Ein warmer Spätsommerabend in der Keupstraße in Köln. Es ist kurz vor acht, dämmert schon ein wenig, doch das Leben spielt sich noch immer draußen ab. Auf den kleinen Holzstühlen vor der kurdischen Efes-Pils Bar, vor den türkischen Edelrestaurants, den Bäckereien und kitschig-bunten Brautmodenläden.
Die 500 Meter lange Keupstraße zwischen Bergisch-Gladbacher im Osten und Schanzenstraße im Westen ist das Zentrum türkisch-kurdischen Lebens in Köln. Sie könnte eine Straße im Herzen Istanbuls sein. Mit einem Unterschied: Hier leben und arbeiten Kurden, Erdogan-Anhänger und Gülenisten Haus an Haus, Geschäft an Geschäft.
Meral Sahin stützt sich auf die Theke ihres Deko-Ladens am Ende der Keupstraße. Die 45-Jährige trägt rosa Kopftuch zum elfenbeinfarbenen Kleid und dekoriert alles von Hochzeit bis islamischer Beschneidungsfeier. In den letzen Wochen wird sie dabei immer wieder von Journalisten befragt, wie sich die Stimmung in ihrer Straße verändert habe, seit dem Putschversuch. Sie reagiert mittlerweile mit Sarkasmus.
Listen mit Namen von vermeintlichen Gülen-Anhängern
"Nicht nur auf der Keupstraße, in ganz Deutschland hat sich 'ne Menge verändert, Spaltungen haben stattgefunden, dass man sich verantwortlich fühlen muss für Dinge, wofür man gar nichts kann."
Seit dem gescheiterten Putschversuch tauchen auch in Deutschland Listen auf mit vermeintlichen Gülen-Anhängern, es gibt Boykottaufrufe gegen Ladenbesitzer, die der Bewegung angeblich angehören.
"Ich stand auch schon auf einer Liste, da war ich erstaunt darüber, dass ich auf Facebook erste Reihe bin. Eine Woche danach war ich PKK-Sympathisant."
Reporter: Haben solche Beschuldigungen zugenommen, in den vergangenen Wochen?
"Die sind erst entstanden durch das ganze mediale Massaker. Wir in der Straße selbst, wir haben untereinander null Probleme damit. Das gibt es auf unserer Straße nicht."
Rechts hinter der Theke hängen eingerahmte Fotos an der Wand. Ein Bild zeigt Sahin mit Joachim Gauck, daneben hängt ein kleineres von Erdogan. Sahin leitet den Verein Keupstraße e. V. Sie organisiert das Birlikte Festival. Es ist die Antwort der Bürger hier auf den Bombenanschlag des Nationalsozialistischen Untergrundes. Damals, als 2004 vor einem Friseurladen eine Bombe hochging, kursierten Gerüchte, das Attentat sei eine Eskalation des kurdisch-türkischen Konflikts hier in Deutschland. Mancher Ladenbesitzer hat sich damals gefragt, ob sein Nachbar was damit zu tun hatte. Sahin klopft immer wieder mit ihrer Schere auf die Ladentheke, während sie darüber spricht.
"Es ist genau zwölf Jahre her. Und wir haben immer noch nicht diejenigen gefunden, die das gemacht haben. Und wir wollen wissen, was da in 3.000 Kilometer Entfernung passiert ist. Wir sollten uns an die eigene Nase fassen! Diese Leute sieben Jahre unter Verdacht zu lassen, so: Die haben das selber gemacht, die haben sich bekriegt. Türken und Kurden, dieses Denken hat uns nicht weiter gebracht."
Türken-Kurden-Konflikt nicht in der Keupstraße austragen
Nach einer halben Stunde kommt Ahmet Erdogan in den Laden, er ist Rentner und Sahins Stellvertreter im Keupstraße-Verein. Wie sie kennt er jeden Unternehmer hier auf der Keupstraße.
"Der Wunsch von uns war immer schon, auch mit dem Türken-Kurden-Konflikt, dass wir das hier nicht austragen. Jeder hat eigene Meinungen, ein eigenes politisches Bild, aber das sollte hier nicht stattfinden. Keiner will, dass politische Themen auf der Straße ausgetragen werden, das schadet uns."
Ich schlendere weiter über die Keupstraße. Die Bürgersteige sind voll mit Menschen, auf der Fahrbahn stauen sich die Autos.
Ziemlich genau in der Mitte schallt Musik über die Keupstraße aus einem Plattenladen. Der einzige türkische Musikladen in Köln, sagt der kurdische Besitzer stolz.
"Kurdisch, türkisch, international, Pop, Volksmusik - es gibt alles."
Reporter: Kommen nach wie vor alle?
"Es gibt keinen anderen Musikladen in Köln – alle müssen kommen hierher."
Bewohner der Keupstraße äußern sich selten über den Konflikt in der Türkei
Die kurdischen Songs legt er im Geschäft allerdings nicht mehr auf, denn dann würden die Türken nicht mehr kommen.
Thomas Sinan hört sofort auf, in den Plattenregalen zu stöbern, als er hört, dass es um den Putschversuch geht. Er hat kein Problem damit, den türkischen Präsidenten offen zu kritisieren, schließlich macht er das auch bei Facebook.
"Mit meiner Frau diskutiere ich das sehr häufig, sie ist pro Erdogan, ich bin gegen Erdogan. Ich komme aus einer Familie von Kemalisten, wir sind gegen alles, was gegen Menschenrechte, was gegen Demokratie ist. Mich macht das natürlich fertig, was da passiert. Ich bin schon seit Jahren nicht mehr in der Türkei gewesen, wäre gerne dieses Jahr geflogen. Aber ich habe gesagt, ich gehe nicht in die Türkei, solange er da ist. Ich denke, dass ich Probleme bekommen würde, also wenn es so eine Blacklist gibt, wahrscheinlich bin ich da drauf."
Sinan kommt nicht aus Köln, er ist hier nur zu Besuch. Die Bewohner der Keupstraße äußern sich nur selten so offen über den Konflikt in der Türkei. Damit keine alten Wunden aufreißen. Damit es hier friedlich bleibt.