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Keine Vision für Polens Wirtschaft

Polens Wirtschaftsleistung ist in den letzten 20 Jahren durchgehend gestiegen, nun geht sie jedoch allmählich zurück. Arbeitgeberverbände fordern deswegen flexiblere Arbeitszeiten und die Einführung des Euros. Auch Wirtschaftswissenschaftler erkennen keine Strategie in Tusks Wirtschaftspolitik.

Von Sabine Adler |
    Polens Arbeitgeber haben es auf den Regierungschef abgesehen. Dass der sich heute mit ihnen trifft, sei eine Sensation, ließen sie sarkastisch vor der Begegnung verlauten, die zur Stunde stattfindet. Dass ausgerechnet den liberalen, wirtschaftsfreundlichen Ministerpräsidenten der Zorn trifft, liege an dessen mangelnder Aufmerksamkeit für die Belange der Unternehmer. "Die Regierung Tusk tut zu wenig, zu langsam und das Verkehrte, wir brauchen Mut und Entscheidungsfreude", so beginnen sie ihren offenen Brief. Unterzeichnet haben den Appell die vier großen Arbeitgeber- bzw. Unternehmerorganisationen Polens, die 300.000 kleine und mittlere Unternehmen vertreten mit fünf Millionen Beschäftigten.
    Henryka Bochniarz, Chefin des Wirtschaftsverbandes Leviaaatan, sorgt sich wegen des stagnierenden Wachstums:

    "Wenn wir tatsächlich anderthalb Prozent Wirtschaftswachstum schaffen, die für dieses Jahr vorausgesagt werden, wären wir damit ja zufrieden. Aber dieses Wachstum schafft noch keine zusätzlichen Arbeitsplätze, und verbessert auch unsere Stellung in Europa noch nicht. Wir werden klarmachen, woran es immer noch fehlt."

    Zum Beispiel die weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit, auf die die Arbeitgeber drängen. Ein entsprechender Entwurf liegt derzeit im Senat, der Regionenkammer des Parlaments, die gegen Gesetzesvorhaben ihr Veto einlegen kann. Die oppositionelle sozialdemokratische Partei (SLD) hält das für geboten. Dariusz Jonski:

    "Die geplante Flexibilisierung der Arbeitszeit ist unsozial und gegen die Arbeitnehmer gerichtet. Sie berücksichtigt nur die Interessen des Big Business. Im vergangenen Jahr wurden neun Milliarden Zloty, also über zwei Milliarden Euro, für Überstunden gezahlt. Nach der Gesetzesänderung fällt die Vergütung der Mehrarbeit weg. Die Arbeitnehmerinteressen werden nicht berücksichtigt, die Arbeitgeber dagegen werden immer reicher."

    In einem Punkt sind sich Opposition, Arbeitgeber und Wirtschaftswissenschaftler einig: Die Regierung habe keine Vision für Polens Zukunft. Krzysztof Opolski von der Universität Warschau:

    "Das Hauptdilemma besteht darin, dass es keinerlei Strategie für die wirtschaftliche Entwicklung gibt, ohne die die Standortvorteile eines Landes nicht gestärkt werden können. Was die Regierung tut, ist der Not geschuldet, kurzfristig und geschieht zufällig."

    Polens Wirtschaftsdaten geben auf den ersten Blick weniger Anlass zur Sorge als anderswo. Während das Bruttosozialprodukt in den allermeisten EU-Ländern während der Krise einbrach, bei den baltischen Nachbarn um fast 20 Prozent, steigt Polens Wirtschaftsleistung ununterbrochen seit 20 Jahren. Nun geht sie allmählich zurück, liegt aber noch im Plus. Die Regierung Tusk hat im Herbst ein 300-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm aufgelegt, von dem man seither jedoch wenig hört. Umgesetzt ist lediglich die neue Elternzeit, die es seit Anfang Juli erlaubt, sechs Monate bei vollem Lohn oder 12 Monate bei 80 Prozent zu Hause zu bleiben.

    Bei dem heutigen Gespräch werden die Unternehmer Donald Tusk auch wegen des Euros in den Ohren liegen. Die Regierung spielt auf Zeit wegen der Euroskepsis, nur jeder Dritte will ihn, zudem ist die Staatsverschuldung zu hoch, wird dieses Maastricht-Kriterium trotz Schuldenbremse bislang nicht erfüllt.