Dirk Müller: Die Akkreditierungen für den NSU-Prozess in München schlagen weiter hohe Wellen, längst ist es ein Politikum. Aus der Politik von türkischer Seite und von Journalistenverbänden wird gefordert, alles noch einmal zu überdenken, weil für den Terrorprozess um die NSU-Mordserie keine türkischen Medien einen Beobachterplatz garantiert bekommen. Der NSU-Prozess und die Medien - darüber hat mein Kollege Thielko Grieß mit dem Grünen-Integrationspolitiker Memet Kilic gesprochen.
Thielko Grieß: Das Oberlandesgericht München hält die Auswahl der Presseberichterstatter für juristisch in Ordnung. Wo also ist das Problem?
Memet Kilic: Man kann die Emotionen natürlich verstehen, dass die Menschen daran teilhaben wollten und teilnehmen wollten und nicht dazu gekommen sind. Dazu gehöre ich auch. Als ich zum ersten Mal über Ticker erfahren habe, dass dieses Verfahren am 17. April stattfindet, hat mein Büro sofort angerufen, aber wir haben auch mitgekriegt, dass man uns gesagt hat, ja, wir können keine Plätze reservieren, wenn sie dann einen Platz kriegen, dann nehmen Sie auch daran teil. Und das muss man als Jurist verstehen, weil dieser Bestimmtheitsgrundsatz im Strafprozess vollumfänglich gilt, und zu dieser Bestimmtheit gehört auch ein gesetzlicher Richter. Also jemand muss im Voraus auch wissen, zu welchem Gericht und vor welchem Richter dann jemand stehen wird bei einem Prozess. Das ist rechtlich so geregelt, auch im Artikel 101 unseres Grundgesetzes. Dort steht, Ausnahmegerichte sind unzulässig.
Grieß: Jetzt haben Sie unter Bezugnahme auf den Bestimmtheitsgrundsatz den Richter erwähnt und das Gericht, dass das feststehen muss. Aber warum muss denn vorher feststehen, wie viele Leute im Zuschauerraum sitzen und den Prozess verfolgen können?
Kilic: Ja das ist ein Dilemma, weil wenn sozusagen dieser Raum eine bestimmte Kapazität hat – ich habe gehört 100 – und das Gericht geht davon aus, dass 50 Anwälte und Angehörige der Opfer dabei sein werden, und dann vielleicht die restlichen 50, und dann vielleicht gibt es noch ein paar Zuschauer mehr. Die Öffentlichkeit ist gewahrt im rechtsstaatlichen Sinne, selbst wenn nur 20 Personen teilnehmen könnten. Aber das stellt natürlich die Öffentlichkeit nicht zufrieden, das muss man auch verstehen.
Grieß: Ist es nicht eine Frage des Respekts auch oder mindestens der Höflichkeit, auch Vertreter türkischer Medien zuzulassen?
Kilic: Ich glaube, ein Rechtsstaat geht den sicheren Weg, wenn man wirklich die Justizgrundrechte und Grundsätze bewahrt, nicht unbedingt sich bemüht, Höflichkeit zu zeigen oder eine andere Stärke oder Schärfe, weil ein faires Verfahren ist auch wichtig und ein Gebot vom Artikel sechs der europäischen Menschenrechtskonvention und ein Rechtsstaat ist gut beraten, wenn ein Rechtsstaat wirklich eigene und rechtsstaatliche Grundsätze wie Bestimmtheit oder Justizgrundrecht, gesetzlicher Richter, diese Punkte penibel beachtet und diese vor einem internationalen Gericht nicht beanstandet werden. Das Restliche muss man dann anders regeln. Man kann von einem Gericht nicht erwarten, dass das Gericht das eigene Geschäft beiseitelegt und sich ständig mit Medien, Gruppierungen, Bildungen beschäftigt und solche Sachen. Medien müssen sich untereinander ein bisschen organisieren, damit sie dann auch daran teilhaben.
Grieß: Aber noch einmal nachgefragt: Wo liegt denn hier der Spielraum des Gerichts? Dieser Prozess ist ja nicht irgendein Prozess, es ist ein großer Mordprozess und dahinter liegt eine Geschichte von Ermittlungspannen und peinlichsten Fehlern mit Todesfolge letztlich. Ist das nicht sozusagen auch der Hintergrund, vor dem das Gericht ein bisschen feinfühliger agieren könnte?
Kilic: Sicherlich. Man kann jedes Mal und immer noch feinfühliger operieren, und ich denke schon, dass dieses Gericht dort einen Spielraum hat, nämlich unter dem gleichen Dach des Gebäudes einen Nebenraum mit Ton- und Video-, Bildüberwachung zu versehen, und dort soll auch Justizpersonal tätig sein, um damit dort weitere Tonaufnahmen durch die Medien zu verhindern, und somit wären alle Grundsätze gewahrt, aber auch weitere Öffentlichkeit auch zufriedengestellt. Dieser Weg ist aus meiner Sicht offen und diesen Weg kann auch das Gericht gehen.
Grieß: Wie groß ist nach Ihrer Erfahrung das Interesse in der Türkei an diesem Prozess, der Mitte April beginnen soll?
Kilic: Das Interesse ist schon groß, weil wir zirka drei Millionen türkeistämmige Menschen in Deutschland haben, und die haben ihre Verwandten, aber auch Bekannten in der Türkei, die in ständiger Sorge leben. Ich stelle im Übrigen bei meiner Verwandtschaft auch fest, dass die mehr Sorgen haben um unsere Gesundheit oder das Leben als wir selbst, weil die nur schlimme Nachrichten oft hören, und die wissen nicht, dass wir weitgehend in einem sicheren Land leben. Aber die hören natürlich von einem einzelnen Mord oder Totschlag, oder aber auch Angriffen.
Müller: Der grüne Integrationspolitiker Memet Kilic im Gespräch mit meinem Kollegen Thielko Grieß.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Thielko Grieß: Das Oberlandesgericht München hält die Auswahl der Presseberichterstatter für juristisch in Ordnung. Wo also ist das Problem?
Memet Kilic: Man kann die Emotionen natürlich verstehen, dass die Menschen daran teilhaben wollten und teilnehmen wollten und nicht dazu gekommen sind. Dazu gehöre ich auch. Als ich zum ersten Mal über Ticker erfahren habe, dass dieses Verfahren am 17. April stattfindet, hat mein Büro sofort angerufen, aber wir haben auch mitgekriegt, dass man uns gesagt hat, ja, wir können keine Plätze reservieren, wenn sie dann einen Platz kriegen, dann nehmen Sie auch daran teil. Und das muss man als Jurist verstehen, weil dieser Bestimmtheitsgrundsatz im Strafprozess vollumfänglich gilt, und zu dieser Bestimmtheit gehört auch ein gesetzlicher Richter. Also jemand muss im Voraus auch wissen, zu welchem Gericht und vor welchem Richter dann jemand stehen wird bei einem Prozess. Das ist rechtlich so geregelt, auch im Artikel 101 unseres Grundgesetzes. Dort steht, Ausnahmegerichte sind unzulässig.
Grieß: Jetzt haben Sie unter Bezugnahme auf den Bestimmtheitsgrundsatz den Richter erwähnt und das Gericht, dass das feststehen muss. Aber warum muss denn vorher feststehen, wie viele Leute im Zuschauerraum sitzen und den Prozess verfolgen können?
Kilic: Ja das ist ein Dilemma, weil wenn sozusagen dieser Raum eine bestimmte Kapazität hat – ich habe gehört 100 – und das Gericht geht davon aus, dass 50 Anwälte und Angehörige der Opfer dabei sein werden, und dann vielleicht die restlichen 50, und dann vielleicht gibt es noch ein paar Zuschauer mehr. Die Öffentlichkeit ist gewahrt im rechtsstaatlichen Sinne, selbst wenn nur 20 Personen teilnehmen könnten. Aber das stellt natürlich die Öffentlichkeit nicht zufrieden, das muss man auch verstehen.
Grieß: Ist es nicht eine Frage des Respekts auch oder mindestens der Höflichkeit, auch Vertreter türkischer Medien zuzulassen?
Kilic: Ich glaube, ein Rechtsstaat geht den sicheren Weg, wenn man wirklich die Justizgrundrechte und Grundsätze bewahrt, nicht unbedingt sich bemüht, Höflichkeit zu zeigen oder eine andere Stärke oder Schärfe, weil ein faires Verfahren ist auch wichtig und ein Gebot vom Artikel sechs der europäischen Menschenrechtskonvention und ein Rechtsstaat ist gut beraten, wenn ein Rechtsstaat wirklich eigene und rechtsstaatliche Grundsätze wie Bestimmtheit oder Justizgrundrecht, gesetzlicher Richter, diese Punkte penibel beachtet und diese vor einem internationalen Gericht nicht beanstandet werden. Das Restliche muss man dann anders regeln. Man kann von einem Gericht nicht erwarten, dass das Gericht das eigene Geschäft beiseitelegt und sich ständig mit Medien, Gruppierungen, Bildungen beschäftigt und solche Sachen. Medien müssen sich untereinander ein bisschen organisieren, damit sie dann auch daran teilhaben.
Grieß: Aber noch einmal nachgefragt: Wo liegt denn hier der Spielraum des Gerichts? Dieser Prozess ist ja nicht irgendein Prozess, es ist ein großer Mordprozess und dahinter liegt eine Geschichte von Ermittlungspannen und peinlichsten Fehlern mit Todesfolge letztlich. Ist das nicht sozusagen auch der Hintergrund, vor dem das Gericht ein bisschen feinfühliger agieren könnte?
Kilic: Sicherlich. Man kann jedes Mal und immer noch feinfühliger operieren, und ich denke schon, dass dieses Gericht dort einen Spielraum hat, nämlich unter dem gleichen Dach des Gebäudes einen Nebenraum mit Ton- und Video-, Bildüberwachung zu versehen, und dort soll auch Justizpersonal tätig sein, um damit dort weitere Tonaufnahmen durch die Medien zu verhindern, und somit wären alle Grundsätze gewahrt, aber auch weitere Öffentlichkeit auch zufriedengestellt. Dieser Weg ist aus meiner Sicht offen und diesen Weg kann auch das Gericht gehen.
Grieß: Wie groß ist nach Ihrer Erfahrung das Interesse in der Türkei an diesem Prozess, der Mitte April beginnen soll?
Kilic: Das Interesse ist schon groß, weil wir zirka drei Millionen türkeistämmige Menschen in Deutschland haben, und die haben ihre Verwandten, aber auch Bekannten in der Türkei, die in ständiger Sorge leben. Ich stelle im Übrigen bei meiner Verwandtschaft auch fest, dass die mehr Sorgen haben um unsere Gesundheit oder das Leben als wir selbst, weil die nur schlimme Nachrichten oft hören, und die wissen nicht, dass wir weitgehend in einem sicheren Land leben. Aber die hören natürlich von einem einzelnen Mord oder Totschlag, oder aber auch Angriffen.
Müller: Der grüne Integrationspolitiker Memet Kilic im Gespräch mit meinem Kollegen Thielko Grieß.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.