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Keine Entschuldigung, aber Vergebung

Anlässlich des Prozessbeginns um das Inzest-Drama von Amstetten bezeichnet der österreichische Zisterziensermönch Pater Karl Wallner die Verbrechen als "unfassbar" und "monströs". Es sei bedrückend, dass diese in Österreich geschehen seien. Entschuldigen würde er den Angeklagten Josef Fritzl nicht, Gott sei jedoch unendlich barmherzig. "Das ist die letzte Hoffnung, die ich für ihn habe."

Karl Wallner im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Amstetten, eine unfassbare Geschichte, unfassbare Verbrechen. Eine Tochter fast ein viertel Jahrhundert von ihrem eigenen Vater in ein Kellerverlies eingesperrt, unzählige Male vergewaltigt und gequält, sieben gemeinsame Kinder, drei von ihnen sahen bis zur Befreiung vor einem Jahr nie das Tageslicht. Das Inzestmonster von Amstetten, ein Fall, der weltweit Schlagzeilen machte.

    Heute beginnt der Prozess gegen Josef Fritzl. Es wird mit einem kurzen Verfahren gerechnet. Josef Fritzl ist in weiten Teilen geständig. Seinen Opfern bleibt somit ein Auftritt vor Gericht erspart.

    Bei mir am Telefon ist nun Pater Karl Wallner, Zisterziensermönch im Kloster Heiligenkreuz in der Nähe von Wien und Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule Heiligenkreuz. Guten Morgen!

    Karl Wallner: Guten Morgen, grüß Gott!

    Heinlein: Pater Karl, vor einem Jahr wurden die unfassbaren Verbrechen aufgedeckt. Wie schwer lastet Amstetten nach wie vor auf der Seele der Menschen in Österreich?

    Wallner: Ich würde sagen, dass wir in Österreich natürlich betroffen und bedrückt sind. Es handelt sich bei beiden Taten ja um solche Monstrositäten, die sich nirgendwo einreihen lassen. Also, das passt in keine Kategorie von Verbrechen, die man sonst kennt. Es ist unfassbar - und natürlich sind wir auch bedrückt, dass diese Verbrechen in Österreich geschehen sind. Da ist irgendetwas in der Seele dieser Menschen völlig verrückt, dass etwas so passieren kann.

    Heinlein: Ist der Fall Fritzl gemeinsam mit dem Fall Natascha Kampusch ein tiefes Trauma für die österreichische Gesellschaft?

    Wallner: Also, ich würde sagen, dass wir versuchen, natürlich damit fertig zu werden und es irgendwie zu verdrängen. Amstetten liegt nur wenige Kilometer hier von meinem Stift Heiligenkreuz im Wienerwald entfernt, ist eine sehr bürgerliche Gemeinde, eine kleine Stadt, etwas völlig Harmloses, wo man nie erwarten würde, dass etwas so Böses geschehen kann, fast wie in einem Gruselfilm amerikanischer Herkunft.

    Heinlein: Ist für Sie als Mönch, als Christ und Theologe zu verstehen, was in den 24 Jahren im Kellerverlies von Amstetten, in Ihrer Nachbarschaft geschehen ist?

    Wallner: Es ist für keinen Menschen unfassbar, dass etwas so Abscheuliches passieren kann, aber natürlich die menschliche Sünde, die Zerstörung der Seele, das "Kaputt sein von Beziehungen", das erlebe ich als Priester natürlich täglich, in anderen Dimensionen freilich, in geringeren Dimensionen, aber dass es das Böse, das Negative, die Sünde eben gibt, wie wir es nennen, das ist natürlich für mich eine Realität - und ich bin ja als Priester auch angetreten, um dagegen zu kämpfen und die Menschen jetzt auf den richtigen Weg zu Gott zu führen.

    Heinlein: Ist Josef Fritzl ein Monster?

    Wallner: In gewisser Weise ist es ein "Es", das Monströse, das bei ihm geherrscht hat - wahrscheinlich. Er hat ja selbst Verwundungen mitbekommen aus seiner Kindheit. Man kann das sicher nicht als Entschuldigungsgrund anführen, dass etwas so Grausames passiert. Das ist ja typisch auch für uns Menschen. Indem wir Böses tun, sind wir zugleich immer auch Opfer letztlich einer höheren Gewalt namens Erbsünde, wie wir das nennen in der Theologie, und wir tun Dinge, die wir nicht wollen. Entschuldigen würde ich ihn auf keinen Fall. Also, ich habe ihn ins Gebet eingeschlossen, so wie jeden, der Böses tut. Ja also, Gott ist unendlich barmherzig - und das ist die letzte Hoffnung, die ich für ihn auch habe.

    Heinlein: Pater Karl, in diesen Tagen erscheint im Lübbe-Verlag Ihr Buch "Wer glaubt wird selig". Kann der Glauben uns auch allen helfen, dieses unfassbare Verbrechen zu begreifen?

    Wallner: Also, zu begreifen nicht, aber selbst für das eigene Leben das Richtige zu tun. Ich glaube, das ist das Entscheidende. Wir stehen hier neugierig, schockiert, staunend jetzt eben vor einem monströsen Verbrechen. Ich glaube aber, dass jeder jetzt in seiner eigenen Seele schauen sollte, ob es dort so hell und schön ist, dass er wirklich fähig ist zu lieben, wenn er Böses getan hat, um Verzeihung zu bitten, also einfach das Richtige zu tun.

    Ich glaube, da gilt das Wort des Herrn, dass wir nicht eben jetzt schielen sollen nach dem Splitter im Auge des Bruders, sondern wirklich schauen sollen, dass wir das Brett vor dem eigenen Kopf weg bekommen.

    Heinlein: Pater Karl, die Frage nach dem Warum, nach den Motiven, nach den tieferen Gründen wird immer gestellt nach solchen Verbrechen. Hat die Kirche hier eine Antwort?

    Wallner: Ich bin bei vielen traurigen Ereignissen, die jetzt nicht direkt sündhaft waren, weinend mit Eltern gesessen, wenn zum Beispiel ein kleines Kind gestorben ist oder ich einer Familie die Todesnachricht bringen musste, dass ihr 18-jähriger Sohn verunglückt ist.

    In diesem Fall Fritzl ist es natürlich jetzt eindeutig menschliche Schuld, abscheuliche menschliche Schuld, aber es gibt ein Geheimnis des Bösen. So nennen wir das auch in der Theologie, das "Mysterium iniquitatis". Der Apostel Paulus schreibt, ich will das Gute und tue das Böse, ein anderes Gesetz herrscht in mir, und wir müssen realistisch eben sehen, dass wir alle nicht gefeit sind davor, Böses zu tun - nicht in dieser Kategorie, das ist sicher eine horrende Ausnahme, aber trotzdem: Jeder möge sich hüten, jetzt hier gleich über dem Bruder den Stab zu brechen, sondern wirklich selber schauen, wo kann ich das Gute, das Richtige tun, wo kann ich die Liebe leben.

    Heinlein: Kann es auch für den Täter, für einen Täter wie Josef Fritzl Gnade und Vergebung im Glauben vor Gott geben?

    Wallner: Also, qir glauben daran, dass Gott unendlich barmherzig ist. Unser Herr Jesus Christus ist am Kreuz gehangen und hat allen Menschen verziehen und er hat seine Arme ausgebreitet, um alle zu umarmen, und Gott will, dass alle gerettet werden, und das ist vielleicht das Unbegreiflichste an unserem Gott, dass er in seiner Liebe auch zu solchen Menschen, die nicht "einordenbar" sind und denen wir menschlich gesehen, also, nicht irgendein Gefühl von Gnade entgegenbringen können, unendlich barmherzig ist. Daran glaube ich ganz fest.

    Heinlein: Aber der Tochter und den Kindern von Josef Fritzl dürfte es schwer fallen, ihrem Vater zu vergeben?

    Wallner: Ja. Ich glaube, dass es auch für die wichtig sein wird, jetzt eben auch psychologisch, therapeutisch und seelsorglich so betreut zu werden, dass sie die größte Gnade bekommen, die jemand, der so schwer verletzt, beschädigt worden ist, überhaupt empfangen kann, nämlich die Gnade zu verzeihen.

    Heinlein: Auch in Deutschland, Pater Karl, müssen wir mit einem unfassbaren Verbrechen leben: der Amoklauf von Winnenden mit 16 Toten. Kann der Glauben, kann die Kirche vor allem Trost spenden für die Angehörigen der Opfer?

    Wallner: Ich war jetzt gerade in Berlin und habe das hautnah mitbekommen, habe dort Jugendkatechesen gehalten und gesehen, wie die jungen Leute mit 15, 16 Jahren fassungslos sind, wie man sich nicht losreißen kann von den Dokumentationssendungen im Fernsehen.

    Ich glaube, dass der Glaube daran, dass es ein letztes Ziel gibt, dass es einen Himmel, letztlich eine ewige Gemeinschaft gibt, gerade im Angesicht eben dieser 15 völlig unschuldigen Opfer, dass das eine sehr große Kraft ist, um das zu bewältigen.

    Heinlein: Ist die Politik überfordert, solche Verbrechen zu verhindern? Ist jeder Einzelne in unserer Gesellschaft gefordert, egal ob in Österreich oder bei uns in Deutschland, genauer hinzuschauen, sich einzumischen und Verantwortung für den Nächsten dann zu übernehmen dann?

    Wallner: Ich bin immer dafür, dass man schaut, wo kann man im Generellen, also in der gesellschaftlichen Ordnung, in der politischen Ordnung, in der Gesetzgebung jetzt eben etwas verbessern. Das ist ja auch nach dem Amoklauf in Erfurt geschehen und hat ja dazu geführt, dass in Winnenden weit weniger Opfer passiert sind, als es hätte sein können. Ich bin aber vor allem dafür, dass jeder selbst beginnt - und dazu habe ich auch mein Buch geschrieben -, eine Kultur der Schönheit der eigenen Seele zu entfalten, denn nur dann, wenn wir beginnen, jetzt den Mist vor unserer eigenen Haustür wegzukehren, werden solche grauenhaften Dinge also hoffentlich nicht mehr passieren.

    Heinlein: Gehört zur Schönheit der eigenen Seele auch das "Sich einmischen" und eben "Nicht weggucken", wenn beim Nachbarn, beim Nächsten etwas passiert?

    Wallner: Ganz selbstverständlich! Unser Herr Jesus Christus wollte uns ja nicht als weltfremde Aliens hier auf diesem Planeten haben, die also nur Jenseitiges denken, sondern die mit beiden Beinen in der Wirklichkeit stehen, und ich glaube, Christen stehen ja überall jetzt an erster Front, sozial-karitativ, aber auch jetzt konkret in der psychologischen Betreuung eben dieser Menschen, die von solchen Verbrechen betroffen sind. Also, ich glaube, dass wir unbedingt die Welt verändern müssen. Hier auf dieser Erde beginnt schon ein Stück des Reiches Gottes - und jeder Christ ist gerufen, hier mitzuarbeiten.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der österreichische Zisterziensermönch Pater Karl Wallner. In diesen Tagen erscheint im Lübbe-Verlag sein Buch "Wer glaubt wird selig". Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Wallner: Danke schön. Grüß Gott!