Zehn Schüler sitzen unter einem Baum im Gras, ihr Lehrer Ayub Muhamud ist mitten unter ihnen. Er unterrichtet gerne außerhalb der Klassenzimmer.
"Auf dem Rasen, unter einem Baum..... Da sitzen meine Schüler im Kreis, sie sind dann viel offener. Ich stelle eine Frage, sie reagieren – ich brauche die Diskussion bloß noch zu lenken. Das ist für uns alle interessant. Dagegen ist der Unterricht in der Klasse oft monoton."
Anderer Stoff
In Kenia ist das ungewöhnlich, Frontalunterricht ist die Regel. Auch der Stoff, über den Muhamud mit seinen Schülern diskutiert, entspricht nicht dem Standard: Es geht um islamistischen Terrorismus, um den radikalen Islam und darum, auf welche Weise radikale Gruppen Kämpfer rekrutieren. Auch unter den Schülern in Eastleigh.
Wo findet denn die Anwerbung normalerweise statt, fragt Muhamud in die Runde. Die erste Antwort: In den sozialen Netzwerken.
Ayub Mohamud hakt nach und kriegt eine zweite Antwort: In Schulen oder Universitäten. Weitere Vorschläge der Schüler: in der Gesellschaft, in seinem Umfeld.
Muhamud unterrichtet an einem staatlichen Jungengymnasium in Eastleigh, einem Stadtteil von Nairobi. Kenianer nennen Eastleigh auch "Klein Mogadischu", nach der Hauptstadt des Nachbarlandes Somalia. Dort ist seit 25 Jahren Krieg.
Viele Menschen aus Somalia sind nach Kenia geflohen, etliche haben die Flüchtlingslager verlassen und sind in Eastleigh untergetaucht. Denn dort leben viele somalisch-stämmige Kenianer, die anders als die Bevölkerungsmehrheit Muslime sind. Seit einigen Jahren trägt die somalische Shabaab-Miliz den Krieg auch nach Kenia, vor allem nach Eastleigh. Der 18-jährige Colins Ochieng ist Christ, lebt aber in Eastleigh.
Natürlich fühlen wir uns bedroht. Jederzeit kann jemand genau dort alles in die Luft jagen, wo Du gerade stehst. Oder sogar jemanden aus Deiner Familie töten.
Neben ihm sitzt Abdullahi Khalif, einer der muslimischen Schüler in seiner Klasse.
"Ja, wir fühlen uns bedroht", sagt auch Abdullahi Khalif. "Wir leben hier in Eastleigh, und manchmal gibt es Granaten- oder Bombenanschläge. Du weißt nie, ob der nächste in Deiner Nähe stattfindet und Du unter den Opfern sein wirst."
Hass und Misstrauen
Von den rund 900 Jungen an der Eastleigh High-School sind die Hälfte Christen, die andere Hälfte Muslime. Nicht immer haben sie ohne Spannungen zusammen gelernt – dass Terrorgruppen im Namen des Islam in kenianischen Städten morden, hat überall in der Gesellschaft Hass und Misstrauen provoziert. Und ganz besonders in Eastleigh, weil dort mehr Anschläge verübt werden als anderswo. Inzwischen habe sich die Stimmung gegenüber den Muslimen auch in diesem Viertel wieder geändert, sagt der Christ Colins:
Ich glaube nicht, dass sie der Grund dafür sind, dass es solche Anschläge sind. Die Täter sind einfach Menschen mit einer bösartigen Gesinnung.
Alle Schüler sind sich einig: Die Diskussionsrunden, die ihr Lehrer Ayub Muhamud an ihrer Schule eingeführt hat, sind für sie alle ausgesprochen hilfreich. So sieht das auch Abdullahi Khalif:
"Ich hatte von diesen Sachen keine Ahnung. Als ich auf die höhere Schule kam, habe ich gedacht, die größte Bedrohung ist der Klimawandel. Inzwischen habe ich erfahren, welche Gefahren der Terrorismus birgt, und mit welchen Tricks die radikalen Gruppen Kämpfer auch unter Schülern anwerben."
Eigentlich unterrichtet Ayub Muhamud, ein muslimischer Kenianer somalischen Ursprungs - Islamische Religion und Wirtschaftswissenschaften. Die Idee, seinen Unterricht auszuweiten und über den Terror aufzuklären, hatte er schon vor drei Jahren. Damals verübten Mitglieder der islamistischen Shabaab-Miliz einen Anschlag auf das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi. Mehr als 70 Menschen starben.
Diese Gruppen rekrutieren auch an Universitäten. Wir können nicht leugnen, dass es in Eastleigh das Problem der Radikalisierung gibt. Und wir können nicht ausschließen, dass unsere Schüler ebenfalls diesen Anwerbern verfallen, wenn sie nicht das nötige kritische Denken lernen und nicht das erforderliche Wissen mitbekommen.
Unterricht ohne Lehrplan
Was Ayub Muhamud unterrichtet, steht in keinem Lehrplan, Muhamud hat das alles selbst ausgearbeitet. Den Unterricht über Terrorismus und dessen Folgen baut er immer wieder in seine regulären Unterrichtseinheiten ein. Er empfindet das als seine Bürgerpflicht: Der Kampf gegen den Terrorismus sei nicht nur Problem und Aufgabe des Staates, sondern gehe jeden Einzelnen an, meint er:
"Das ist natürlich ein heikles Thema. Ich meide belebte Plätze, ich bin nicht mehr spät abends unterwegs - all sowas. Man kann nicht allen hier trauen. Einige sind nämlich vielleicht nicht glücklich über das, was ich mache."