Nein, nervenkrank ist die neue Patientin nicht, nicht einmal nervös. Auch mit Beziehungsproblemen sei sie in ihrem Leben stets fertiggeworden, lässt sie ihre Tischnachbarn im Sanatorium wissen. Sie leide nur an einem "Geldkomplex". Das behauptet zumindest ihr Arzt. Denn als Psychoanalytiker kann er sich die seltsamen "Rechenanfälle" der hochverschuldeten Dame nicht anders erklären als durch verdrängte Erotik. Eine Diagnose, an der die Ich-Erzählerin allerdings so ihre Zweifel hat:
"Daß ich in der Verdrängung der Erotik Erhebliches geleistet habe, konnte ich nun wirklich beim besten Willen nicht behaupten. Im Gegenteil, es wäre mir und meinen Finanzen sicher besser gewesen, ich hätte es mehr getan."
"Der Geldkomplex" heißt dieser entzückende Sanatoriumsroman von Franziska zu Reventlow. Erschienen ist er 1916, also zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Aber dafür ganze acht Jahre vor Thomas Manns "Zauberberg".
Wer heute den Text dank der bibliophilen Neuausgabe des Launenweber Verlages wiederentdeckt, ist überrascht: So frisch und aktuell wirkt dieser letzte Roman der adeligen Bohemienne im Zeitalter von Finanzkrise und Kryptoblase. Schließlich erzählt Reventlow hier mit viel Witz und Ironie davon, wie hochinfektiös allein schon der Gedanke an Geld ist – wie er noch die klügsten Köpfe zu Dummheiten aller Art verführt. Bald träumen alle in diesem Sanatorium, selbst die Ärzte, nur noch von Goldminenaktien, Ölfirmen und dem ultimativen Anlagetipp. Scheinbar gelassen bleibt nur die Ich-Erzählerin. Dabei verfolgt sie längst eine eigene Spekulation: Sie hofft, gemeinsam mit einem Kompagnon, auf ein märchenhaftes Erbe, das sie von ihrem Geldkomplex kurieren soll. Erst spät wird deutlich, dass sie mit dem trinkfreudigen Miterben sogar verheiratet ist und man gemeinsam auf den Tod des Schwiegervaters wartet.
"Du weißt, ich rede nicht gern von dieser Heirat, wenn es nicht unbedingt notwendig ist, weil es mich gar so langweilt, immer wieder den Zusammenhang erläutern zu müssen. Wir leben nicht zusammen, wir kennen uns kaum, wir sind keine Ehe, sondern nur ein Kontrakt, und unser einziges gemeinsames Interesse ist eben diese Erbschaft. Manche begreifen das nicht, andere nehmen Ärgernis daran, und ich selber vergesse inzwischen manchmal vollständig, daß ich eigentlich verheiratet bin."
Der Eheschwindel der Ich-Erzählerin war – anders als der Sanatoriumsaufenthalt – durchaus keine Erfindung: Es war Erich Mühsam gewesen, der vier Jahre vor Kriegsausbruch Reventlows kuriose Scheinehe mit einem baltischen Baron in Ascona eingefädelt hatte. Mit ihr sollte die verehrte Gräfin ein für alle Mal von ihren Geldnöten erlöst werden. In ihrem Roman porträtierte sie ihren russischen Komplizen als "Seeräuber in Zivil": Um sein Erbe zu sichern, musste dieser Alexander zu Rechenberg-Linten, ein alkoholkranker Abenteurer, dringend eine standesgemäße Gattin vorweisen können – als die sich die Gräfin bereitwillig zur Verfügung stellte.
Klischee der robusten Männersammlerin
Als Schriftstellerin griff Franziska zu Reventlow nicht nur in diesem Roman, sondern auch in ihren anderen Werken häufig auf Selbsterlebtes zurück. Wohl auch deshalb verkümmert in Biografien ihr schmales, aber glänzendes literarisches Werk so oft zum bloßen Quellenmaterial, zweitrangig gegenüber dem spektakulären Leben der "Skandalgräfin". Die neue Reventlow-Biografie von Kerstin Decker bildet da keine Ausnahme. In Anlehnung an Oscar Wilde behauptet Decker sogar, die Königin der Boheme habe in ihr Leben ihr Genie investiert, in ihr Werk nur ihr Talent. Und auch wenn die Biografin zu Recht gegen das "Klischee der robusten Männersammlerin" anschreibt und die Gräfin als "Versuchsfrau" und "erste Frau von heute" präsentiert: Das fragwürdige Stereotyp von Reventlows "Kompromisslosigkeit" bei ihrem Kampf um ein selbstbestimmtes Leben kramt auch Kerstin Decker hervor. Als wäre Reventlows Leben nicht eine einzige verzweifelte Suche nach irgendwie lebbaren Kompromissen gewesen.
"Alles ist immer quer gegangen in meinem Leben. Zuhause und später, das wahnsinnige Uebermaß von Lebenskraft und die Gefangenschaft zu Hause, das hat mich aus allem Gleichmaß gebracht, es ist immer übergeschlagen mit mir. Ich war wie jemand, der nicht normal seinen Weg gehen konnte, immer in Purzelbäumen –."
Franziska zu Reventlow war, wie Erich Mühsam ihr nachrief, ein Mensch, der wusste, was Freiheit bedeutete. Man muss jedoch hinzufügen: Die 1871 als "höhere Tochter" eines preußischen Landrats im Schloss vor Husum Geborene lernte auch den Preis für ein radikal nonkonformistisches Leben kennen, ganz dem eigenen Glück verpflichtet. Genau genommen war er schon fällig nach ihrer legendären nächtlichen Flucht aus dem Elternhaus im Alter von 22 Jahren. Weil ihre Familie drohte, sie als "tobsüchtig" in eine Irrenanstalt zu stecken, musste sie Schutz in den Armen eines Hamburger Gerichtsassessors suchen. Der hieß Walter Lübke und war so stolz auf seine aufmüpfige Verlobte, dass er ihr gutgläubig ein Leben als Malschülerin in der Münchner Boheme finanzierte. In Schwabing, von ihr später als "Wahnmoching" tituliert, entdeckt die junge Frau jedoch nicht nur ihr natürliches Habitat; sie erlebt als Schülerin eines guruhaften Kunstmalers namens Herstein auch ihre sexuelle Erweckung.
Während ihrer tragischen ersten Ehe manifestierten sich bereits viele der Konflikte, die das Leben der rebellischen Gräfin später prägen sollten: ihre sich widersprechenden Bedürfnisse nach Nähe und Distanz ebenso wie ihr Konflikt zwischen Liebe und Erotik. Als der in seinen Grundfesten erschütterte Jurist Lübke zwei Jahre später endlich die Wahrheit über seine Frau erfuhr, legte Franziska zu Reventlow im Tagebuch Rechenschaft ab:
"Ich wollte Walter behalten und die andern alle auch. Warum fühle ich das Leben herrlich und intensiv wenn ich viele habe – immer das Gefühl, eigentlich gehöre ich allen. Und dann wieder der haltlose Jammer, daß ich dadurch grade den Einen verliere, der mich liebt. Warum gehn Liebe und Erotik für mich so ganz auseinander? Und Walters Entsetzen, als ich ihm die Wahrheit sagte, für ihn war es unfaßlich. Und ich hab ihm noch lange nicht alles gesagt. Kein Mensch würde mich verstehn, wenn ich ihm alles sagte."
Faszinosum ihrer Zeitgenossen
In Franziska zu Reventlow eine Kritikerin der wilhelminischen Gesellschaft zu sehen, sei falsch, glaubt Kerstin Decker – die adelige Lebenskünstlerin habe schlicht in einer ganz anderen Weltordnung gelebt. Richtig ist, dass man sich schwerlich ein Frauenleben vorstellen kann, das sich weiter von den Konventionen dieser patriarchalen Epoche entfernt hätte: eine entlaufene Gräfin, geschieden, mit einem Kind ohne Vater, die die erotische Libertinage pflegte – kein Wunder, dass Franziska zu Reventlow für Zeitgenossen wie Rainer Maria Rilke, Franz Hessel oder Oscar A. H. Schmitz zum Faszinosum wurde. Was hätten die Herren erst gesagt, hätten sie gewusst, dass die "tolle Gräfin" nebenbei auch noch im Salon B. der Madame X werkelte? Das wusste aber keiner, weil sie sich dort als verheiratete Frau aus Nürnberg ausgab; soviel Diskretion musste auch für diese Unkonventionelle sein.
"Mich hat der liebe Gott aus allen Widersprüchen geschaffen, die er übrig hatte, das ist sicher. Fühle mich als ganz ich selbst, wenn alles durcheinander geht. Wehmut, Sehnsucht, tiefe Liebe und soviele Oberflächlichkeiten."
Die Lübke-Herstein-Zeit sollte für Franziska zu Reventlow jedenfalls lehrreich sein. In den Folgejahren, als sie im Kreis der "Kosmiker" um Ludwig Klages, Alfred Schuler und Stefan George zur Ikone der Münchner Bohème avancierte, unterhielt sie stets mehrere Beziehungen "nebeneinander und durcheinander", wie sie schrieb, sodass diese sich gegenseitig neutralisierten. Für Schwabings größenwahnsinnige Kunsthistoriker wurde die alleinerziehende Mutter zur "heidnischen Madonna". Als "moderne Hetäre" schien sie all die wabernden Ideen um eine Rückkehr des Matriarchats zu verkörpern. Eine Rolle, die sie in dieser Zeit sogar essayistisch propagierte. Dass ihr die Schattenseiten des erotischen Nomadentums, gerade für Frauen, allzu bewusst waren, belegt dagegen ihr berühmter Bohème-Roman "Herrn Dames Aufzeichnungen" von 1913. Darin erklärt einer der Protagonisten:
"Da laufen die dummen Mädel hin und lassen sich erzählen, daß das Hetärentum bei den Alten etwas Fabelhaftes gewesen sei. Und nun wollen sie auch Hetären sein. – Da war eine – unter uns gesagt – sie stand mir eine Zeitlang sehr nahe – aber eines schönen Tages erklärte sie mir, sie habe eingesehen, daß sie nicht einem Manne angehören könne, sondern sie müsse sich frei verschenken – an viele –. Es war nichts dabei zu machen – sie hat sich dann auch verschenkt und verschenkt und ist elend dabei hereingefallen. Denn glauben Sie mir nur, was ein rechter Wahnmochinger ist, der sieht nicht ein, daß es für die meisten Mädel eben doch ein Unglück bedeutet. Er bewundert sie höchstens, daß sie nun ein Schicksal haben und es irgendwie tragen; aber was nützt ihnen das?"
Nicht nur ausgefeilte Beziehungsnetze, auch die erste Wohngemeinschaft Schwabings sollte ab 1903 für die richtige Balance von Nähe und Distanz in Reventlows Leben sorgen: Zusammen mit ihrer abgöttisch geliebten "Maus", ihrem Sohn Rolf, dem Dichter Franz Hessel und ihrem damaligen Lebensgefährten Bohdan von Suchocki bezog die Gräfin das legendäre Eckhaus in der Kaulbachstraße 63. Die zwischenmenschliche Homöostase ließ sich freilich immer nur für kurze Zeit aufrechterhalten; die wackeren Polyamoristen von heute fänden in den Beziehungen dieser Avantgardistin ungebundener Lebensformen reichhaltiges Anschauungsmaterial. Da gab es die Zelebrierung von Seelenverwandtschaft wie mit Ludwig Klages, eher kurze Affären wie die mit Karl Wolfskehl oder die jahrelange erotische Obsession in Gestalt von Alfred Friess. Gerade Letzterem gegenüber bediente Reventlow erstaunlich bereitwillig und bis an den Rand der Selbstaufgabe die Männerfantasie der allzeit verfügbaren Frau.
"Oft kommt er mitten in der Nacht, wenn ich noch schreibe oder schon schlafe. Für ihn bin ich nie müde – aber wenn ich drüber nachdenke, was denkt er sich eigentlich. Er muss doch sehen, dass ich immer ans äusserste meiner Kräfte gehe und wie ich dabei lebe. Und rührt keinen Finger."
Elegante Begleitdogge
Aus ihrem Erfahrungsschatz destillierte die Gräfin in ihrer Amoureske "Von Paul zu Pedro" sogar eine ganze Männer- oder besser gesagt Liebhabertypologie: vom selbstverliebten "Dichter" über die "elegante Begleitdogge" fürs Restaurant bis zum unwiderstehlichen "fremden Mann" – dessen Sex-Appeal spätestens beim Frühstück verflogen ist. Treue, so empfahl Franziska zu Reventlow bei der Gelegenheit, solle man besser durch Takt und Diskretion ersetzen. Eine Haltung, die so manchen ihrer Mitspieler überforderte. Stefan George beispielsweise beobachtete erschüttert, wie sich Ludwig Klages wegen der Gräfin fast zu Tode trank. Und Bohdan von Suchocki machten Reventlows Eskapaden, etwa zur Faschingszeit, so rasend, dass sie um ihr Leben fürchten musste:
"Die Abende wo ich spät und in Todesangst heimkam, die eine, wo S. an meinem Bett stand und sich auf meine Kehle stürzte. Herr mein Gott, ich hab wahrhaftig geglaubt nun ist's aus mit mir und das Grauen hat mich geschüttelt wie dann Maus sich in meine Arme stürzte. Wer weiß wie weit es gekommen wär, wär er nicht aufgewacht. Wie S. dann noch lange da stand und ich nach dem Revolver tastete und dachte, wenn ich mich nun bewege, ist's aus und er stürzt sich auf mich."
Als Biografin ist Kerstin Decker, nach Büchern über Lou Andreas-Salomé oder Paula Modersohn-Becker, auf starke Frauen der Jahrhundertwende geradezu abonniert. Weil Biografien für sie "radikale Vergegenwärtigung" bedeuten, löst Decker auch Reventlows singuläre Vita auf in eine romanähnliche Abfolge von meist großartig erzählten Szenen. Nur dass sich der Leser zwischen all den Nahaufnahmen in Präsens und erlebter Rede bald schon verloren fühlt. Nicht nur das Übermaß an Empathie stiftet Verwirrung, auch Deckers Hang, ihre Protagonisten mit ironischen Synonymen zu versehen: Wer ist noch mal "der Scherbenmann", "der Schlaflose", "der Entschränkte" oder "der Heidewanderer"? Am Ende ein und derselbe, Ludwig Klages nämlich. Unbegreiflich ist übrigens, dass für Zitate aus den Tagebüchern der Gräfin nicht auf die verlässliche Edition von Irene Weiser und Jürgen Gutsch zurückgegriffen wurde.
Dafür gelingt es Kerstin Decker aber, die Widersprüche und Brüche in Reventlows Leben ungemein plastisch werden zu lassen. Zum Beispiel ihr paradoxes Verhältnis zur Frauenbewegung. Undenkbar sei es, stellt Decker fest, dass die Gräfin je "me too" gesagt hätte. Das stimmt wohl; Reventlow hätte sich eher den Kritikerinnen der Debatte wie Catherine Deneuve oder Catherine Millet nahe gefühlt. Als die Gräfin im Jahr 1900 auf einer Reise in Konstantinopel von einem Unbekannten bedrängt worden war, forderte ihr damaliger Begleiter, der Archäologe Albert Hentschel, diese Beleidigung einer Dame müsse gerächt werden. Die Dame hielt das aber für stark übertrieben. So viel Lärm um eine Kleinigkeit, notierte sie lakonisch, und:
"Warum soll ich mich beleidigt fühlen, Begehren des Mannes ist nie eine Beleidigung, selbst dann nicht, wenn rein gelegentlich und ohne alle ‚seelische Beimischung‘."
Lebenspraktisch war Franziska zu Reventlow die Emanzipation in Person. Schließlich forderte sie nicht nur die sexuelle Selbstbestimmung der Frau. Ihr war ihre Unabhängigkeit sogar so wichtig, dass sie aus freien Stücken zur Pionierin aller Alleinerziehenden wurde.
"A. schickt mir Blumen u. ich ärgerte mich darüber ich will nichts mehr mit ihm zu thun haben. Er gehört nicht zu mir und nicht zu meinem Kind. Ich habe von ihm verlangt, daß er hier fortgeht oder ich gehe. (…) Mein Kind soll keinen Vater haben, nur mich. Und mich ganz."
Warum verspottete sie aber dann die feministische Idee von weiblicher beruflicher Selbstständigkeit? Allen Ernstes behauptete die Gräfin, Frauen wären dazu bestimmt, ein "Luxusobjekt" zu sein, ein Leben in Freude und Schönheit zu führen. Man kann das nur als Reaktion auf ihre Lebensumstände in der Boheme verstehen, die von dieser letztlich misogynen Utopie denkbar weit entfernt waren. Gläubiger, Gerichtsvollzieher und die immer wieder drohende Obdachlosigkeit im Nacken, übersetzte sie für den Verleger Albert Langen in rasendem Tempo französische Novellen. Mal versuchte sie sich als Schauspielerin, mal als Milchhändlerin oder Glasmalerin. Sogar als Versicherungsagentin ging die Gräfin zeitweilig Klingelputzen, liest man bei Kerstin Decker und kann es kaum glauben.
Ausflüge ins horizontale Gewerbe
Einträglich, zumindest anfangs, waren hingegen Reventlows Ausflüge ins horizontale Gewerbe – eine Tätigkeit, die sie sogar essayistisch verteidigte, nach der Devise: Ob Hure oder Ehefrau, verkaufen müssten sich unter den Bedingungen der patriarchalen Gesellschaftsordnung beide, nur erlebe die Erste mehr Abwechslung und Vergnügen. Von diesem blieb aber auch für die Gräfin kaum noch etwas übrig, als sie in ihren letzten Münchner Jahren auf der Suche nach Kundschaft durch Bars ziehe musste. So offenkundig entspannt Reventlows Verhältnis zur Sex-Arbeit auch war –
"Wenn ich dahin gehe, ziehe ich mich schön an und bin wie in einem anderen Leben."
Dass dabei nie etwas gegen ihren Willen geschehen sei, wie Kerstin Decker behauptet, ist doch eine etwas frivole Annahme. Denn was als gut bezahltes Abenteuer im Salon B. begann, endete schon wenige Jahre später als Elendsprostitution:
"Das Zeitalter der Päule. Paul I ein recht heitrer Abend. Ich hätte Augen die einen toll machen könnten, sowas hört man immer ganz gerne. Paul II eine zweifelhafte Errungenschaft der Red cat bar, wo ich 2 Abende meine Netze auswarf. Er begriff nicht recht wie ich in 'dieses Leben' hineingeraten wäre. 'Armes Kind' etc. Wenn der wüsste, wer ich bin. Zwischendurch bei Fr[riess]. Warum reisst mich der nicht heraus – er könnte sich doch vieles denken – und es wäre so gut, aus all diesem Greuel herauszusein. Ums Sendlinger Thor herum zu wandeln ist doch ein etwas zu tiefer Grad für mich. Aber wie Gott will. Ich will vergnügt sein u bin es auch."
Bis heute unterschätzte Schriftstellerin
Ich will vergnügt sein – in diesem Punkt muss man Kerstin Decker zustimmen: Gerade in Reventlows Humor und Fähigkeit zur Selbstironie zeigte sich jene Freiheit, die sich die Gräfin inmitten unfreier Verhältnisse stets zu bewahren wusste. Was direkt zu ihrem literarischen Werk führt: Denn dessen Funktion war es nicht zuletzt, Kontrolle und Distanz zurückzugewinnen, indem alles Erlebte in Texte aufgelöst wurde, die vor Geist, Witz und Ironie nur so sprühen. Mochte das Erlebte auch noch so deprimierend und bedrückend sein, wie der Erziehungsterror der Mutter oder der Absturz der Kosmiker in Ausgrenzung und Antisemitismus. Das ließ Franziska zu Reventlow zu einer bis heute unterschätzten Schriftstellerin werden. Und es macht die zeitlebens an Depressionen und Erkrankungen Leidende zu einem Paradebeispiel für Resilienz, also jene geheimnisvolle psychische Widerstandsfähigkeit, noch die größten Krisen und Katastrophen zu bewältigen.
Bestes Beispiel dafür ist eben jener Eheschwindel, an dem sie sich in ihren letzten Jahren in Ascona beteiligte. Als der Vater ihres trinkfreudigen Gatten endlich starb, war der Traum von einem von allen Geldnöten befreiten Leben rasch ausgeträumt. Weil der alte Herr von der Scheinehe erfahren hatte, hatte er Sohn und Schwiegertochter aufs Pflichtteil gesetzt. Doch nicht einmal diesen sollten die geschäftstüchtigen Eheleute erhalten: Kurz vor der Auszahlung ging nämlich auch noch die Bank pleite. Was Franziska zu Reventlow lakonisch mit den Worten kommentierte: "Es filmt mal wieder." Um den Stoff umgehend in einen köstlichen Roman zu verwandeln.
Bestes Beispiel dafür ist eben jener Eheschwindel, an dem sie sich in ihren letzten Jahren in Ascona beteiligte. Als der Vater ihres trinkfreudigen Gatten endlich starb, war der Traum von einem von allen Geldnöten befreiten Leben rasch ausgeträumt. Weil der alte Herr von der Scheinehe erfahren hatte, hatte er Sohn und Schwiegertochter aufs Pflichtteil gesetzt. Doch nicht einmal diesen sollten die geschäftstüchtigen Eheleute erhalten: Kurz vor der Auszahlung ging nämlich auch noch die Bank pleite. Was Franziska zu Reventlow lakonisch mit den Worten kommentierte: "Es filmt mal wieder." Um den Stoff umgehend in einen köstlichen Roman zu verwandeln.
In ihrem Vogelsteller-Turm bei Ascona schrieb Franziska zu Reventlow bis zuletzt an ihren Werken. Über das Altwerden und das leidige Thema Altersvorsorge erklärte sie:
"Die beste Vorsorge fürs Alter ist jedenfalls, dass man sich jetzt nichts entgehen lässt, was Freude macht, so intensiv wie möglich lebt."
Eben das tat Franziska zu Reventlow auch, bis zu ihrem Tod am 26. Juli 1918 im Alter von 47 Jahren an den Folgen eines Fahrradunfalls. Es wird wohl so gewesen sein, dass die "tolle Gräfin" auch im Sattel Purzelbäume schlagen musste.
Kerstin Decker: "Franziska zu Reventlow. Eine Biografie"
Berlin Verlag, München. 384 Seiten, 26 Euro.
Berlin Verlag, München. 384 Seiten, 26 Euro.
Franziska Gräfin zu Reventlow: "Der Geldkomplex"
Mit einem Nachwort von Gunna Wendt und Illustrationen von Saskia Wragge
Launenweber Verlag, Köln. 168 Seiten, 20 Euro
Mit einem Nachwort von Gunna Wendt und Illustrationen von Saskia Wragge
Launenweber Verlag, Köln. 168 Seiten, 20 Euro