Reden und Handeln kreisen in unserer Gesellschaft um die Erwerbsarbeit. Daher suchen Parteien und Regierungen vor allem auf diesem Feld, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Auch in der Bevölkerung steht die Erwerbsarbeit auf der Werteskala ganz oben. Und nach den Männern ist es mittlerweile ebenso für die meisten Frauen selbstverständlich, ihre Identität und ihr Selbstbewusstsein aus ihrer Berufstätigkeit zu beziehen. Dabei ist allerdings eine grundlegende Tatsache aus dem Blickfeld geraten, die in diesem Buch so beschrieben wird:
"Jeder Mensch verdankt sein Leben reproduktiver Arbeit und benötigt täglich lebenslang diese Leistungen, denn durch sie werden 'die täglichen Erfordernisse der Lebensführung befriedigt, und nur durch sie bleibt die Lebens- und Arbeitskraft einer Gesellschaft erhalten.'"
Leistungen wie Versorgung, Betreuung, Pflege und Erziehung innerhalb der Familien, so macht Marianne Dierks in ihrer neuesten Forschungsarbeit uns wieder bewusst, sind eine tragende Säule unserer Gesellschaft und Wirtschaft. In ihrer Publikation "Karriere! – Kinder, Küche?" trägt Dierks deshalb einleitend die mittlerweile vorliegenden wissenschaftlichen Fakten zum Wert der Reproduktionsarbeit zusammen. Dann kommt sie zur Kernfrage ihres Buches, der Frage nämlich: "Wie gut bewältigen beruflich erfolgreiche Mütter die notwendige Arbeit in der Familie tatsächlich?" Glaubt man den sich öffentlich als Beispiel präsentierenden Erfolgsmüttern wie etwa der Bundesfamilienministerin, dann läuft alles reibungslos. Kinder und Karriere seien zwar ein Kraftakt, der die Frauen durchaus körperlich und seelisch massiv fordere, aber die Kinder würden darunter keinesfalls leiden. Im Gegenteil. Oft seien sie sogar stolz auf ihre ungewöhnlich starken Mütter.
Die von Marianne Dirks vorgelegte Untersuchung kommt indes zu anderen, ernüchternden Ergebnissen. Basis ihrer Studie sind 16 ausführliche Interviews mit ausgewählten Müttern. Sie alle waren im Laufe ihres Lebens in Führungspositionen tätig und - das ist das Besondere - haben alle familiäre Entwicklungsphasen bereits hinter sich, also von der Geburtenplanung bis zum Auszug der erwachsenen Kinder aus dem Elternhaus. Als erstes stellt sich heraus, dass die Frauen drei unterschiedliche Wege beschritten hatten, um Kinder und Berufserfolg zu vereinbaren:
"Die Vereinbarung durch späte, erste Mutterschaft, die Vereinbarung durch Erwerbsunterbrechung, die kontinuierliche Vereinbarung von Berufs- und Reproduktionsarbeit."
Wobei bezeichnenderweise nur die Frauen mit längerer beruflicher Auszeit überhaupt mehr als zwei Kinder bekamen. Allen gemeinsam wiederum ist, dass die notwendige Familienarbeit in der Hauptsache von den Frauen geleistet wurde. Die Männer beteiligten sich daran nur in geringem Umfang. Die Mütter, die beruflich nicht zurücksteckten, mussten daher einen Großteil der Alltagsarbeit für ihre Kinder an externe Helferinnen delegieren - an Großeltern, private Hausangestellte oder an öffentliche Betreuungseinrichtungen. Trotz dieser Unterstützung blieb für die beruflich stark engagierten Frauen immer noch genug an häuslicher Alltagsarbeit zu bewältigen. Um unter dieser Doppellast nicht zusammenzubrechen, haben die Frauen zwei Strategien eingesetzt:
"Es kommt zu einer Absenkung des Leistungsniveaus bei der Verrichtung materieller Haus-, Unterstützungs- und Erziehungsarbeit, wobei das Erziehungsziel 'Förderung der Selbstständigkeit' des Kindes als legitimierter Begründungszusammenhang für eine Reduzierung oder weitgehende Einstellung der elterlichen Erziehungsbegleitung in der mittleren und späten Kindheit benutzt wird."
Und zweitens:
"Die Zeit wird voll ausoptimiert, so dass der häusliche Alltag zunehmend die Zeit- und Handlungslogiken der Erwerbsarbeit annimmt. Die Erziehungsarbeit orientiert sich stärker an den Notwendigkeiten der kindlichen Versorgung, und die emotionale und psychische Beziehungsarbeit tritt in den Hintergrund. Mutterschaft scheint unter den Bedingungen qualifizierter Vollerwerbstätigkeit tendenziell entemotionalisierter und damit rationaler und funktionaler gestaltet zu werden."
Für absichtslose, vom Kind bestimmte Aktivitäten oder gar Zeit für spontane Wünsche des Kindes bleibt da wenig Raum. Der gesamte Lebensrhythmus der Kinder wird vom Takt der Erwerbsarbeit seiner Eltern bestimmt. Dieses auf berufliche Effizienz getrimmte und tendenziell ausgedünnte Familienleben bei den karriereorientierten Müttern erweist sich in den späteren Entwicklungsphasen der Kinder als durchaus problematisch. Nach der Grundschulzeit und insbesondere während der Pubertät gibt es bekanntlich bei Jugendlichen einen enormen Orientierungs- und Unterstützungsbedarf. Dieser konnte jedoch von den karrierebewussten Eltern nicht in ausreichendem Maß geleistet werden. Diese Beobachtung bestätigt damit eine soziologische Erkenntnis, an der man bei der Debatte um Familie und Beruf nicht vorbeikommt: Die reproduktive Arbeit in der Familie kann nur beschränkt an externe Dienstleister delegiert werden:
"Das Wohlbefinden der gesamten Familie sowie jedes Mitgliedes, d. h. der Sinn der Arbeit, reduziert sich nicht allein auf die für dieses Wohlbefinden notwendige materielle Produktion, sondern wurzelt in der subjektiven Dimension des individuell Erlebten und den zwischenmenschlichen Beziehungen. (...) Daher haben öffentliche soziale Dienstleistungen zwar einen hohen positiven Wert als Ergänzung zur Hausarbeit, aber sie scheitern genau dann, wenn sie diese gänzlich zu ersetzen versuchen. Die Gefühlswelt kann nicht vergesellschaftet werden."
Die Untersuchung von Marianne Dierks fördert indes nicht nur bei den konsequent erwerbsorientierten Müttern problematische Entwicklungen in deren Familienleben zu Tage, auch die Frauen, die sich für eine längere Erwerbsunterbrechung entschieden hatten, um die Arbeit in der Familie selbst zu übernehmen, mussten mit den bekannten Schwierigkeiten kämpfen: deutlich eingeschränkte soziale Kontakte, das Auseinanderklaffen zwischen der Lebenswelt dieser Frauen und der ihrer erwerbstätigen Männer, tendenzielle Überversorgung der Kinder. Zudem zeigt die Studie, dass
"die Verknüpfung der Mutterrolle mit einem Leben als Hausfrau nicht automatisch eine kindorientierte Perspektive und Handlungsausrichtung begründet."
Die Rückkehr in die Arbeitswelt stellte schließlich die Ehen auf eine harte Bewährungsprobe. Da die Frauen ja berufliche Führungspositionen ausfüllten, mussten sie einen großen Arbeitseinsatz zeigen. Deshalb fiel der Bruch mit der bisherigen Organisation des Familienlebens besonders krass aus. Unterm Strich zeigt die Forschungsarbeit von Marianne Dierks, dass Kinder und Karriere bei praktisch allen Müttern mit massiven Beeinträchtigungen der Reproduktionsarbeit in ihren Familien verbunden gewesen sind - ganz unabhängig davon, welches Modell der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sie wählten. Grund dafür waren die unzureichende Beteiligung der Väter an dieser Aufgabe und die fehlende Rücksichtnahme der Arbeitswelt auf die familiäre Tätigkeit. Zu diesem Missstand tragen für die Düsseldorfer Sozialwissenschaftlerin auch die Mütter selbst ganz erheblich bei, und zwar, weil sie die verbreitete gesellschaftliche Abwertung und Geringschätzung der Reproduktionsarbeit in den Familien klaglos mitmachen. So sprachen sie bei ihrer Befragung kaum über diese Tätigkeit, obwohl sie den Großteil dieser Arbeit übernahmen und damit ihr Alltag und ihre Lebensgestaltung maßgeblich davon bestimmt wurde. Auch über die erlebten Gegensätze von Erfordernissen der Familien- und der Erwerbsarbeit sprachen sie nicht offen. Damit tragen sie zur Aufrechterhaltung des Mythos vom problemfreien Gelingen des Konzepts "Kinder und Karriere" bei:
"Aber genau diese im öffentlichen Raum unterlassenen bewussten Distanzierungen von der alltäglichen Arbeit für Kinder entwertet die von Eltern und zur Zeit noch insbesondere von Müttern geleistete kindbezogene Alltagsarbeit und damit all diejenigen, die diese kontinuierlich verrichten."
Marianne Dierks: Karriere! – Kinder, Küche? Zur
Reproduktionsarbeit in Familien mit qualifizierten berufsorientierten Müttern.
VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2006
444 Seiten
44,90 Euro
"Jeder Mensch verdankt sein Leben reproduktiver Arbeit und benötigt täglich lebenslang diese Leistungen, denn durch sie werden 'die täglichen Erfordernisse der Lebensführung befriedigt, und nur durch sie bleibt die Lebens- und Arbeitskraft einer Gesellschaft erhalten.'"
Leistungen wie Versorgung, Betreuung, Pflege und Erziehung innerhalb der Familien, so macht Marianne Dierks in ihrer neuesten Forschungsarbeit uns wieder bewusst, sind eine tragende Säule unserer Gesellschaft und Wirtschaft. In ihrer Publikation "Karriere! – Kinder, Küche?" trägt Dierks deshalb einleitend die mittlerweile vorliegenden wissenschaftlichen Fakten zum Wert der Reproduktionsarbeit zusammen. Dann kommt sie zur Kernfrage ihres Buches, der Frage nämlich: "Wie gut bewältigen beruflich erfolgreiche Mütter die notwendige Arbeit in der Familie tatsächlich?" Glaubt man den sich öffentlich als Beispiel präsentierenden Erfolgsmüttern wie etwa der Bundesfamilienministerin, dann läuft alles reibungslos. Kinder und Karriere seien zwar ein Kraftakt, der die Frauen durchaus körperlich und seelisch massiv fordere, aber die Kinder würden darunter keinesfalls leiden. Im Gegenteil. Oft seien sie sogar stolz auf ihre ungewöhnlich starken Mütter.
Die von Marianne Dirks vorgelegte Untersuchung kommt indes zu anderen, ernüchternden Ergebnissen. Basis ihrer Studie sind 16 ausführliche Interviews mit ausgewählten Müttern. Sie alle waren im Laufe ihres Lebens in Führungspositionen tätig und - das ist das Besondere - haben alle familiäre Entwicklungsphasen bereits hinter sich, also von der Geburtenplanung bis zum Auszug der erwachsenen Kinder aus dem Elternhaus. Als erstes stellt sich heraus, dass die Frauen drei unterschiedliche Wege beschritten hatten, um Kinder und Berufserfolg zu vereinbaren:
"Die Vereinbarung durch späte, erste Mutterschaft, die Vereinbarung durch Erwerbsunterbrechung, die kontinuierliche Vereinbarung von Berufs- und Reproduktionsarbeit."
Wobei bezeichnenderweise nur die Frauen mit längerer beruflicher Auszeit überhaupt mehr als zwei Kinder bekamen. Allen gemeinsam wiederum ist, dass die notwendige Familienarbeit in der Hauptsache von den Frauen geleistet wurde. Die Männer beteiligten sich daran nur in geringem Umfang. Die Mütter, die beruflich nicht zurücksteckten, mussten daher einen Großteil der Alltagsarbeit für ihre Kinder an externe Helferinnen delegieren - an Großeltern, private Hausangestellte oder an öffentliche Betreuungseinrichtungen. Trotz dieser Unterstützung blieb für die beruflich stark engagierten Frauen immer noch genug an häuslicher Alltagsarbeit zu bewältigen. Um unter dieser Doppellast nicht zusammenzubrechen, haben die Frauen zwei Strategien eingesetzt:
"Es kommt zu einer Absenkung des Leistungsniveaus bei der Verrichtung materieller Haus-, Unterstützungs- und Erziehungsarbeit, wobei das Erziehungsziel 'Förderung der Selbstständigkeit' des Kindes als legitimierter Begründungszusammenhang für eine Reduzierung oder weitgehende Einstellung der elterlichen Erziehungsbegleitung in der mittleren und späten Kindheit benutzt wird."
Und zweitens:
"Die Zeit wird voll ausoptimiert, so dass der häusliche Alltag zunehmend die Zeit- und Handlungslogiken der Erwerbsarbeit annimmt. Die Erziehungsarbeit orientiert sich stärker an den Notwendigkeiten der kindlichen Versorgung, und die emotionale und psychische Beziehungsarbeit tritt in den Hintergrund. Mutterschaft scheint unter den Bedingungen qualifizierter Vollerwerbstätigkeit tendenziell entemotionalisierter und damit rationaler und funktionaler gestaltet zu werden."
Für absichtslose, vom Kind bestimmte Aktivitäten oder gar Zeit für spontane Wünsche des Kindes bleibt da wenig Raum. Der gesamte Lebensrhythmus der Kinder wird vom Takt der Erwerbsarbeit seiner Eltern bestimmt. Dieses auf berufliche Effizienz getrimmte und tendenziell ausgedünnte Familienleben bei den karriereorientierten Müttern erweist sich in den späteren Entwicklungsphasen der Kinder als durchaus problematisch. Nach der Grundschulzeit und insbesondere während der Pubertät gibt es bekanntlich bei Jugendlichen einen enormen Orientierungs- und Unterstützungsbedarf. Dieser konnte jedoch von den karrierebewussten Eltern nicht in ausreichendem Maß geleistet werden. Diese Beobachtung bestätigt damit eine soziologische Erkenntnis, an der man bei der Debatte um Familie und Beruf nicht vorbeikommt: Die reproduktive Arbeit in der Familie kann nur beschränkt an externe Dienstleister delegiert werden:
"Das Wohlbefinden der gesamten Familie sowie jedes Mitgliedes, d. h. der Sinn der Arbeit, reduziert sich nicht allein auf die für dieses Wohlbefinden notwendige materielle Produktion, sondern wurzelt in der subjektiven Dimension des individuell Erlebten und den zwischenmenschlichen Beziehungen. (...) Daher haben öffentliche soziale Dienstleistungen zwar einen hohen positiven Wert als Ergänzung zur Hausarbeit, aber sie scheitern genau dann, wenn sie diese gänzlich zu ersetzen versuchen. Die Gefühlswelt kann nicht vergesellschaftet werden."
Die Untersuchung von Marianne Dierks fördert indes nicht nur bei den konsequent erwerbsorientierten Müttern problematische Entwicklungen in deren Familienleben zu Tage, auch die Frauen, die sich für eine längere Erwerbsunterbrechung entschieden hatten, um die Arbeit in der Familie selbst zu übernehmen, mussten mit den bekannten Schwierigkeiten kämpfen: deutlich eingeschränkte soziale Kontakte, das Auseinanderklaffen zwischen der Lebenswelt dieser Frauen und der ihrer erwerbstätigen Männer, tendenzielle Überversorgung der Kinder. Zudem zeigt die Studie, dass
"die Verknüpfung der Mutterrolle mit einem Leben als Hausfrau nicht automatisch eine kindorientierte Perspektive und Handlungsausrichtung begründet."
Die Rückkehr in die Arbeitswelt stellte schließlich die Ehen auf eine harte Bewährungsprobe. Da die Frauen ja berufliche Führungspositionen ausfüllten, mussten sie einen großen Arbeitseinsatz zeigen. Deshalb fiel der Bruch mit der bisherigen Organisation des Familienlebens besonders krass aus. Unterm Strich zeigt die Forschungsarbeit von Marianne Dierks, dass Kinder und Karriere bei praktisch allen Müttern mit massiven Beeinträchtigungen der Reproduktionsarbeit in ihren Familien verbunden gewesen sind - ganz unabhängig davon, welches Modell der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sie wählten. Grund dafür waren die unzureichende Beteiligung der Väter an dieser Aufgabe und die fehlende Rücksichtnahme der Arbeitswelt auf die familiäre Tätigkeit. Zu diesem Missstand tragen für die Düsseldorfer Sozialwissenschaftlerin auch die Mütter selbst ganz erheblich bei, und zwar, weil sie die verbreitete gesellschaftliche Abwertung und Geringschätzung der Reproduktionsarbeit in den Familien klaglos mitmachen. So sprachen sie bei ihrer Befragung kaum über diese Tätigkeit, obwohl sie den Großteil dieser Arbeit übernahmen und damit ihr Alltag und ihre Lebensgestaltung maßgeblich davon bestimmt wurde. Auch über die erlebten Gegensätze von Erfordernissen der Familien- und der Erwerbsarbeit sprachen sie nicht offen. Damit tragen sie zur Aufrechterhaltung des Mythos vom problemfreien Gelingen des Konzepts "Kinder und Karriere" bei:
"Aber genau diese im öffentlichen Raum unterlassenen bewussten Distanzierungen von der alltäglichen Arbeit für Kinder entwertet die von Eltern und zur Zeit noch insbesondere von Müttern geleistete kindbezogene Alltagsarbeit und damit all diejenigen, die diese kontinuierlich verrichten."
Marianne Dierks: Karriere! – Kinder, Küche? Zur
Reproduktionsarbeit in Familien mit qualifizierten berufsorientierten Müttern.
VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2006
444 Seiten
44,90 Euro