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Keine Zeit für den Traum von der Einheit

Während die Menschen im Süden Zyperns um ihr Geld bangen, ist der Nordteil der Insel kaum von der Krise betroffen. Er hängt am Tropf Ankaras. Die Türken bemitleiden ihre südlichen Nachbarn, zusammenrücken werden die beiden Inselteile aber auch in der Krise nicht.

Von Gunnar Köhne |
    Im Saray Spielkasino schauen die Gäste stumm auf die bunten Scheiben, die sich in den Geldspielautomaten vor ihnen im Takt drehen. Knapp bekleidete Kellnerinnen verteilen Getränke. Und Mesut Sahin lässt seinen sorgenvollen Blick durch den Raum schweifen. Sahin ist der Manager dieses Spielcasinos im türkischen Norden von Nikosia, es liegt nur wenige Meter von der Demarkationslinie entfernt. Bis vor Kurzem noch eine ausgezeichnete Lage für's Geschäft, denn die griechischen Zyprer brachten gerne ihr Geld in's Saray:

    "Die Lage dort hat uns ziemlich geschadet. Wir haben 50 Prozent weniger Umsatz, seit die Krise ausgebrochen ist. Nur ein paar Stammgäste kommen noch aus dem Süden, ansonsten versuchen wir mehr Gäste aus der Türkei anzulocken. Wir hoffen, dass es dem Süden bald wieder wirtschaftlich besser geht."

    Gute Wünsche aus dem türkischen Norden an den fast bankrotten Süden. Seit der Öffnung der innerzyprischen Grenze vor zehn Jahren haben nicht nur die Glücksspielhäuser im Norden von Euros aus dem Süden profitiert. Gerne deckten sich die griechischen Zyprer bei den Türken auch mit Stoffen, Schmuck und Lederwaren ein. Dabei hätten viele den reichen Bruder herausgekehrt, erinnert sich ein türkischer Schmuckhändler, der mit seinem Geschäft gleich hinter dem Übergang Ledra-Strasse steht:

    "Sie sagten uns immer wieder: Schaut doch, ihr habt hier nichts, ihr müsst unter einem Embargo leben, aber wir sind reich und Mitglied Europas. Und nun? Das soll ihnen eine Lehre sein. Sie sollen ruhig wieder bescheiden von vorn anfangen."

    Doch Schadenfreude unter den türkischen Zyprern ist eher die Ausnahme. Selbst der Präsident der türkischen Republik Nord-Zypern, Eroglu, bekannte öffentlich, dass ihm die Lage im Süden Sorgen mache. Das Mitgefühl kommt nicht von ungefähr: Auch der international isolierte Norden ist von Geldüberweisungen aus dem Ausland abhängig – nämlich aus der Türkei. Da es dem Mutterland aber wirtschaftlich prächtig geht, wurden die Zuwendungen von Ankara in den vergangenen zehn Jahren auf 500 Millionen US-Dollar jährlich fast verdoppelt. Neue Universitäten und neue Schnellstraßen wurden gebaut. Aber auch die Türkei verlangt von Nord-Nikosia Einsparungen. Der aufgeblähte öffentliche Dienst soll Personal entlassen. Die Müllabfuhr streikt dagegen schon seit Wochen. In den Nebenstraßen bleibt der Müll liegen und stinkt zum Himmel.

    Die Krise könnte die Verständigung zwischen beiden Volksgruppen vorantreiben, hofft der Publizist Hasan Kahvecioglu, der sich seit vielen Jahren für eine Wiedervereinigung mit dem griechischen Süden einsetzt:

    "Das ist für beide Seiten eine große Chance. Nur ein Beispiel: Vom kommenden Jahr an werden wir direkt aus der Türkei über eine unterseeische Pipeline Wasser geliefert bekommen. Seit Jahren leiden wir hier alle im Sommer an Wasserknappheit. Und nun so ein Riesenprojekt mit genug Wasser für beide Inselhälften! Es wäre für die Griechen so gut wie gratis und das Wasser hätte zudem eine gute Qualität!"

    Doch im Süden hat man derzeit keine Zeit, sich mit der Teilung oder gar einem Frieden mit der Türkei zu beschäftigen. Staatspräsident Anastisiades hat die Fortsetzung der Verhandlungen mit der türkisch-zyprischen Seite auf September verschieben lassen. Derweil beantragen immer mehr griechische Zyprer, die 1974 aus dem Norden vertrieben worden waren, bei einer Schlichtungskommission in Nord-Nikosia eine Entschädigung. Obwohl die Regierung im Süden solche außergerichtlichen Einigungen für null und nichtig erklärt hat, hat sich die Zahl der Antragsteller binnen eines Jahres auf rund 5000 nahezu verdoppelt. Knapp 120 Millionen Euro an Entschädigungen für Häuser und Grundstücke hat die Schiedsstelle bisher an griechische Zyprer ausgezahlt. Dieses Geld stammt ebenfalls von der türkischen Regierung.