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Kim Gordon mit "No Home Record"
Beats und Gitarren

Nach vielen Ausflügen in die bildende Kunst, Mode und Literatur hat sich Kim Gordon - einst Mitbegründerin der Band Sonic Youth - wieder der Musik zugewandt. Ihre Rock-Vergangenheit hört man zwar noch immer heraus. Dennoch haben sich auch elektronische Sounds in ihre Songs geschlichen.

Jenni Zylka im Gespräch mit Juliane Reil |
Auf dem Bild ist die Musikerin Kim Gordon zu sehen. Sie trägt ein grünes Kleid und liegt auf einem Bett.
Die Musikerin Kim Gordon (Matador Records)
Juliane Reil:Sie gilt als eine der coolsten Frauen im Popgeschäft: Kim Gordon. Mitbegründerin der legendären New Yorker Alternative Rockband "Sonic Youth", bei der sie 30 Jahre lang die Bassistin war. 2011 war dann Schluss, Gordon reichte die Scheidung von Bandkollege und Ehemann Thurston Moore ein. Die Band löste sich auf. Das "Girl In A Band" – das Mädchen in der Band - wie sie selbstironisch ihre Autobiographie nannte, war jedoch mehr als "nur" der heimliche Star der Band. Nämlich auch Bildende Künstlerin, Modedesignerin und Mutter einer Tochter. Acht Jahre nach der Auflösung von Sonic Youth bringt Kim Gordon nun ihre erste Platte als Solokünstlerin raus. "No Home Record" heißt sie und ist gestern erschienen. Mit der Musikkritikerin Jenni Zylka möchte ich jetzt über das Album sprechen. Mit 66 Jahren bringt Kim Gordon die erste Platte unter eigenem Namen raus. Das hört sich nach Neuanfang an. Wie stark emanzipiert sich Gordon von der Noise-Avantgarde bei Sonic Youth?
Rastlos, nervös, disharmonisch
Jenni Zylka: Richtig stark unterscheidet sie sich nicht. Es gibt schon Ähnlichkeiten zu dem Sound von Sonic Youth. Zum Beispiel dieses Rastlose, dieses Nervöse, dieses bewusst Disharmonische, dieses Unbehagen, das Sonic Youth und auch andere Bandkollaborationen von Kim Gordon immer auszeichnete, das findet sich auch auf ihrem Soloalbum, das ist jetzt keine gemütliche Musik zum Nebenbeihören, das wäre auch nicht zu erwarten und inkonsequent in der Art, wie sich Gordon selbst als Künstlerin definiert. Soundlich ist das von Justin Raisen in LA produzierte Album eher reduziert, ihr dunkler, distorted Bass, verzerrte Gitarre, dazu Schlagzeug, ein bisschen Elektronik, ihre dunkle Stimme, also schon im Post-Rock oder Post-Punk verwurzelt, einiges an üblichen Songstrukturen, aber sie ist nicht gefällig. Sie versteht Kunst ja so, dass sie auf jeden Fall aufrühren soll, wenn sie auch, zumindest meiner Ansicht nach, auf der neuen Platte jetzt die Avantgarde nicht neu erfindet. Das geht ja vielleicht eh nicht, es gibt diesen schönen Spruch "Nichts ist so altmodisch wie die Avantgarde", aber vielleicht hören wir mal rein in einen Song über einen Künstler, " Sketch Artist". Sketch Artist soll die Eindrücke eines Küntslers beschreiben, die wie Sketche vorbeifliegen, ähnlich songstrukturell frei oder individuell klingen auch andere Songs auf der Platte.
Reil: Nach der Trennung von Sonic Youth und ihrem Ehemann ging die gebürtige Kalifornierin von New York zurück nach LA. Und trotzdem spielt der Albumtitel - "No Home Record" - auf eine Heimatlosigkeit an. Worum geht es ihr bei diesem Titel?
Emotionale spontane Eindrücke, keine ausgeklügelten Texte
Zylka: Der Titel soll so ein bisschen eine Reminiszenz – so heißt es zumindest - an Chantal Akermans "No Home Movie". Das war der letzte Film der belgischen Regisseurin, die hat ja ebenfalls multimedial gearbeitet. Das passt also. Und eben diese Rastlosigkeit und das genaue Zurückgehen ist schon auch Thema. Es sind aber schon sehr viele und bunte Themen. Es gibt einen Song, der "AirBnB" heißt. Der hat im weitesten Sinne mit ihren Erfahrungen beim Umzug zu tun..Man könnte denken, dass es da um Gentrifizierung geht, tut es aber nicht, so konkret wird Kim Gordon gar nicht, sie hält das eher allgemein und mokiert sich ein bisschen die Unpersönlichkeit einer AirBnB-Unterkunft mit Andy Warhol Bildern an der Wand, cosy and warm. Das sind ihre Erfahrungen beim Umzug anscheinend.Die Texte klingen oft so wie emotionale spontane Eindrücke, als ob sie singt was sie gerade empfindet. Das ist kein ausgeklügeltes Lyrics Writing, passt aber ganz gut zum Sound. Hat aber damit auch etwas sehr Flüchtiges. In "Get Your Life Back" scheint sie sich ein bisschen über digitale Medien auszulassen, aber nicht mit Anti-Parolen, sondern eher mit vorsichtigen Textfragmenten. Das hat alles etwas sehr Momentanes. Ein Stück auf dem neuen Album heißt zum Beispiel "Cookie Butter", das klingt wie ein kleines Spoken Word-Stück: " I fell, I was born, I eat, drink, I pretend, I forget, I buy". Dann kommt der Gegenpart: " I drank, you spill, I was born, you die" – das ist ganz hübsch, wenn auch nicht von der Intensität wie andere Spoken Word Werke.
Reil: Kim Gordon gilt ja als feministische Ikone, für viele Künstlerinnen einer jüngeren Generation. Auch wenn sie das gar nicht unbedingt sein will. Wie feministisch und kämpferisch ist sie auf der neuen Platte?
Feministische Anklänge
Zylka: Ja, genau. Ich denke, dass sie andere manchmal mehr als Feministin wahrnehmen als sie sich selbst. Sie kennt natürlich als "Girl In A Band", als aktive Musikern seit 40 Jahren die latente Misogynie im Rockbusiness. Das hat sie ja auch immer kolportiert, auf der anderen Seite drehte sich ihr Buch zum Beispiel sehr stark um ihren Exmann Thurston, das war in diesen Belangen kein feministisch-analytisches Buch, sondern da war jemand verletzt und brauchte viel Kraft, um sich von den klassischen Rollenbildern freizumachen. Auf der neuen Platte findet sie eher selten starke Parolen, oder starke Worte, um einen Gesellschaftszustand dahingehend auszudrücken. Den Song "Hungry Baby" singt sie allerdings aus Sicht eines Mannes, eines Musikers, und das finde ich wirklich überzeugend und auch interessant, da erzählt sie quasi aus männlicher Sicht wie ein Mann eine Frau anmacht, und ihr sagt: "Jaja, wir machen später noch Musik zusammen, aber erstmal geht es rund."
Reil: Die Autobiographie von Kim Gordon – Girl In A Band - haben wir schon erwähnt. Da ist sie sehr offen, was ihr Privatleben angeht. Wie autobiographisch ist in ihrer aktuellen Musik ?
Zylka: Man muss sich schon viel denken, muss viel interpretieren, sie wird nicht wirklich konkret, aber ihre Gefühlswelt kommt doch stark rüber. Sie ist wharscheinlich in einem zweifelnden zustand, das würde ich jetzt mal küchenpsychologisch analysieren. Es geht um Identität – aber ohne die eigene Identität wirklich zu analysieren. Ich muss sagen, dass ich die Platte trotzdem oder gerade deshalb mochte. Auch die sehr schönen und irritierenden Videos, die zu einigen Songs erschienen sind, die zeigen, dass sie als Künstlerin multimedial denken und arbeiten kann, und auch assoziativ arbeiten kann oder will. No Home Record hat aber etwas Retromäßiges, so dieses sich auf sich selbst Beziehen, das Schwammige im Ausdruck, das ist nicht modern, das ist gute alte Avantgarde. Aber ich mag das, auch wenn es vielleicht nicht unbedingt nach vorn zeigt, sondern sich eher damit beschäftigt, was schon passiert ist.
Reil: Jenni Zylka über "No Home Records" von Kim Gordon. Danke für Ihre Einschätzung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.