Ein kleines Dorf an der Südküste Kenias, etwas entfernt vom Strand und den Urlauberhotels. Sauma Mwachambuli füttert ihre Hühner. Die 48-jährige Frau wirkt älter als sie ist. Trauer hat tiefe Furchen in ihr Gesicht gegraben. Einer ihrer Söhne, Suleiman, starb vor einigen Monaten. Er hatte sich den Islamisten in Somalia angeschlossen. Als Sauma ihn zum letzten Mal sah, ahnte sie nichts von den Plänen ihres Sohnes.
"Er hat sich nicht richtig von mir verabschiedet. Er war von der Moschee zurückgekommen und stand dann hier vorm Haus. Seine Andeutungen habe ich nicht verstanden. Er fragte, ob ich es nicht auch toll finden würde, wenn er uns alle aus der Armut herausholen könnte."
In den Moscheen an der Küste predigen Unterstützer der somalischen Al-Shabaab- Miliz vom Kampf gegen die Ungläubigen. Sie bieten den jungen Männern Geld, wenn sie in das Nachbarland gehen, um dort gegen die Regierung und Truppen der Afrikanischen Union zu kämpfen. Suleiman träumte wahrscheinlich davon, seine Familie unterstützen zu können. Stattdessen bekam seine Mutter nach einigen Monaten, in denen sie verzweifelt ihren Sohn gesucht hatte, einen Anruf.
"Ein Mann war am Telefon und sagte, dass mein Sohn Imran getötet worden sei. Ich wusste nicht, was ich glauben sollte, denn schließlich war das nicht sein Name. Dann rief der Mann wieder an und erklärte, dass Imran sein neuer Name in Somalia gewesen sei. Ich solle nicht um ihn trauern, denn er sei für Allah gestorben. Als ich die Nummer zurückrufen wollte, ging der Anruf nicht durch."
Was genau mit Suleiman passierte, wird sie vermutlich nie erfahren. Einige der jungen Männer werden als Selbstmordattentäter losgeschickt. Andere fallen im Kampf gegen die Truppen der Afrikanischen Union.
Extremistischer Prediger: "Das einzige Hilfsmittel gegen einen Christen ist ein Gewehr"
Freitagnachmittag in Mombasa, der kenianischen Hafenstadt. Die Muezzine rufen zum Gebet. Rund um eine Moschee haben sich Männer vor offenen Verkaufsständen mit Fernsehern versammelt. Sie schauen gebannt auf die Bildschirme und lauschen einem Prediger.
"Meine islamischen Brüder, es ist eine Tatsache, dass Christen euch nicht mögen. Sie mögen auch unseren Propheten Mohamed nicht. Sie zeichnen ihn als Schwein. Wollt ihr das etwa? Das einzige Heilmittel gegen einen Christen ist ein Gewehr."
Aboud Rogo hieß der Mann, der hier gegen Andersgläubige hetzt. Er soll für die ersten größeren Al-Kaida-Anschläge verantwortlich gewesen sein, als 1998 Sprengsätze an den US-Botschaften in Kenia und Tansania hochgingen. Für viele junge Muslime an der kenianischen Küste ist der radikale Prediger ein großes Vorbild. Als er vor zweieinhalb Jahren erschossen wurde, folgten tagelange Krawalle.
Der engste Vertraute Aboud Rogos residiert im Untergeschoss eines Wohnhauses. Sheikh Abubakar Sharif Ahmed, genannt Makaburi, sitzt in seinem Büro unter einem Banner mit einem Schwert und arabischen Buchstaben, das auch als "schwarze Flagge des Dschihad" bekannt ist.
"Sie wird als Terroristen-Flagge bezeichnet. Wenn das so ist, bin ich wohl auch ein Terrorist. Das werde ich vor jedem Gericht bekennen."
Gegen Makaburi laufen mehrere Verfahren. Er ist angeklagt, weil er Mitglied von Al-Shabaab sein soll. Außerdem wird ihm vorgeworfen, Jugendliche für die Miliz zu rekrutieren und sie aufzuhetzen. Makaburi gibt zu, dass er seine Anhänger zum Kampf aufruft.
Hartes Durchgreifen der keniaischen Polizei
"Was soll ich sonst machen? Soll ich ihnen sagen, dass sie unbewaffnet bleiben sollen, während die kenianische Regierung sie tötet? Junge Muslime in Mombasa müssen kämpfen, weil ihr Leben bedroht ist. Wir müssen den Dschihad in Kenia ausrufen, denn wir werden unterdrückt und sogar umgebracht."
Makaburi ist überzeugt, dass sein Freund Aboud Rogo von der kenianischen Polizei getötet wurde. Mit dieser Ansicht steht er nicht allein dar.
"Die Täter gehören in diesen Fällen meist der Polizei an. Vor allem der Anti-Terror-Einheit. Die Polizisten töten und gehen straffrei aus."
Francis Auma arbeitet für die Menschenrechtsorganisation "Muslims for Human Rights" in Kenia. Selbst ist er Christ. Zusammen mit anderen Fachleuten hat er eine Abhandlung über die Anti-Terror-Polizei veröffentlicht. Die Einheit, die vor allem von den USA und Großbritannien unterstützt wird, soll demnach foltern und morden. Seit im vergangenen Jahr das Einkaufszentrum "Westgate" in Nairobi von Terroristen attackiert wurde, greife die Polizei noch härter durch. Gerade viele Jugendliche würden radikalisiert, wenn sie sehen, dass muslimische Freunde von der Polizei festgenommen werden.
"Die Jugendlichen sind es leid. Sie sehen, dass die Polizei tötet und damit durchkommt. Dann sagen sie: Wenn ihr uns Muslime sowieso für Terroristen haltet, können wir uns wirklich radikalen Gruppen anschließen und selbst töten."
In einem Hinterhof haben sich junge Anhänger von Makaburi versammelt. Sie sind misstrauisch. Keine Namen, keine Fotos. Im Schutz der Anonymität machen sie keinen Hehl daraus, dass sie sich der radikalen Al-Shabaab-Miliz nahe fühlen.
"Al Shabaab sind Muslime. Unsere muslimischen Brüder. Sie kämpfen für unsere Rechte, genauso wie Al Kaida. Wenn ich die Chance bekomme, selbst im Dschihad zu kämpfen, werde ich gehen."
Vielleicht wird auch seine Mutter irgendwann angerufen – von einem unbekannten Mann in Somalia oder anderswo.
"Ich bin bereit für meine Religion zu sterben. Wenn ich von der Anti-Terror-Polizei getötet werde oder im Kampf falle, wird mir das den Weg ins Paradies sichern."