"Sexueller Notstand, was dir bleibt ist deine Hand / Komm nimm' dir ein paar Pornos und pinn' sie an die Wand / Mit den Typen ist heut nichts mehr los / Jedes Mal die gleiche Pein / Die ficken wie Kaninchen bloß und schlafen nachm Orgasmus ein / Sexueller Notstand!"
Das darf man gern "tote Hose" nennen, was die Düsseldorferinnen von Östro 430 vor ziemlich genau 40 Jahren ausriefen. Die Klage über den sexuellen Notstand, die jetzt zusammen mit sämtlichen Östro-Songs beim Label Tapete veröffentlicht wird, war die erste deutsche Punkhymne einer rein weiblichen Band.
Kampfansagen an Machos, Spießbürger und Sexverderber
Kennengelernt hatte man sich im Asta - und in der Publikumstraube eines Nina-Hagen-Konzerts. 1980 erschienen drei Songs auf einem Sampler, 1981 kam die erste EP, 1983 die einzige LP. Ungewöhnlich war neben der selbstermächtigenden Forderung nach Sex auch die Besetzung: Schlagzeug, Bass, Keyboard, Saxophon und Gesang – aber keine Gitarre. Sängerin und Saxophonistin Martina Weith erinnert sich:
"Wir haben auch lange, fast ein Jahr glaube ich, nach einer Gitarristin gesucht, aber es gab eben keine, die da reingepasst hätte. Entweder hattest du Mädels, die so Joan-Baez-mäßig, wanderklampfenmäßig unterwegs waren - das war natürlich ein absolutes No Go, wenn du harten Rock oder Punk machen wolltest. Oder du hattest welche, die wollten unbedingt das Brett rauslassen, wussten aber nicht mal, wie herum man die Gitarre hält."
Doch die fehlende Gitarre machte den Östro-Sound besonders - statt klassischem Punkrock-Posing setzten die Frauen auf basslastige Prä-NDW-Klänge. Ihre Texte waren trotzig herausgerotzte Kampfansagen an Spießbürger, Machos, Softies und andere Spiel- und Sexverderber. Und Spielverderberinnen: Trotz des grundfeministischen Ansatzes sah sich die Band nie als Aushängeschild einer, ihrer Ansicht nach, zu engstirnigen Bewegung, die sogar das Geschlecht des Bookers festlegen wollte.
"Dauernd diese Diskussionen: 'Ja, aber wieso nicht nur Frauen und bla'. Und dann haben wir gesagt: Sach ma, es gibt keinen weiblichen Konzertbooker, wir haben keinen gefunden, also nehmen wir einen Mann. Wo ist das Problem?' Wir haben uns einfach nicht in dieses Scheuklappendenken eingliedern lassen. Das lag mir völlig fern und das war auch uns allen vieren völlig fern."
Östro 430 ebneten den Weg für weibliche Rockbands
"Ihr trefft euch nur auf Feten ohne Mann und seid so lieb dass ich es nicht ertragen kann", singen Östro 430 in "Normal" - einem Song gegen diese Art von Exklusivfeminismus. In anderen Stücken ging es um Gewalt gegen Frauen, um Bier, um die Serie "Dallas" oder um blöde Nachbarn.
Östro 430 existierten nur wenige Jahre - einen starken Eindruck hinterließen sie dennoch. Nachfolgenden Musikerinnen zeigten Östro ein entspanntes Verhältnis zur DIY-Punk-Attitude in einer männerdominierten Rockwelt, in der Frauen üblicherweise Fan oder Groupie waren. Die Lassie-Singers-Gründerin und Universalmusikerin Christiane Rösinger erinnert sich:
"Ich weiß, dass es mich wie ein Schlag getroffen hat - sowas hatten wir alle noch nie gehört in der Zeit. Wir kannten natürlich andere Bands und Sängerinnen, aber da ging's immer eher um die Liebe. Aber sowas wie den Song 'Sexueller Notstand' oder 'Sie wollen mich in die Klapse schicken, denn mein Bett das quietscht beim Ficken' - das war unglaublich! Das haben wir dann im Auto gehört als wir durch die badische Provinz gefahren sind und haben laut mitgebrüllt. Die machten das einfach und das hieß: wir können das auch machen!"
"Keine Krise kann mich schocken", nach diesem Östro-Titel über ein Kind aus reichem Haus, ist die Compilation passenderweise benannt. Die Band geht demnächst - so Corona will - auf eine kleine Jubiläums-Tour, singt gegen sexuellen Notstand, Intoleranz und Scheuklappendenken. Denn anklagen lässt sich noch genug.