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Keine Risiken, keine Chancen

Der Münchner Soziologe Ulrich Beck, der auch an der renommierten London School of Economics and Political Science lehrt, wurde 1986 einem breiteren Publikum bekannt, als passend zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sein Buch "Risikogesellschaft" erschien. Die jetzt auf Deutsch erschienene "Weltrisikogesellschaft" soll nicht nur ein Schreckensszenario von Terrorismus, Klimakatastrophe und Finanzkrise skizzieren, sondern den Chancen nachgehen, die sich aus solchen Krisen ergeben.

Eine Besprechung von Hans-Martin Schönherr-Mann |
    Im Auftrag des US-Kongresses versuchte eine Kommission vor einigen Jahren eine Symbolik zu entwickeln, die noch in 10.000 Jahren vor der Gefährlichkeit von Atommüllendlagern warnt. Anthropologen schlugen das Symbol des Totenkopfes vor. Sehen Kinder – so ein psychologisches Experiment – den Totenkopf auf einer Flasche, rufen sie zwar ängstlich "Gift", dagegen an einer Wand begeistert: "Piraten!" Länger als etwa 2000 Jahre wird kein Symbol einfach zu verstehen sein. Dass sich die Erfolge der modernen Zivilisation in Risiken verwandeln, lässt sich auch linguistisch nicht verhindern. Im Zeitalter der Globalisierung arten diese Risiken in eine Weltrisikogesellschaft aus. Doch das darf man nicht missverstehen. So schreibt Ulrich Beck:

    "Die Dynamik der Risikogesellschaft beruht weniger auf der Annahme, wonach wir heute und in Zukunft in einer Welt nie da gewesener Gefahren leben müssen, wohl aber in einer Welt, die über ihre Zukunft unter den Bedingungen hergestellter, selbstfabrizierter Unsicherheit entscheiden muss."

    Risiken bleiben zukünftige Ereignisse, die möglicherweise eintreten, aber eben noch nicht eingetreten sind, deren Eintritt man ja vermeiden möchte. Doch dadurch beherrschen sie epidemisch das Denken. Von einer Weltrisikogesellschaft spricht Beck indes nicht allein, weil heute ein Bewusstsein weltweiter Gefahren entstanden ist, von der Klimakatastrophe über die Weltfinanzkrise bis hin zum Weltterrorismus:

    "Es sind allerdings gerade die Risikoanalysten, die wissen, dass das Risiko keine objektiv messbare Größe ist. Was meint dann 'Wirklichkeit' des Risikos? Die Wirklichkeit des Risikos zeigt sich in der Umstrittenheit des Risikos."

    Nicht allein werden Risiken unterschiedlich bewertet. Daraus folgen gegensätzliche Reaktionen, sowohl bei den Bürgern eines Landes, als auch durch kulturelle Unterschiede bedingt. Die Weltrisikogesellschaft könnte man daher dort in Zweifel ziehen, wo es zu wenig globale Kooperation gibt. Beck erkennt dieses Risiko für seinen Begriff der Weltrisikogesellschaft: Daher erhebt Beck das Risiko des Risikos zum Leitmotiv:

    "Der 'clash of risk cultures', der Zusammenprall kulturell unterschiedlicher 'Risikowirklichkeiten' (sprich: Risikowahrnehmungen), wird zu einem Grundproblem der Weltpolitik im 21. Jahrhundert."

    Überschreitet damit die Weltrisikogesellschaft den thematischen Horizont der Risikogesellschaft von 1986? Dazu schreibt Beck selbst:

    "Wenn ich heute mein Buch Risikogesellschaft noch einmal lese, beschleicht mich ein Gefühl der Rührung: Bei aller Dramatik erscheint die Welt idyllisch – sie ist noch 'terrorfrei'. Und doch lesen sich heute viele Strukturmerkmale der Risikogesellschaft wie Beschreibungen der Welt nach dem 11. September 2001."

    Die Idylle der damaligen Welt muss man indes bezweifeln angesichts des existenziellen atomaren Risikos von Milliarden von Menschen im kalten Krieg, der in viel schlimmere Folgen als der 11. September hätte ausarten können. Terror gab es ebenfalls zuhauf, von den Roten Brigaden über die IRA bis hin zur Eta, die RAF sollte man auch nicht vergessen – der nach wie vor massivste Terror in Deutschland.
    Was hat die Weltrisikogesellschaft dann mehr als die Risikogesellschaft zu bieten? Nun, zunächst lässt erstere etwas weg, nämlich den einschlägigen subjektsoziologischen Ansatz, der 1986 im Vordergrund des Buches stand, nämlich die Individualisierungsrisiken, die Lebensrisiken des Einzelnen in einer Gesellschaft, in der die traditionellen Institutionen wie Familie, Beruf und politische Parteien an Bindekraft verlieren. Diese brillante Seite des damaligen Buches wurde angesichts von Tschernobyl weniger beachtet. Das neue Buch berührt die Individualisierung leider nur am Rand. Beck bemerkt:

    "Globale Risiken konfrontieren uns mit dem scheinbar ausgeschlossenen Anderen. Sie reißen nationale Grenzen nieder und mischen das Einheimische mit dem Fremden. Der entfernte Andere wird zum inneren Anderen – nicht als Folge von Migration, vielmehr als Folge von globalen Risiken. Der Alltag wird kosmopolitisch: Menschen müssen ihrem Leben Sinn verleihen im Austausch mit anderen und nicht länger in Begegnung mit ihresgleichen."

    Nur hat diese Kosmopolitisierung ihren Grund weniger im Risiko als in der Globalisierung, in der weltweiten Migration und Kommunikation, die Dialog und Kooperation nötig machen, was Beck eher abfällig abtut. Dagegen schließt er lieber an seine seit 1986 populäre These der technologischen Großrisiken an und erweitert diese durch den Begriff der Inszenierung:

    "Das Weltrisiko ist die Realitätsinszenierung des Weltrisikos. Das ist eine der Perspektiven, bei denen die Weltrisikogesellschaft wesentlich hinausgeht über die Thesen der Risikogesellschaft."

    Klar, nicht die Tat allein schockiert, sondern deren mediale Präsentation oder ihre Ankündigung. Nur stellt das keine originäre soziologische Perspektive dar, sondern klinkt sich in das allgemeine mediale Lamento ein, dass Gefahren überall lauern und die Politik damit nicht adäquat umgeht. Daher will Beck über die Zusammenhänge der vielfältigen Gefährdungsszenarien von Afghanistan über schmelzenden Polkappen bis hin zur Finanzkrise aufklären:

    "Es sind Szenen aus dem unbekannten Bedeutungskosmos der Weltrisikogesellschaft, deren Wirren, Widersprüche, Symbole, Ambivalenzen, Ängste, Ironien und versteckte Hoffnungen wir durchleben und erleiden, ohne sie zu begreifen und ohne zu verstehen. Dieses Begreifen-Wollen anzustacheln und zum Verstehen-Können beizutragen ist das Ziel dieses Buches."

    Es fragt sich nur, haben wir das nötig? Verstehen wir das alles wirklich nicht? Doch selbst wenn man diese Fragen mit "Ja" beantwortet, um dergleichen zu leisten, ist das neue Buch leider in zu schwerfälligem Soziologendeutsch geschrieben. Auch in dieser Hinsicht ist das erste besser, hätte Beck sich das zweite eigentlich sparen können, handelt es sich insgesamt doch eher um eine Donquichotterie.
    Aber wir dürfen auf seine Ankündigung gespannt sein, im nächsten Projekt das Thema Individualisierung mit dem der Kosmopolitisierung zusammenzuführen.

    Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft
    Suhrkamp Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 2008, 439 S., 12 EUR.