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Kind und Karriere

Mehr organisierte Ganztagsbetreuung und vor allem das neue Elterngeld sollen den Deutschen wieder Lust auf Kinder machen. Zwei aktuelle Buchveröffentlichungen lassen Frauen selbst zu Wort kommen: Frauen, die kinderlos geblieben sind oder noch keine Kinder haben; Mütter, die sich für Kinder entschieden haben und über ihre vielfältigen Erfahrungen zwischen Kindern, Haushalt und Erwerbsarbeit berichten. und schließlich auch beruflich höchst erfolgreiche Frauen.

Kostas Petropulos |
    Die Debatte um die absehbare Vergreisung des Landes setzt vor allem die Frauen massiv unter Rechtfertigungsdruck:

    "Weil sie keine Kinder hat und arbeitet. Weil sie Kinder hat und nicht arbeitet. Weil sie noch keine Kinder will. Weil sie kein weiteres Kind will. Weil sie am liebsten fünf Kinder hätte. Weil sie Kinder hat und Karriere macht. Weil sie Kinder hat und keine Karriere macht. Weil sie kinderlos ist und trotzdem keine Karriere plant."

    In unserer emanzipierten Gesellschaft können sich Frauen frei zwischen diesen Lebensmodellen entscheiden. Welche Faktoren die jeweilige Entscheidung beeinflussen, kann man von den beiden Berliner Journalistinnen Silke Lambeck und Regine Zylka anschaulich erfahren. In ihrem Buch "Das große Jein" lassen sie 20 höchst unterschiedliche Frauen zu Wort kommen, die für jedes dieser Lebensmodelle stehen. Da die Frauen dabei anonym bleiben, können sie freimütig berichten und gewähren so dem Leser besonders tiefe Einblicke in ihr Denken und Fühlen.
    Beispielsweise die 34jährige Lehrerin Claudia. Noch im Studium hatte sie sich vier Kinder gewünscht. Jetzt will sie kein einziges mehr. Der Wunsch danach sei im Laufe der Zeit ganz einfach weggebröckelt. Erst die Suche nach dem richtigen Partner, dann der Einstieg in den Beruf und schließlich die arbeitsintensive, aber ausfüllende Tätigkeit als Lehrerin lassen da keinen Raum mehr für ein eigenes Kind. Hinter dieser rationalen Erklärung wird zugleich eine tieferliegende Angst vor der Elternschaft erkennbar:

    "Mit dem Kinderkriegen verändern sich die Beziehungen der Paare sehr, und das macht mir auch ein bisschen Angst. Es geht nur noch um die Kinder. Es muss so viel Organisatorisches geklärt werden, dass die Kraft nicht mehr zum Gespräch über die eigenen Gefühle reicht. Die Nähe zwischen den Partnern kommt zu kurz, weil alles den Bedürfnissen des Kindes untergeordnet wird."

    Aber nicht nur der Verlust an Selbstbestimmung über das eigene Leben macht Angst. Hinzu kommen wenig ermutigende Beobachtungen bei den Familien im eigenen Umfeld:

    "Die Mütter sind sehr oft belastet. Wenn die Mütter zu Hause sind - wie bei vielen ausländischen Schülern -, haben sie mehrere Kinder und können sich um das einzelne nicht so kümmern. Bei den deutschen Müttern ist es oft so, dass sie die Kinder allein erziehen, die kommen abends nach Hause, müssen noch alles Mögliche erledigen. Ich sehe auch die Kollegen, die Kinder haben. Was die für einen Stress haben, zur ersten Stunde zu erscheinen oder zu den Konferenzen zu kommen. In solchen Momenten bin ich immer froh, unabhängig zu sein."

    Tatsächlich: So unterschiedlich die Lebenswege der Mütter sein mögen, die die beiden Berliner Journalistinnen in ihrem Buch zu Wort kommen lassen, in einem Punkt stimmen sie überein: Alle leiden unter einem enormen Zeitdruck – jedenfalls, wenn sie Kinder und Berufstätigkeit unter einen Hut bringen müssen. Zwar wollen sie erwerbstätig sein, aber in der Regel bei weitem nicht so lang, wie sie es tatsächlich sind. Um genug Zeit für ihre Kinder zu haben, wünschen sie oft Teilzeitarbeit. Allerdings können sie sich dies entweder aus Geldmangel nicht leisten oder sie scheitern an einer verständnislosen Arbeitswelt. So berichtet etwa Mike, was sie als Ärztin bereits nach ihrem ersten Kind erlebte:

    "Wir waren ständig unterbesetzt, und die Arbeitsbelastung war enorm hoch. Jeder blieb länger. Und ich war immer unter Druck, weil ich wusste, dass der Kindergarten zumachte. Ständig waren die Kollegen sauer auf mich, weil ich gehen musste."

    Unter der familienblinden Arbeitswelt leidet auch die Minderheit der Väter, die nicht bloß Ernährer ihrer Familien sein wollen. Sie wissen, dass ihr Wunsch, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, ein hohes berufliches und wirtschaftliches Risiko bedeutet. Wer es dennoch wagt, muss mit seiner Kündigung rechnen.

    Besonders lesenswert sind in dem Buch von Silke Lambeck und Regine Zylka die Berichte der Mütter aus so genannten Risikofamilien – also Frauen, die ihre Kinder entweder sehr jung oder trotzt wenig Geld sehr viele Kinder bekommen haben. Entgegen dem öffentlichen Eindruck tun diese Mütter alles, um ihre Kinder soweit wie möglich zu fördern. Beispielsweise die alleinerziehende Birgit mit ihren acht Kindern:


    "Wir gehen oft in die Bibliothek. Selbst die ganz Kleinen suchen schon ihre Bücher aus. Was die Schule kostenlos anbietet, nehmen wir mit. Theater- und Musik-AG, Chemie-AG. Flöten-AG. Ansonsten versuchen wir, einmal im Monat irgendetwas Besonderes zu veranstalten, Kino oder Theater."

    Nicht weniger überraschend sind die familienpolitischen Einsichten, die diese so genannten Risikomütter aus ihrer Alltagserfahrung gewinnen. So meint Nancy, die als 18jährige ihr erstes Kind bekam:

    "Wenn Frauen wieder mehr Kinder kriegen sollen, muss man sich um die richtig kümmern, die bereits welche haben."

    Eine Erkenntnis, die durch wissenschaftliche Studien bestätigt, aber noch längst nicht in der Politik angekommen ist. Für Politiker, die dem Kinderschwund hierzulande ernsthaft begegnen wollten, wäre das Buch von Silke Lambeck und Regine Zylka die reinste Fundgrube. Aber bekanntlich hat die Politik andere Prioritäten. Sie sorgt sich vor allem um die hohe Kinderlosigkeit unserer Elite, also bei den Akademikerinnen.

    Neben dem Elterngeld und dem Ausbau der organisierten Ganztagsbetreuung, setzt sie zudem auf das Mittel der ideologischen Aufmunterung. So sammelt sie eifrig Beweise dafür, dass Kinder und Karriere kein Widerspruch sind. Ein schönes Beispiel dafür ist das Buch der SPIEGEL-Redakteurinnen Anke Dürr und Claudia Voigt. Es heißt Die Unmöglichen. Mütter, die Karriere machen. Ein Buch, das den ausdrücklichen Beifall und die finanzielle Unterstützung sowohl der Bundesfamilienministerin als auch der Vorsitzenden der Bertelsmann-Stiftung findet, wie man im gemeinsamen Vorwort der beiden Damen nachlesen kann. Für kritische Leser dürfte das nicht unbedingt eine Empfehlung sein. Dennoch lohnt die Lektüre.

    Präsentiert werden elf beruflich höchst erfolgreiche Mütter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Kirche und Kultur. Bei aller Bewunderung für diese Frauen lassen die journalistischen Portraits aber durchaus erkennen, welche Einstellungen zur Erwerbstätigkeit und der eigenen Familie diese Erfolgsfrauen von den Durchschnittsmüttern unterscheiden.

    Natürlich ist es der hohe Stellenwert des Berufs - beispielsweise bei Juliane Kokott, EU-Generalanwältin und sechsfache Mutter. Von Montag bis Donnerstag lebt sie allein in Luxemburg. Ihre fehlende Präsenz im Familienalltag geht an ihren Kindern nicht ganz spurlos vorüber. Aber Juliane Kokott will da keine Selbstzweifel aufkommen lassen:

    "Speziell Katharina ist sehr anhänglich. Sie sagt immer, die sollen dir doch einfach das Geld aus Luxemburg schicken, du kannst doch auch zu Hause arbeiten.« Natürlich gebe ihr das zu denken, »aber es wäre doch nicht vernünftig, mein Leben nach den Wünschen einer Sechsjährigen auszurichten."

    Eine Haltung, die tatsächlich rund 80 Prozent der deutschen Mütter nicht teilen. Diese versuchen bewusst ihre Erwerbstätigkeit an den jeweiligen Bedürfnissen ihrer Kinder auszurichten. Eine Einstellung, die auch einen Teil der porträtierten Erfolgsmütter kennzeichnet.

    Es zeigt sich, dass die im Buch vorgestellten 11 Frauen sich in ihren Lebenswegen und Lebensvorstellungen teilweise fundamental voneinander unterscheiden. Während zum Beispiel ein Teil von ihnen trotz Kindern ihre berufliche Laufbahn bruchlos fortsetzten, hat ein anderer Teil der Frauen zunächst beruflich pausiert oder ist zumindest deutlich kürzer getreten.

    Darüber hinaus bestätigt das Buch von Anke Dürr und Claudia Voigt entgegen seiner erklärten Absicht, dass Kinder und Karriere durchaus ein Widerspruch sind – und zwar nicht weil es an ausreichend Kinderbetreuung fehlen würde oder die Frauen Angst vor dem Vorwurf "Rabenmutter" hätten.

    Top-Karrieren verlangen in der heutigen Arbeitswelt Einsatzbereitschaft rund um die Uhr. Das belastet nicht nur die Kinder, verhindert oder zerstört Partnerschaften, sondern geht ebenfalls an die körperliche und seelische Substanz der Frauen. Das zeigt nicht nur das Beispiel der erfolgreichen türkischen Reiseunternehmerin Nina Öger, die mit einem Kind Karriere macht:

    "Im Flugzeug bekam sie Panikattacken, meinte plötzlich, ersticken zu müssen. ‚Ich dachte, wenn mir was passiert, dann wird meine ganze Welt zusammenbrechen.’ Panikanfälle sind eine Krankheit, die vielfach etwas mit Erfolg zu tun hat. In Deutschland leidet Studien zufolge jeder Zehnte unter einer Angststörung, fast immer ausgelöst durch lang anhaltenden Stress."

    Dennoch erklärt Öger tapfer, für ein zweites Kind wäre in ihrem Leben auch noch Platz.
    Das mag sie persönlich durchaus glauben. Die Leser und Leserinnen allerdings dürften spätestens nach der Lektüre dieses Buches durchaus ihre handfesten Zweifel am Erfolgsmodell "Kinder und Karriere" bekommen haben.
    Das war eine Rezension von Kostas Petropulos zu den Büchern von Silke Lambeck und Regine Zylka, Das große Jein. Zwanzig Frauen reden über die Kinderfrage, erschienen bei Rowohlt in Berlin, 256 Seiten zu 16 Euro neunzig, und das zweite Buch war von Anke Dürr und Claudia Voigt; es heißt: Die Unmöglichen. Mütter, die Karriere machen, erschienen im Diana Verlag, Gütersloh, 240 Seiten zu 17 Euro neunzig. Und das, meine Damen und Herren war die Politische Literatur heute, durch die Sendung führte Sie Jürgen Liminski, der dankt für’s Zuhören und wünscht Ihnen noch einen angenehmen Abend.