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Keine Patente für Stammzellen

Biologie.- Heute hat es der Europäische Gerichtshof verboten, Verfahren zur Gewinnung von Stammzellen patentieren zu lassen, bei denen menschliche Embryonen zerstört werden. Im Interview erläutert Wissenschaftsjournalist Michael Lange, was das für die medizinische Forschung bedeuten könnte.

    Monika Seynsche: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat heute entschieden: Die Patentierung von Stammzellen verstößt gegen die guten Sitten, wenn zu ihrer Gewinnung Embryonen getötet werden müssen. Damit endet ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen der Umweltorganisation Greenpeace und dem Stammzellenforscher Oliver Brüstle von der Universität Bonn. Mein Kollege Michael Lange verfolgt diese Diskussion ebenfalls seit Jahren. Herr Lange, um was für Zellen geht oder besser ging es denn überhaupt in diesem Patent?

    Michael Lange: Schon vor vielen Jahren hat der Stammzellenforscher Oliver Brüstle embryonale Stammzellen aus Israel und den USA importiert. Diese Zellen wurden tatsächlich aus Embryonen gewonnen. Das heißt, dafür wurden Embryonen getötet. Er selber darf das in Bonn nicht, darf das in Deutschland nicht. Aber er hat diese Zellen weiterentwickelt. Das heißt, er hat aus diesen Zellen andere Zellen gemacht, sogenannte Nerven-Vorläuferzellen, die für die medizinische Behandlung zum Beispiel von Parkinsonkranken geeignet wären. Und daraus will er nun eine Heilmethode entwickeln. Und deshalb hat er diese Methode zum Patent angemeldet und hofft, so damit auch Geld zu verdienen.

    Seynsche: Dieses Patent ist ja schon sehr alt. Es stammt aus dem Jahr 1997. Ist ein derart altes Patent heute überhaupt noch relevant?

    Lange: Die Methode wird zum Teil noch eingesetzt, aber Oliver Brüstle sagt selbst, dass dieses Patent für ihn heute keine größere Bedeutung mehr har. Er sagt aber, er ist vor allen Dingen deshalb über das Urteil des Europäischen Gerichtshofes enttäuscht, weil es eine Stigmatisierung der Stammzellenforschung darstellt. Es ist ja so, dass diese Forschung die Weiterentwicklung der Zellen zu medizinisch hilfreichen Zellen in Deutschland erlaubt ist, dass darüber mehrfach diskutiert wurde. Und nun wird da sozusagen wieder ein Forscher verunglimpft, wie er selbst das sieht, der wider die guten Sitten handelt. Also da sieht er einen Rückschritt für die deutsche Stammzellenforschung.

    Seynsche: Ich kann nachvollziehen, dass er nicht begeistert ist von dem Urteil. Aber welche Relevanz hat es denn jetzt überhaupt noch für die Stammzellforschung bei uns?

    Lange: Es ist so, dass in der Stammzellforschung ja im Moment der Schritt Richtung Praxis vorbereitet wird. Das heißt, embryonale Stammzellen, Stammzellen, die aus Embryonen gewonnen wurden, sind nun weiterentwickelt zu diesen Vorläuferzellen und stehen für die medizinische Behandlung zur Verfügung. In Großbritannien hat gerade vor drei Monaten die erste klinische Studie mit derartigen Zellen in Europa begonnen. Und das heißt, hier könnte sich jetzt eine Art Markt entwickeln. Hier können Biotechnologiefirmen beginnen zu forschen. Aber diese Biotechnologiefirmen wollen nicht nur veröffentlichen, die wollen nicht nur Methoden entwickeln, die wollen das irgendwie verkaufen. Die können kein fertiges Produkt verkaufen. Deshalb wollen die ihre Ergebnisse patentieren. Und da spricht dieses Urteil natürlich dagegen, dass hier ein neuer Markt entsteht und dass hier in Europa tatsächlich mit Stammzellen, mit Zellen aus Embryonen Geld verdient werden kann.

    Seynsche: Aber das Gericht hat ja jetzt nur entschieden, dass die Patentierung von Stammzellen gegen die guten Sitten verstößt, wenn zu ihrer Gewinnung Embryonen getötet werden müssen. Das muss es doch gar nicht unbedingt, wenn man Stammzellen herstellen will.

    Lange: Es gibt heute andere Methoden, um ähnliche Stammzellen herzustellen - die sogenannte iPS-Technik, da werden Zellen reprogrammiert. Das bedeutet, man nimmt zum Beispiel eine Hautzelle, züchtet die im Labor. Es entstehen Zellen, die den embryonalen Stammzellen ähnlich sind. Und mit diesen Zellen lassen sich dann ähnliche Dinge verwirklichen wie mit den embryonalen Stammzellen. Diese Forschung ist noch am Anfang, hat aber in den letzten drei Jahren enorme Fortschritte gemacht. Die sind noch nicht praxisreif. Aber diese Zellen könnten theoretisch weiterhin patentiert werden. Und da könnte da tatsächlich ein Markt aufgebaut werden. Allerdings: Der Schritt, der vorher da ist, der ist eben nicht patentierbar. Und deshalb sehen die deutschen Stammzellenforscher sich schon jetzt im Nachteil. Sie sehen einen Wettbewerbsnachteil.

    Seynsche: Die deutschen Forscher beklagen sich ja nicht zum ersten Mal, dass die Forschung durch die Politik und nun auch durch die Gerichtet behindert wird. Gilt das denn für jede Form von Stammzellforschung?

    Lange: Es gilt nicht für jede Form von Stammzellforschung, sondern nur dann, wenn diese Zellen tatsächlich in irgendeiner früheren Stufe dadurch entstanden sind, dass Embryonen getötet werden. Die eben erwähnten iPS-Zellen, bei denen gilt es nicht. Und es gibt natürlich auch adulte Stammzellen, die in der Klinik verwendet werden dürfen. Für die gilt es auch nicht. Dennoch sin einige Forscher dadurch sehr behindert. Zum Beispiel wenn Forscher in Großbritannien oder Schweden - dort dürfen ja sogar neue embryonale Stammzelllinien gezüchtet werden. Das ist dort erlaubt. Trotzdem dürfen auch dort keine europaweiten Patente angemeldet werden. Also die Stammzellenforschung ist schon europaweit betroffen.

    Seynsche: Was bedeutet das Urteil denn jetzt für erste klinische Studien mit derartigen Zellen?

    Lange: Ich denke erst einmal gar nichts. Die ersten Studien werden beginnen. Die Stammzellen liegen ja schon vor, da ist schon alles geklärt. Ob allerdings in den nächsten Jahren so viele Studien bei uns in Europa stattfinden werden wie vielleicht geplant war, das ist die offene Frage.

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