Britta Fecke: Herr Vorreiter, Österreich hat die halbjährige EU-Ratspräsidentschaft inne und wollte sich bei der Flüchtlingspolitik als ehrlicher Makler präsentieren. Glaubhaft ist Wien nun nicht mehr, oder wie wird das in Brüssel wahrgenommen?
Paul Vorreiter: Dass Österreich aussteigt ist insofern außergewöhnlich, weil es als Inhaber der Ratspräsidentschaft und es ist auch die Aufgabe von Österreich, da auch Kompromisse zwischen den Mitgliedsländern in der Migrationspolitik zu erzielen - das hat Österreich zum Schluss auch versucht beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs im Oktober hier in Brüssel.
Stichwort war die "verpflichtende Solidarität", also das Modell, wonach Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, zum Beispiel Geld beisteuern sollen für Entwicklungshilfe. Dieser Vorschlag von Kanzler Kurz wurde scharf abgelehnt durch die deutsche Bundeskanzlerin, die befürchtet, so würde am Ende niemand mehr Flüchtlinge aufnehmen, sondern nur noch mit Geld seinen Beitrag leisten.
Kann Österreich noch als Brückenbauer zwischen den EU-Staaten fungieren?
Und deswegen stellt man sich die Frage, ob ein Land, das aus einem Regelwerk aussteigt, das sich eben global den Herausforderungen der Migration annimmt, also durchaus deswegen ein sehr wichtiges Abkommen ist, ob ein solches Land jetzt noch als Brückenbauer zwischen den EU-Staaten fungieren kann. Dementsprechend hört man aus dem Europaparlament auch scharfe Kritik, wie hier von Ska Keller, Ko-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im EP:
"Als Ratspräsidentschaft wollte die österreichische Regierung das Migrationsthema voranbringen, nach Lösungen suchen, Kurz hat selbst immer angemahnt, dass es multilaterale Ansätze geben muss. Und jetzt haben wir sie auf dem Tisch, und die österreichische Regierung sagt, da will sie nicht mitmachen."
Und Ska Keller ist da nicht alleine, Birgit Sippel, SPD, sie schließt sich dem an, sie empfand die Kritik von Jean Claude Juncker als zu lasch, und hätte sich noch härtere Worte gewünscht:
"Unabhängig davon, dass Österreich bedauerlicherweise nicht das einzige Land ist, das sich mit dem Global Compact nicht anfreunden kann, glaube ich tatsächlich, wenn denn der politische Wille da ist, dass es noch eine Einigung geben kann."
Jean Claude Juncker hat ja auch noch angekündigt, in den kommenden Wochen mit den Österreichern zu sprechen. Er sieht sich auch in seiner Forderung bestätigt, in außenpolitischen Fragen zu Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit überzugehen.
Fecke: Wie es scheint, finden alle Kräfte vom rechten bis zum linken Rand Argumente für oder gegen den UN-Migrationspakt. Lassen Sie uns ein Blick ins Detail werfen:
Auch Migranten stehen Menschenrechte und Grundfreiheiten zu
Vorreiter: Der Vertrag ist 34 Seiten lang und formuliert 23 Ziele und versteht sich selbst als einen nicht rechtsverbindlichen Kooperationsrahmen. Es geht einerseits darum, Rechte von Migranten zu formulieren, also nicht nur von Flüchtlingen, für die bereits die Genfer Flüchtlingskonvention greift. Auch Migranten stehen Menschenrechte und Grundfreiheiten zu. Sie sollen auch Zugang zu rechtlichen Dokumenten bekommen, um ihre Menschenrechte auszuüben, bestimmte Leistungen, "Grundleistungen" wortwörtlich, also etwa Bildung und Gesundheit. Es sollen Möglichkeiten der regulären Einreise zu Arbeitszwecken geschaffen werden. Migranten sollen außerdem vor Diskriminierung geschützt werden. Auch soll Migranten nicht willkürlich die Freiheit entzogen werden. Auch zu lesen ist, dass Fluchtursachen und Schlepperwesen bekämpft werden sollen. Man macht sich für ein koordiniertes Grenzmanagement stark. Es ist also ein Regelwerk, das möglichst viele Aspekte der Migration umfassen will und deshalb auch so viele Angriffspunkte bietet.
Fecke: Kritiker bemängeln aber, dass der Text zahnlos ist?
Vorreiter: Zwar ist ein Überprüfungsmechanismus vorgesehen, alle vier Jahre sollen sie zwischenstaatlich geprüft werden, wie sehr die Ziele umgesetzt wurden, der UN-Generalsekretär soll alle zwei Jahre berichten. Doch in der Tat sind die im Vertrag vorgesehenen Rechte nicht einklagbar.
Und es steht eindeutig drin, dass die Souveränität der Staaten unangetastet bleibt. Wörtlich heißt es: "Der Globale Pakt bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereichs in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln."
Also der Pakt stößt an seine Grenzen.