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Keine Oper im Emirat

Er sollte abendländische Kultur an den Persischen Golf holen: Michael Schindhelm, Regisseur, Intendant und Ex-Chef der Berliner Opernstiftung. Die Finanzkrise brach über das Emirat herein: Schindhelm gab seinen Job als Direktor der Dubai Culture and Arts Authority auf. Die Erfahrungen hat er in "Dubaispeed" veröffentlicht.

    "Es gab eigentlich zwei Sprachen, die in Dubai immer funktioniert haben, das ist Englisch und das ist das Geld."

    Aus dieser Einsicht hat Theatermann Schindhelm keine Konsequenz für sich gezogen, sondern die Chronik eines Misserfolgs für uns geschrieben, ein Tagebuch, eine Erfahrung des Scheiterns. Warum man im Finale die Latte gerissen hat, ist allemal interessanter als den Sieger zu befragen. Der Zweitplatzierte, der Verlierer ist der tragische Held. Und Misserfolg ist kommunikativ ertragreicher als Erfolg.

    "Tatsächlich ist es so, dass einen der Dubaispeed einholt."

    Es gab Zeiten, da stand Speed für Droge und Rausch, hier meint es nur die Umschlagsgeschwindigkeit des Kapitals, aber es hat Sound: Dubaispeed. Das klingt wie Beduine im Ferrari. Daraus bezieht die Stadt am Golf ihr Sex-Appeal für westliche Kulturmacher, die trügerische Illusion nämlich, es mit einem Labor der Moderne im Wüstensand der Vormoderne zu tun zu haben.

    "Es ist nicht ein Schmelztiegel, aber es ist eine Plattform, man könnte auch sagen ein one-million-people-Hotel, in dem wirklich Menschen aus aller Herren Länder ein und ausgehen."

    Michael Schindhelm ist ein erfahrener Theatermann, der ein Drehbuch für Dubai mit der sozialen Wirklichkeit gern verwechseln wollte. Ja, er beschreibt die Machtzentrale im 52. Stock des Emirates Towers. Da sitzt der ranghöchste Vertreter von Scheich Mohammed. Auf die Frage, was Bau und Betrieb einer Oper kosten, sagt Schindhelm, eine Milliarde. Er wird gefragt, wann kriegen wir die wieder. Schindhelm antwortet: Nie! Eine Oper ist keine shopping mall.

    Schindhelm sieht auch, dass die Gesellschaft aus Ausländern und Einheimischen besteht, wovon er Letztere nicht häufig sieht - aber das sind nicht Schillers Räuber, die hier aufgeführt werden, hier wird auch nicht der "Don Karlos" gegeben, als Drama von alter und neuer Zeit, alten und neuen Herrschern, alten Zöpfen und junger Internet-Generation, die die Zelte mit den Dreiteilern getauscht haben. Dubai ist eben kein Zukunftslabor, sondern eine Baustelle mit 90 Prozent Leiharbeitern. Mehr Potsdamer Platz als Plattform des Orients und nicht Urbanismus-Utopie wie Schindhelm wohlmeinend unterstellt.

    "Aber das 21. Jh. markiert noch einmal einen Wendepunkt, das versuche ich auch teilweise in diesem Buch zu beschreiben, weil Dubai sicher symbolhaft für diese Art von neuen Städten, diese Art emerging cities steht, von denen es vor allem in Asien inzwischen einige gibt."

    Der Gigantismus ist seit der letzten Jahrhundertwende ein architektonisches Kennzeichen der Moderne. Ein Baumeister der Moderne wie wie Le Corbusier plante im globalen Maßstab. Planifikation, das war kopfloser Totalitarismus, der entwurzelt und entindividualisiert.

    "Als ich nach Dubai gekommen bin, ging es zunächst einmal darum, die Regierung von Dubai zu beraten, ein sogenanntes Opernhaus zu entwickeln, es gab bereits einen Entwurf der irakisch-britischen Stararchitektin Zaha Hadid, den es also theoretisch umzusetzen galt. Wenn ich sage sogenanntes Opernhaus und also theoretisch umzusetzen galt, dann deswegen, weil erstens das Opernhaus zumindest bis heute nicht gebaut worden ist, und ich zweitens von vornherein skeptisch war, ob Dubai an sich ein Opernhaus brauchte."

    Ist das nun naiv, wegweisend, verfehlt oder utopisch gewesen, eine Oper in Dubai? Natürlich braucht Dubai kein Opernhaus, weil der konstitutive Faktor der Kultur zur Ausprägung der bürgerlichen Gesellschaft im Europa des 18. Jahrhundert sich nicht in ein Las Vegas am Golf von heute übertragen lässt.

    Michael Schindhelm sieht natürlich den Widerspruch, an dem alles scheitert, nämlich "die eigenartige Mischung aus absolutistischer Monarchie einerseits und deregulierter Verwaltung andererseits". Einfacher gesagt, die Herrscherfamilie will Kultur, die Manager wollen Marketing und Immobilien.

    "Ja, es gibt nicht nur Wasserpfeife rauchende Kamelhirten und Finanzmakler, es gibt auch Kirchenchöre, pakistanische Rapper, emiratische Rapper, aber braucht es dafür gleich so was Deutsches wie eine Behörde?"

    "Und die Vorstellung ohne den Staat kann man eigentlich Kultur nicht aufbauen, sodass mein erster wesentlicher Vorschlag gewesen ist, wir müssen eigentlich eine Kulturbehörde schaffen, und die haben wir dann auch gegründet, die Dubai Arts and Culture Authority.""

    Schadenfreude ist fehl am Platz. Nur ist auch ein Emirat in Zeiten internationaler Finanzkrise kein Schlaraffenland. Der Hochglanzlack des Golfstaates hat Kratzer abbekommen. Zuerst musste in Dubai die Kultur dran glauben. Gerade das ist auch Globalisierung. Wenn der Autor dann aber auch noch zum Geschichtsphilosophen wird, zu Michael Hegel Schindhelm, wird's heikel. Er unterstellt den Scheichs folgende Geisteshaltung

    ""Wir haben mit dem Öl den Auftrag, uns sozusagen zu befreien von der Umarmung der westlichen Kultur, in der wir eingebettet waren."

    Dass es sich um das Gegenteil, eine Überbietung des Westens mit den Mitteln des Westens handelt, will er nicht wahr haben. Denn das ist doch der Sinn von speed, ein faustisches Drama der Übereilung zu sein, an dessen Wegesrand, Leichen liegen. Tempo ist rücksichtslos, es prämiert den Raser. Faust will auch alles sofort, er ist ein Scheckkarten-Typ. Er will, Liebe, Macht, Geld und Gretchen. Sofort. Alles. Dubaispeed ist mephistophelisch.

    "Das wäre eigentlich die wichtige Aufgabe für Dubai, öffentliche Räume zu schaffen, in denen die Kommunikation zwischen diesen vielen Parallelgesellschaften entwickelt wird, und zwar ohne, dass man schon eine fertige Sprache hat, die von allen verstanden wird, sondern dadurch, dass man tatsächlich beginnt, überhaupt in diesem öffentlich Raum sich zu artikulieren."

    Wer mit dem Geist Schillerscher Ästhetik und der Auffassung vom Schillerschen freien Weltbürger an den Golf geht, muss sich nicht wundern, wenn er Nomadenästhetik und Beduinenschläue erntet. Die Scheichs haben gelernt:

    "Auch in der Kultur müssen wir profitabel sein. Auch Kultur muss ein kommerzielles Projekt werden. Und daran sind viele Projekte, mit denen ich zu tun gehabt habe, gescheitert."

    Seit Jahren gibt Michael Schindhelm Interviews, warum es nicht klappt, aber spannend sei und bestimmt weitergeht. Das erinnert an Jürgen Klinsmann, der nach einer Dusche für die Fußballnationalmannschaft auch immer sagte, das war ein wichtiges Spiel, wir haben viel mitgenommen und gelernt. Eher verwirklicht der schwer krebskranke Regisseur Christoph Schlingensief seinen Traum vom Festspielhaus in Douala, Kamerun, als dass in Dubai eine Oper erwächst.

    Michael Schindhelm: Dubai Speed. Eine Erfahrung
    Deutscher Taschenbuch Verlag
    256 Seiten. Euro 16,90
    ISBN-10: 3423247681