Brok sagte im Deutschlandfunk, man müsse einen Weg finden, deutlich zu machen, dass es so nicht gehe. "Es geht darum, dass dem Aggressor mitgeteilt wird, dass Krieg teuer ist."
Im Streit um das Freihandelskommen CETA zwischen Kanada und der EU sagte Brok, man müsse vor allem sehen, dass sich die Mitgliedsstaaten lächerlich gemacht hätten, indem sie ein Verfahren erzwungen hätten, in dem auch Regionalparlamente zustimmen müssten. Stattdessen hätte man CETA auch wie vertraglich vorgesehen durch eine Entscheidung des Europaparlaments in Kraft setzen können. Es sei nun dringend geboten, dass man sich unabhängig vom Fall CETA "mit dieser Frage beschäftigt, um Handlungsfähigkeit wiederherzustellen".
"Wir haben es Gott sei Dank mit einem geduldigen Partner zu tun", so der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Kanada arbeite sehr konstruktiv mit, und er hoffe, dass die Wallonie ihre Blockade aufgebe. "Die Mehrheit der Bevölkerung ist für CETA", betonte Brok.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt der CDU-Politiker Elmar Brok. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Herr Brok.
Elmar Brok: Guten Morgen.
Brok: Herr Brok, keine Einigung bei CETA. Der Kompromissvorschlag der EU-Kommission zu CETA von der Wallonie abgelehnt. Macht sich die EU lächerlich, wenn ein Regionalparlament so ein entscheidendes Abkommen blockieren kann?
Brok: Ja, sie macht sich lächerlich. Oder wir müssen sehen, dass die Mitgliedsstaaten sich lächerlich gemacht haben, dass sie ein solches Verfahren erzwungen haben. Denn man hätte CETA auch dadurch in Kraft setzen können, dass dann, wie es der Vertrag eigentlich vorsieht, das Europäische Parlament entscheidet, nachdem die Mitgliedsstaaten zugestimmt haben, und auf diese Art und Weise dann doch deutlich machen, dass demokratische Kontrolle vorhanden ist, aber gleichzeitig auch Handlungsfähigkeit vorhanden ist. Bei einem solchen Bild fragt man sich, wer mit uns dann noch Verträge schließen will, weil man sagt, na ja, wer weiß, ob da nicht irgendwo ein Regionalparlament ist, das dort Schwierigkeiten macht. Ich glaube, aus diesem Grunde heraus muss es einfach klar sein, dass man den sogenannten Singapur-Fall, der beim Europäischen Gerichtshof liegt, im nächsten Frühjahr wohl entschieden wird, deutlicher hervorhebt, in dem klargestellt wird, dass das, wo europäische Zuständigkeit besteht, auch auf europäischer Ebene von europäischen Institutionen entschieden wird und nicht nationale oder regionale Parlamente hier eine solche Blockade schon vor Unterschrift vornehmen können.
"Wir haben es Gott sei Dank mit einem geduldigen Partner Kanada zu tun"
Kaess: Aber im Moment, Herr Brok, so wie die Situation ist, würden Sie sich EU-Ratspräsident Tusk anschließen, der sich ja um die Glaubwürdigkeit der EU in der Welt sorgt?
Brok: Ja, das sage ich ja. Deswegen ist es dringend geboten, dass man unabhängig vom CETA-Fall sich mit dieser Frage intensiv beschäftigt, damit die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union und ihre Glaubwürdigkeit gewährleistet ist.
Kaess: Was muss man jetzt tun, um die Wallonie zu überzeugen?
Brok: Ich glaube, dass da noch einige Gespräche notwendig sind, und wir haben es Gott sei Dank hier mit einem geduldigen Partner Kanada zu tun, die sehr konstruktiv mitarbeiten. Gerade die Handelsministerin, die gerade Gespräche hier führt, ist hier sehr engagiert und vernünftig, so dass ich hoffe, dass dieses zu einem Ergebnis führt, dass die Wallonie die Blockade aufgibt.
Kaess: EU-Ratspräsident Tusk, der hat auch diese Befürchtung geäußert, dass es keine Unterstützung der Bevölkerung geben könne, wenn die nicht das Gefühl habe, der Freihandel bringe ihr etwas. Warum gelingt es denn eigentlich den Befürwortern, also auch den Staats- und Regierungschefs in der EU nicht, das zu erklären?
Brok: Nun, wir müssen feststellen: 27 Staaten haben zugestimmt. In dem anderen Staat hat die Mehrheit zugestimmt. Die Wallonie repräsentiert 0,7 Prozent der Bevölkerung.
Kaess: Aber der Widerstand in der Bevölkerung ist ja nicht nur in der Wallonie ziemlich groß.
Brok: Aber die Mehrheit der Bevölkerung ist für CETA. In jedem politischen Prozess gibt es unterschiedliche Auffassungen. Und dass das im Freihandel jetzt besonders der Fall gewesen ist, wobei der Begriff Freihandel ja auch noch missverständlich in dieser Frage ist. Wir haben einen weitestgehenden Vertrag mit dem höchsten Maß an politischer, rechtlicher und parlamentarischer Absicherung in diesem Bereich, mit höheren Standards als jeder Handelsvertrag, den die Europäische Union zuvor abgeschlossen hat, und hier muss man dann, auch wenn es umstritten ist, Handlungsfähigkeit zeigen. 100 Prozent haben Sie nie, weder in der nationalen Politik, noch in Deutschland. Auch in Deutschland haben Sie oft nur Entscheidungen, die mit knappen Mehrheiten beschlossen werden. Deswegen darf aber die Entscheidung nicht gestoppt werden.
"Der europäische Binnenmarkt selbst ist ein Riesenfortschritt"
Kaess: Herr Brok, jetzt wird schon befürchtet, dass CETA das letzte Freihandelsabkommen sein könnte, das die EU abschließt. Wenn das so kommen sollte, welche Vorteile hat die EU überhaupt noch wirtschaftlich, oder werden dann unter diesem Aspekt noch mehr EU-Mitglieder dem britischen Vorbild des Brexits folgen?
Brok: Das glaube ich nicht. Der europäische Binnenmarkt selbst ist ja ein Riesenfortschritt und hat einen Riesennutzen, und das ist nicht die Handelspolitik allein, die da ist. Und aus diesem Grunde heraus sehen wir natürlich, dass deswegen nur Europa nicht unnötig ist. Aber wir sehen, dass die übergroße Mehrheit der Staaten hier für Handlungsfähigkeit ist, und deswegen bin ich sicher, dass wir auch Handlungsfähigkeit herstellen werden.
Kaess: Schauen wir noch auf die Haltung der Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu Russland wegen des Vorgehens im syrischen Bürgerkrieg. In der Abschlusserklärung des Gipfels heißt es lediglich, bei einer Fortsetzung der Gräueltaten ziehe die EU alle verfügbaren Optionen in Betracht. Kann man da überhaupt noch von einer Drohung mit Sanktionen sprechen?
Brok: Ja. Wenn ich die Sitzung der Außenminister von Montag mir vor Augen halte, wo von solchen Dingen, von möglichen Konsequenzen gar nicht die Rede war - und unter allen Optionen sind natürlich auch Sanktionen zu meinen, nicht nur Sanktionen, aber auch Sanktionen -, finde ich das schon einen Schritt vorwärts. Natürlich ist das umstritten. Da waren auf der anderen Seite die Briten, die sehr stark für Sanktionen waren, und auf der anderen Seite Italien, das nun gar nicht da heran wollte. Aber ich glaube, dass es Russland jetzt klar wird, dass diese eine wirkliche Möglichkeit besteht, und deswegen ist es vielleicht klug, jetzt nicht eine Entscheidung getroffen zu haben. Das war ja auch nicht beabsichtigt, niemals beabsichtigt, jetzt eine Entscheidung von Sanktionen zu treffen. Es wäre ja auch vom zeitlichen Ablauf falsch gewesen. Aber Russland muss wissen, dass Optionen nicht vom Tisch sind, und das ist, glaube ich, mehr, als das vor fünf Tagen zu erwarten war.
Kaess: Aber, Herr Brok, ganz ehrlich: Glauben Sie, dass Sanktionen der EU gegen Russland tatsächlich realistisch sind?
"Sanktionen wirken nie am nächsten Tag"
Brok: Ich halte es für eine Möglichkeit, wenn Russland in dieser Art und Weise in Syrien weiterhin Kriegspartei ist, auf diese Weise das Völkerrecht zerschlägt, Menschen in dieser Weise zusammenbombt und gleichzeitig eine Machtpolitik macht, um von Iran bis zum Mittelmeer eine russische Einflusszone zu errichten, dass dieses uns politisch große Sorgen machen muss und wirtschaftlich große Sorgen machen muss, aber dass dies insbesondere gegenüber den Menschen eine unglaubliche Haltung ist. Und da wir nicht militärisch dort tätig werden wollen und nicht mit Bodentruppen hineingehen wollen, ist Sanktion immer der Weg, dem Aggressor mitzuteilen, dass Aggression teuer ist. Wir müssen doch einen Weg finden, Russland zu verdeutlichen, so geht es nicht, und das werden wir weiter zu diskutieren haben. Und das hängt vom Ablauf der nächsten Wochen ab, in welcher Weise Russland sich jetzt darauf einlässt.
Kaess: Wir haben ja im Ukraine-Konflikt auch gesehen, dass Sanktionen gegen Russland dort eben nicht zum Einlenken geführt haben. Warum sollte das denn in Syrien passieren?
Brok: Das weiß ich nicht, ob das nicht zum Einlenken führt. Russland ist in einer wirtschaftlich höchst schwierigen Situation. Sanktionen wirken nie am nächsten Tag. Russland steht vor großen ökonomischen Problemen, vor sozialen Problemen, und ich hoffe, dass das in irgendeiner Weise greifen wird. Aber Europa kann ja nicht sagen, Aggressor, mach mal was Du willst, schieß Krankenhäuser zusammen, uns interessiert das nicht, wir tun so, als wäre nichts passiert, und aus diesem Grunde heraus sollte man, glaube ich, auch solche Dinge in Erwägung ziehen.
Kaess: Aber was hätten denn die Menschen in Aleppo, um die es ja jetzt so dringend geht, von Sanktionen?
Brok: Es geht darum, dass dem Aggressor mitgeteilt wird, dass Krieg teuer ist, dass Menschenrechtsverletzung teuer ist. Das Hinnehmen von Völkerrechtsverletzungen ist, glaube ich, die schlechteste aller Optionen, die wir uns vor Augen halten sollten. Dass das heute nicht den Menschen in Aleppo hilft, das ist wahr. Aber sagen Sie mal ein besseres Instrument, was wir vornehmen können. Wir sind dabei und haben bereits die notwendigen humanitären Programme fertig. Wir haben die Hilfslieferungen vor der Tür dort stehen. Und dies führt hoffentlich dazu, dass man in einer Zwischenphase genug Zeit für Waffenstillstände bekommt, dass die Bevölkerung in Aleppo versorgt werden kann.
Kaess: Herr Brok, dann sagen Sie uns zum Schluss noch: Eventuell neue Sanktionen auf der einen Seite und gleichzeitig Russland als Partner sehen, geht das überhaupt noch?
Brok: Das ist eine schlimme Entwicklung. Ich weiß nicht, ob Russland noch Partner ist. Ich hatte bisher immer gesagt, wir müssen in der Ukraine-Frage hart sein, was wir sind, und wir müssen aber gleichzeitig mit Russland in anderen Teilen der Weltpolitik zusammenarbeiten und insbesondere in Syrien. Und hier müssen wir jetzt feststellen, dass Russland Kriegspartei geworden ist. Seit 14 Tagen ist Russland vollständige Kriegspartei und ist nicht mehr Hersteller von Friedensverhandlungen, und das ist eine völlig neue Situation und zeigt offensichtlich, dass Russland das alles egal ist und dass pure Machtpolitik auf Kosten von Menschen in fremden Ländern betrieben wird.
Kaess: … sagt der CDU-Politiker Elmar Brok. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Europaparlament. Danke schön für dieses Gespräch heute Morgen, Herr Brok.
Brok: Ich danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.