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Keine wirkliche Willkommenskultur

Besonders häufig fühlen sich Migranten in Deutschland im Bereich Arbeit und Bildung benachteiligt. Problematisch ist auch der Umgang mit Behörden, es gibt alleine 40 verschiedene Aufenthaltstitel. Verbände fordern deshalb generell bessere Rahmenbedingungen.

Von Anja Nehls | 04.08.2012
    Der Mann hat dunkle Haare und trägt einen türkischen Namen. Das ist alles. Aber das ist schon genug. Er ist Deutscher, hier aufgewachsen, studiert, hat hier Familie und einen guten Job, doch das ist nicht genug. Im Berufsleben ist er immer noch für viele: der Türke. "Sie sprechen aber gut Deutsch!" Das soll ein Lob sein.

    "Dann sage ich häufig, sie sprechen aber auch gut Deutsch. Dann lachen die Leute und ziehen dann weiter. Ich weiß nicht, ob einige realisieren, was das bei mir bewirkt hat und was ich bewirken wollte mit meiner Äußerung."

    Der Mann will anonym bleiben, keinen Ärger haben. Nach fast 40 Jahren in Deutschland hat er gelernt, mit kleineren Diskriminierungen umzugehen, damit ist er nicht allein. Eine aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kommt zu dem Ergebnis, dass sich über 40 Prozent aller in Deutschland lebenden Migranten im Alltag benachteiligt fühlen – besonders häufig im Bereich Arbeit und Bildung.

    "Ich kann mich noch an eine Situation erinnern, als ich in meiner Studienzeit bei meinem Professor ein Thema für eine Hausarbeit oder eine Magisterarbeit vorgeschlagen habe. Es ging um Ethnisierung sozialer Konflikte. Ich habe mich natürlich auf Deutschland bezogen. Und er hatte mir dann die Frage gestellt, warum nicht eine Arbeit über die Ethnisierung sozialer Konflikte im osmanischen Reich. Das war für mich auch eine Form der Diskriminierung. Ich möchte mich mit den Strukturen auseinandersetzen, wo ich lebe. Für mich war das wieder einmal, ihr gehört nicht dazu, ihr müsst euch mit anderen Themen beschäftigen."

    Seit es ein europäisches Gleichbehandlungsgesetz gibt, sind die Formen der Diskriminierung allerdings subtiler geworden, sagt Vera Egenberger vom Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung. Kaum ein Arbeitgeber sagt offen, dass ein Bewerber eine Stelle wegen seines Migrationshintergrundes nicht bekommt:

    "Weil Arbeitnehmer auch merken, dass es das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt und dass solche Äußerungen und solche Handlungen ja eigentlich rechtlich verboten sind und dann gar nicht mehr sagen, warum sie Kandidaten ablehnen und sich nur ihren Teil denken."

    Und das, obwohl der Integrationsbeirat der Bundesregierung erst in diesem Frühjahr ein 30-seitiges Papier mit Vorschlägen zur Verbesserung der Willkommenskultur in Deutschland erarbeitet hat. Seit dieser Woche gilt zudem die sogenannte "Bluecard", die den Zuzug von ausländischen Fachkräften nach Deutschland erleichtern soll. Denn die werden hier dringend gebraucht, soweit sind sich Experten, Bundesregierung und viele Arbeitgeber einig. Ob sie sich hier dann auch wohlfühlen? Vera Egenberger hat Zweifel:

    "Ich befürchte nur, dass es bei der Mehrheitsbevölkerung noch nicht angekommen ist, dass es eigentlich gar kein Vertun gibt, sondern dass man mit diesem Fakt leben muss und die Leute dann möglichst auch entsprechend behandeln sollte."

    Ob hoch- oder niedrigqualifiziert spielt bei Benachteiligungen am Arbeitsplatz jedoch keine Rolle, meint Volker Roßocha vom DGB. Auch er begrüßt den Zuzug von ausländischen Fachkräften. Damit für diese Fachkräfte Deutschland attraktiv ist, brauche es jedoch nicht unbedingt eine "Bluecard", sondern vernünftige Rahmenbedingungen:

    "Wir sind da mit der Antidiskriminierungsstelle der Auffassung, dass anonymisierte Bewerbungsverfahren ein Baustein sein können, um dort Diskriminierung aufzuheben. Das Zweite ist, dass es erforderlich ist, dass in den Betrieben stärker die Beschäftigten, die dort beschäftigt sind, sich mit Diskriminierung auseinandersetzen. Und man muss gesellschaftlich gucken, dass Vielfalt als positiver Wert gesetzt wird."

    Besonders problematisch ist laut Studie für die Migranten der Umgang mit Behörden, vielleicht schon ganz am Anfang bei der Beschäftigung mit dem hochkomplizierten Ausländerrecht. Zurzeit gibt es über 40 verschiedene Aufenthaltstitel – auch das ist wohl keine Willkommenskultur.