bisschen was verändern an der Motorsteuer-Software. Wir haben das ja bei VW nachgemessen. Die Nachbesserungsquote von den VW-Software-Updates beträgt zwischen null und 30 Prozent.
Zagatta: Also würde nicht ausreichen?
Resch: Das reicht bei weitem in Stuttgart nicht aus. Wir haben über 100 Prozent Überschreitung der Grenzwerte.
Umwelthilfe will Fahrverbote ab Januar
Zagatta: Und die Nachrüstung, Herr Resch, wenn ich da noch nachhaken darf, die Nachrüstung mit Katalysatoren, das bis 2018 zu schaffen, so wie das die Landesregierung jetzt ja wohl plant und der Autoindustrie angeboten hat, wäre das überhaupt zu machen?
Resch: Die Software-Nachrüstung würde ja erst nächstes Jahr gestartet werden. Die würde 2019/2020 starten mit einer ganz, ganz minimalen Wirkung und dem Verzicht auf Fahrverbote. Unser Modell sieht vor: Es gibt Fahrverbote für alle schmutzigen Diesel, und zwar ab Januar 2018, und dann gibt es einen entsprechend enormen Druck auf die Industrie, schnell voranzumachen, möglichst viele der betroffenen Fahrzeuge entsprechend nachzubessern. Ich glaube, dass die Stuttgarter Bürger – das sind ja ein paar zehntausend Fahrzeuge -, dass die dann auch tatsächlich innerhalb von einem dreiviertel oder von einem Jahr ertüchtigt werden können, und zwar auf Kosten der Hersteller, denn die haben ja betrogen, dass sie dann wieder einfahren können. Was nicht geht, ist, dass man jetzt in irgendwelchen Übergangszeiten weiterhin die Menschen vergiftet, die in Stuttgart leben.
"Selbst ein grüner Ministerpräsident knickt ein"
Zagatta: Wenn Sie bisher bei Ihrem Kampf gegen diese Verschmutzung durch Diesel-Abgase Unterstützung bekommen haben überhaupt aus der Politik, dann ja eigentlich von den Grünen. So war das in der Vergangenheit. Wie bewerten Sie denn jetzt, dass ausgerechnet die Grünen diese Rolle rückwärts machen?
Resch: Ich muss ja erst mal grundsätzlich sagen, Herr Kretschmann hat ja durchaus auch Eis gebrochen, indem er als erster Ministerpräsident die Fahrverbote angekündigt hat im Februar, nach einem Gespräch, das wir geführt hatten. Ich habe ihm gesagt, er soll den Bürgern reinen Wein eingießen, dass sie um Fahrverbote nicht herum kommen. Er hat das dann im Februar auch gemacht. Ich muss gleichzeitig feststellen, dass der Druck der Automobilindustrie auf die Politik in Deutschland so massiv ist, dass selbst ein grüner Ministerpräsident nicht zum ersten Mal einknickt, und das sollte uns ein bisschen zu denken geben, wer in Deutschland wirklich die Macht hat.
"Wir brauchen Rückeroberung des Ordnungsrechts durch den Staat"
Dieses eheähnliche Verhältnis zwischen großen Industrien, insbesondere hier die Automobilindustrie, und Landes- wie Bundesregierung führt zu schwierigen Situationen für eine Demokratie, weil dann Entscheidungen nicht mehr in der Politik, sondern letztendlich vorgegeben werden mit dem Argument, wie heute auch vom VDA gesagt, 620.000 Arbeitsplätze sind bedroht, und damit drückt man dann jeden Gesetzesverstoß durch für die Zukunft. So kann es nicht bleiben. Wir brauchen eine Rückeroberung des Ordnungsrechts durch den Staat, und auch ein großer Automobilkonzern muss sich dann einfach danach orientieren, dass er für schmutzige Fahrzeuge, die rechtswidrig die Luft verpesten, die Verantwortung übernehmen muss. Ein Teil des Gewinns, der erzielt wurde, ist zu investieren jetzt in eine Reparatur der Abgasreinigung.
Zagatta: Herr Resch, da sind wir gespannt, was morgen vor Gericht oder beim Gericht herauskommt. Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch. Das war Jürgen Resch, der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Einen schönen Tag!
Resch: Einen schönen Tag noch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.