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Keine Rettung aus den Trümmern

Nach dem Erdbeben in den Abruzzen hieß es, so schnell wie möglich sollten die wichtigsten historischen Monumente restauriert werden. Doch bislang geschah rein gar nichts.

Von Thomas Migge | 23.09.2009
    Mit dem Wagen sind es von l’Aquila aus eigentlich nur zehn Minuten Fahrt. Doch die zahlreichen gesperrten Straßen - rechts und links der Fahrbahn wohnen die Obdachlosen in Zelten des Zivilschutzes - verlängern die Anfahrt in die kleine romantisch an einem Berg gelegene Ortschaft um das Vierfache.

    In Fossa wohnt niemand mehr. Eine Geisterstadt, deren Häuser von Holz- und Stahlkonstruktionen vor dem Zusammenbrechen bewahrt werden. Einige Wohngebäude stürzten bei dem Beben im Frühjahr wie Kartenhäuser ein. In Fossa steht Santa Maria ad Cryptas. Die romanisch-frühgotische Kirche aus dem 12. Jahrhundert besitzt einen der schönsten und ikonographisch reichsten Freskenzyklen Mittelitaliens, mit Malereien der Giottoschule aus dem 12. Jahrhundert aber auch aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Die Kirche stürzte zwar nicht ein, ist aber dennoch schwer beschädigt, berichtet Daniela Brandinu, Restauratorin an der Universität in l' Aquila:

    "Wir habe hier große statische Probleme. Die sind auch gut zu erkennen, wie diese Risse dort in den Wänden. Einige Wandteile mit Malereien stürzten herunter."

    Die einsturzgefährdeten Wände der Kirche werden mit bis zu 10 Zentimeter dicken Stahlbändern zusammengehalten. Das Eingangsportal ist mit einer Kette verschlossen. Niemand kümmerte sich bisher darum, dass durch ein grosses Loch in der Decke Regen hineinläuft und Temperaturschwankungen die Fresken beschädigen.

    Die Kirche Santa Maria ad Cryptas ist nur eines von vielen Beispielen für die Situation der Kulturgüter in der Erdbebenregion. Schnell wurde nach dem katastrophalen Erdbeben deutlich, dass nicht nur Wohnhäuser sondern auch Kulturdenkmäler stark beschädigt wurden.

    Rund 40 Prozent aller historischen Gebäude der Abruzzen – jahrhundertealte Paläste, Burgen und Kirchen stürzten teilweise ein oder wurden sogar vollständig zerstört. Kunsthistoriker sprechen von rund drei Milliarden Euro, die eine Rettung der beschädigten historischen Gebäude der Abruzzen kosten würde.

    Die Regierung sagte die Finanzierung zu - aber außer den Finanzmitteln für dringende Rettungsaktionen wurde bis jetzt für die aufwendigen Restaurierungsarbeiten so gut wie nichts überwiesen. Die wenigen tatsächlich erfolgten Rettungsmaßnahmen werden, wie im Fall der mit Baugerüsten umstellten Basilika von Collemaggio in l’Aquila, deren Zentralkuppel eingestürzt ist, von Regierungschef Silvio Berlusconi als "epochal" bezeichnet:

    "Das hier ist ein Beispiel für die vielen Baustellen, die entstanden sind. Es ist fast schon ein Wunder, dass wir nach nur etwas mehr als drei Monaten schon so weit gekommen sind!"

    Die Realität sieht anders aus.

    In zahlreichen Fällen arbeiten Kunsthistoriker und Restauratoren gratis, in ihrer Freizeit, um zu retten, was sie aus eigener Initiative retten können. Wie zum Beispiel in der Kirche Santa Maria ad Cryptas, wo Freiwillige die von den Wänden heruntergestürzte Freskenteile einsammeln und wieder zusammenzusetzen versuchen – in der vagen Hoffnung, dass die Fresken der Kirche irgendwann wieder in alter Pracht erstrahlen werden.

    In den letzten Monaten wurden aus Kirchen und Abteien, deren Statik unsicher geworden ist, zahllose Kunstwerke und kostbare Kultgegenstände gerettet, weiß Kunsthistoriker Gualtiero Monaci aus l’Aquila:

    "Aus den der Öffentlichkeit jetzt unzugänglichen Kirchen holten Feuerwehrleute und Mitglieder den italienischen Kunstschutz alles was wertvoll ist, um zu verhindern, dass es bei Einstürzen infolge von Nachbeben zu weiteren Schäden kommt."

    Über 1000 Kunstwerke, darunter bedeutende Skulpturen und Gemälde, wurden in ein Magazin am Stadtrand von l’Aquila gebracht. Doch dort wurden sie anscheinend vergessen. Eine dicke Staubschicht bedeckt die Plastikplanen, unter denen die Kunstwerke neben- und übereinander liegen, wie Gerümpel in einem Keller.

    Wann sich jemand der Restaurierung dieser Objekte oder ihrer sachgerechten Aufbewahrung annehmen wird ist unklar. Geld dafür hat niemand, weder der Staat noch die Kirche. Händeringend wird nach privaten Sponsoren gesucht. Aber auch das ist momentan ist Italien keine leichte Sache, denn die Weltwirtschaftkrise wirkt sich äußerst negativ auf die Sponsorentätigkeit großer Unternehmen und Banken aus.