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Kentucky Route Zero
Wenn Künstler Spiele entwickeln

Bereits vor sieben Jahren erschien die erste Episode des Computerspiels Kentucky Route Zero. Mit dem fünften Akt geht die surreale Reise durch den Bundesstaat Kentucky nun zu Ende und zeigt, „wie Künstler die Spielentwicklung aufmischen“, sagte der Kulturwissenschaftler Christian Huberts im Dlf.

Christian Huberts im Kollegengespräch mit Susanne Luerweg |
Tankstellen-Szene mit großem Pferdekopf aus dem Computerspiel "Kentucky Route Zero"
Eine Szene aus dem Computerspiel "Kentucky Route Zero" (Cardboard Computer )
Was ist Kentucky Route Zero für ein Computerspiel?
Streng genommen handelt es sich um ein Point-and-Click-Adventure, etwa wie der Klassiker Monkey Island. Also ein Computerspiel bei dem man seine Spielfigur über die Maus steuert und Rätsel löst. In Kentucky Route Zero meistert man jedoch weniger logische Herausforderungen, sondern folgt einer komplexen Erzählung. Per Mausklick lässt sich der Verlauf von Dialogen mitgestalten und so eine surreale und sozialkritische Geschichte entschlüsseln.
Und worum geht’s in dieser Geschichte?
Es beginnt damit, dass der Lieferfahrer Conway ein einfaches Paket ausliefern soll. Was einfach klingt wird jedoch schnell zu einer regelrechten Odyssee durch den US-Bundesstaat Kentucky. Auf der Suche nach der Lieferadresse macht er skurrile Bekanntschaften, lernt die Geschichte und Kultur der krisengeschüttelten Region kennen. Es wird von Minenunglücken erzählt, von Bluegrass-Musik und von verschuldeten Existenzen, die sich irgendwie durchschlagen müssen.
Gleichzeitig ist das Spiel vom »magische Realismus« von Autoren wie Gabriel García Márquez inspiriert. Der triste Alltag bricht immer wieder auf und offenbart eine überhöhte Realität. Zum Beispiel ist die titelgebende »Route Zero« nicht irgendeine Landstraße, sondern ein verschlungener Highway durch das real existierende Mammut-Höhlensystem in Kentucky.
Warum hat die Entwicklung so lange (sieben Jahre) gedauert?
Einerseits besteht das Entwicklerstudio Cardboard Computer nur aus drei Personen – Jake Elliott, Tamas Kemenczy und Ben Babbitt. Die drei haben sich an einer Kunsthochschule in Chicago kennengelernt und arbeiten seit 2011 weitgehend allein an dem Spiel.
Andererseits hat sich Kentucky Route Zero mittlerweile zu einem regelrechten Kunstprojekt ausgeweitet. Zwischen den einzelnen Episoden haben die Entwickler zum Beispiel immer wieder kostenlose, experimentelle »Zwischenspiele« veröffentlicht. Das erste, Limits & Demonstrations, ist etwa eine Ausstellung von Konzept- und Medienkunst innerhalb der Spielwelt.
Künstler oder Game Designer?
Das Entwickler-Trio ließe sich wohl am treffendsten als Künstler bezeichnen, die ein Spiel entwickelt haben.
Jake Elliott ist stark von Konzeptkunst und Hypertext-Literatur inspiriert. Was man auch den vielen Text-Experimenten in Kentucky Route Zero deutlich ansieht.
Der Game Artist Tamas Kemenczy orientiert sich visuell an brutalistischer Architektur und Bühnenbildern, etwa von der Erstaufführung von Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden am Broadway.
Und der Musiker Ben Babbitt hat aus einer Nebenfigur von Kentucky Route Zero gleich ein ganzes Bandprojekt gemacht. In der Rolle des weiblichen Androiden Junebug singt Babbitt mit modifizierter Stimme im Spiel und auf einem geplanten Album.
Wegweisend für die nächste Dekade
Für sich betrachtet erfüllt das Spiel schon noch alle Kriterien eines Computerspiels. Allerdings scheinen Cardboard Computer viele der vermeintlichen Regeln und Grenzen von Computerspielen schlicht nicht mehr als bindend zu betrachten. Etablierte Design-Traditionen werden hinterfragt und gebrochen. Auf diese Weise mischen seit Jahren vor allem Künstler und Quereinsteiger die Branche auf.
Erst im Oktober letzten Jahres ist mit dem estnischen Rollenspiel Disco Elysium ein weiteres Spiel erschienen, das gerade durch seine Grenzüberschreitungen als krönender Abschluss der letzten Dekade gilt. Unter anderem inspiriert von Kentucky Route Zero, das nun als abgeschlossenes Werk wohl auch für die nächsten zehn Jahre wegweisend bleiben wird.