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Kerosin-See auf Shell-Werksgelände

Umwelt. - Eine Million Liter – so viel Kerosin versickerte im Frühjahr dieses Jahres in Wesseling, einer Stadt südlich von Köln am linken Rheinufer. Der Unfall ereignete sich in einem Werk des Mineralölkonzerns Shell. Im Februar schlug eine unterirdische Pipeline zwischen dem Werk und einem Tanklager leck. Das Kerosin lief aus, versickerte metertief im Erdreich und schwimmt mittlerweile auf dem Grundwasser. Professor Frank-Dieter Kopinke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig beurteilt im Gespräch mit Arndt Reuning die Bedeutung des Unfalls.

Frank-Dieter Kopinke im Gespräch mit Arndt Reuning Fakten zusammengetragen von Lennart Pyritz |
    Kerosin ist ein flüssiges Gemisch aus Kohlenwasserstoffen, das aus Erdöl gewonnen wird. Es ist farblos bis gelblich und hat einen charakteristischen Petroleumgeruch. Kerosin wird vornehmlich als Treibstoff in der Luftfahrt eingesetzt und deswegen umgangsprachlich auch als Flugbenzin bezeichnet. Es ist praktisch unlöslich in Wasser und hat eine geringere Dichte, so dass es sich wie ein Teppich auf einer Wasseroberfläche ablagert.

    Das Alarmsystem des Mineralölkonzerns versagte. Es signalisiert erst bei einem Verlust von 5000 Litern pro Stunde ein Problem. Da durch die beschädigte Pipeline in Wesseling "nur" 1700 Liter pro Stunde austraten, dauerte es vier Wochen, bis Techniker das Leck entdeckten.

    Bis Mitte Oktober wurden 20 Grundwassermessstellen installiert, um den Kerosinsee exakt zu kartieren. An zwölf dieser Messstellen wurde das Flugbenzin nachgewiesen. Bis heute konnte Shell allerdings die Größe des unterirdischen Sees nicht beziffern.

    Unverdünntes Kerosin reizt bei direktem Kontakt die Haut. Verschlucken führt zu Erbrechen und Durchfall, schädigt die Lunge, das Nervensystem und die Nierenfunktion und kann im schlimmsten Fall zum Tod führen. Kerosin wird zudem als umweltgefährdend eingestuft. Gelangt es in größeren Mengen in ein Gewässer, wirkt es giftig auf die im Wasser lebenden Organismen und richtet langfristige Schäden an.

    Bislang ist ein einziger Sanierungsbrunnen in Betrieb. Mit seiner Hilfe werden Grundwasser und Kerosin nach oben befördert. Etwa ein Zehntel der ausgelaufenen Kerosinmenge hat Shell so inzwischen abgepumpt. Die Bezirksregierung Köln hat Shell verpflichtet, unverzüglich drei weitere Brunnen und zusätzliche Messstellen einzurichten. Die Trinkwasserversorgung oder der Rhein sind laut eines Bodengutachtens, das die Fließrichtungen des Grundwassers berücksichtigt, nicht in Gefahr.


    Reuning: Herr Professor Kopinke, welche Folgen könnte dieses Leck für die Umwelt haben?

    Kopinke: Ja, eine Million Liter Kerosin sind keine kleine Menge mehr. Trotzdem, die Gefährdung, die von einem solchen Kerosinschaden für Mensch und für Umwelt ausgehen kann, hängt zuerst einmal vom Abstand zwischen dem Schadensherd und dem nächsten Schutzgut ab. Das kann eine Siedlung sein, das kann ein Wasserwerk sein, das kann auch ein Gewässer sein, in diesem Fall vermutlich der Rhein. Zunächst sehe ich, wenn ich man den Schaden begrenzen kann, keine akute Gefährdung für Mensch und Natur.

    Reuning: Wie sieht es denn mit dem Trinkwasser aus? Kerosin schwimmt wie ein Fettanker auf dem Grundwasser. Heißt das denn nicht auch, dass Kerosin zumindest in geringen Mengen in das Wasser übergehen kann und dann auch von dort wieder in das Trinkwasser gelangen könnte?

    Kopinke: Das kann in jedem Fall geschehen. Ich bevorzuge übrigens nicht so sehr das Bild des unterirdischen Kerosinsees, sondern vielleicht mehr das eines wabernden Kerosinsumpfes. Weil, der Boden über dem Grundwasserspiegel ist sicherlich mit Kerosin voll gesaugt und hält dieses relativ gut fest. Ja, Sie haben recht, das Kerosin oder seine Inhaltsstoffe können auch ins Grundwasser übergehen. Man muss jetzt verhindern, dass Teile dieses, man sagt dazu kontaminierten, also verunreinigten Grundwassers abströmen und in Richtung irgendeines Schutzgutes, zum Beispiel eines Wasserwerks gelangen.

    Reuning: Shell pumpt dieses Wasser aus dem Grund heraus. Ist das bei solchen Unfällen das Mittel der Wahl?

    Kopinke: Es ist eines der möglichen Mittel. So genannte Abwehrbrunnen sind eines der probaten Mittel nach dem Stand der Technik, um die Ausbreitung von kontaminiertem Grundwasser zu verhindern. Es wird ein Absenktrichter im Grundwasser erzeugt. Und dieser Absenktrichter führt dazu, dass das kontaminierte Grundwasser in den Trichter strömt und nicht nach außen wegströmt und insofern nicht größere Grundwasserareale weiterhin kontaminiert werden. Das ist also eine der bekannten und erprobten Maßnahmen nach dem Stand der Technik.

    Reuning: Welche anderen Techniken gibt es?

    Kopinke: Eine andere typische Maßnahme wäre das Setzen von Spundwänden. Damit wird das kontaminierte Areal komplett von den umgebenden Grundwasserleitern abgeschnitten und kann dann über einen bestimmten Zeitraum separat saniert werden. Das ist allerdings die teurere Maßnahme. Die kostengünstigere Maßnahme ist das Setzen von Abwehrbrunnen.

    Reuning: Und dann eben zu pumpen… Durch das Pumpen entfernt man wahrscheinlich aber die Substanzen nicht restlos. Müsste dann nicht der gesamte Boden nachher noch einmal saniert werden?

    Kopinke: Das ist völlig richtig. Zunächst einmal bedeutet das Pumpen nur eine kurzfristige Abwehr, Gefahrenabwehrmaßnahme. Dadurch wird der Schaden nicht in Wirklichkeit behoben und wir werden keine langfristige Sanierung dadurch erreichen. Es wird nur ein Teil des Kerosin auf diese Art und Weise entfernt, aber ich möchte vielleicht den Optimismus generell ein wenig dämpfen. Wir werden das Kerosin nie wieder zurückholen können, vollständig, es sei denn durch eine radikale Maßnahme. Die Radikalmaßnahme könnte das komplette Auskoffern, das heißt dasAusbaggern des kontaminierten Bodens sein. Man kann aber eine ganz einfache Rechnung anstellen und da wird man sehen, dass das zu sehr großen Massenströmen und damit enormen Kosten führt, die zu bewältigen sind.

    Reuning: Das heißt, welche Möglichkeiten hätte man für eine Sanierung, die vielleicht nicht ganz so teuer sind?

    Kopinke: Nach dem Stand der Technik sind das so genannte in-situ-Sanierungen, das heißt, der Boden verbleibt an dem Ort, an dem er sich jetzt befindet und man lässt, wenn es gut läuft, die Natur für sich arbeiten. Soll heißen, wenn die Bedingungen stimmen, wird das Kerosin von standorteigenen Mikroorganismen, also Bakterien im Wesentlichen, aufgefressen, abgebaut, aufgefressen. Das ist allerdings ein Vorgang, den kann man zwar unterstützen, aber der nimmt im allgemeinen Jahr oder Jahrzehnte in Anspruch und wird nie restlos vollständig verlaufen.

    Reuning: Sie haben die Situation mit einem Sumpf verglichen. Der ist ja vielleicht auch ein wenig in Bewegung. Besteht da nicht die Gefahr, dass dieses Kerosin im Untergrund abdriftet?

    Kopinke: Prinzipiell besteht diese Gefahr, dem kann man allerdings entgegenwirken, indem man die Grundwassergradienten in Richtung der künstlich geschaffenen Absenkbrunnen gestaltet. Das ist allerdings keine Garantie gegen eine unerwünschte weitere Ausbreitung, weil durch Schwankungen des Grundwasserstandes, insbesondere gerade in der Nähe eines großen Flusses wie dem Rhein, kann es natürlich zu Veränderungen von Grundwasserfließrichtungen kommen, mit der unangenehme Folge, dass dann auch das Kerosin in andere unerwünschte Richtungen sich ausbreiten könnte.

    Reuning: Das könnte zum Beispiel im Falle eines Hochwassers geschehen?

    Kopinke: Das könnte auch im Falle eines Hochwassers zu sein, wobei, das hängt letztlich immer von der Intensität, der Leistungsfähigkeit der betriebenen Abwehrbrunnen ab. Soweit ich informiert bin, ist im Moment aktiv nur ein Abwehrbrunnen am Standort installiert. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass der Schadenseigner zu einer Abwehrbrunnengalerie übergehen wird. Dann wäre diese Maßnahme noch wirksamer.

    Reuning: Wie sehen Sie denn die Aussichten auf lange Frist gesehen. Wie könnte sich das Areal dort weiterentwickeln?

    Kopinke: Auf die Langfristperspektive möchte ich einen eher pessimistischen, oder lassen Sie uns sagen realistischen Blick werfen: Das jetzt kontaminierte Gelände kann sicher mit hohem Ressourceneinsatz saniert werden, so, dass keine akute Gefährdung für Mensch und Umwelt in der unmittelbaren Umgebung von ihm ausgeht. Es wird uns aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gelingen, nicht kurzfristig und auch nicht in den nächsten Jahrzehnten, den ursprünglichen Zustand von Boden und Grundwasser wiederherzustellen. Beides, Boden und Grundwasser, haben ein sehr langes Gedächtnis.