"Kinder im Alter von zwei bis acht Jahren - das sind ja nur ein paar Fälle; da gibt es ja noch viel mehr deutsche Staatsangehörige - die müssen aus diesen Camps raus. Da sind plus 45 Grad. Die Leute vor Ort haben kaum Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Menschen sind zum Teil dort gezwungen, Wasser aus Pfützen zu trinken."
Diese junge Frau kämpft um Yahya und Zacharia, sieben und zwei Jahre alt. Ihre Cousine und deren Mann sind in Syrien umgekommen. Die beiden Waisen wurden bereits vor einigen Monaten in Camps in Nordsyrien lokalisiert. Die Großeltern haben die Vormundschaft bekommen. Mitte April wandten sie sich ans Auswärtige Amt mit der Bitte, Maßnahmen für eine Rückkehr der Kinder nach Deutschland zu ergreifen. Seither warten sie vergeblich, fühlen sich, wie sie in einem offenen Brief an Außenminister Maas schreiben, von der Regierung im Stich gelassen.
Außenministerium: Keine Auskunft zu konkreten Fällen
Zu konkreten Fällen äußere man sich nicht, meinte dazu Außenamtssprecher Christopher Burger und weiter: "Wir prüfen zusammen mit den Partnern die Optionen, die es gibt, um in humanitären Einzelfällen, insbesondere eben im Fall von Kindern eine Rückkehr nach Deutschland zu unterstützen." Und das offensichtlich auch erst nachdem die Bundesregierung vorm Berliner Verwaltungsgericht verklagt wurde.
Die Spur des kleinen Zacharias ist mittlerweile verlorengegangen. Den siebenjährigen, in Deutschland geborenen Yahya, haben die Großeltern jetzt auf eigene Faust im Lager Al Hol besucht, durften ihn aber nicht mitnehmen, wie ihre Nichte berichtet - die auf Anonymität Wert legt:
"Die Kinder müssen schleunigst herausgeholt werden. Und dass sie darauf bestehen erst einmal DNA-Tests zu machen, wir warten seit einem Monat, da ist nichts passiert. Andere Länder wie zum Beispiel Schweden haben das ohne DNA-Tests gemacht. Es ist einfach ein vorgeschobener Grund, nicht mit den Kurden zu kooperieren."
Menschenrechtsanwalt mahnt zur Eile
In Syrien sei eine konsularische Betreuung nach Schließung der Botschaft Damaskus weiterhin faktisch nicht möglich, heißt es aus dem Auswärtigen Amt dazu. Man könnte allerdings sehr wohl mit den Kurden direkt verhandeln, sie kontrollieren das Gebiet und sind froh für jeden Gefangenen weniger – aber da kommt offensichtlich politische Rücksichtnahme auf die Türkei ins Spiel.
"Die Zeit drängt. Ich habe versucht, der deutschen Regierung klar zu machen, dass sie und nicht die Kurden die Verantwortung tragen, wenn diese Kinder sterben. Die Kurden sind guten Willens, aber verfügen nicht über die Mittel, für die Kinder zu sorgen. In den letzten Wochen sind allein im Lager Al Hol 235 Kinder gestorben", sagt Menschenrechtsanwalt Clive Stafford Smith.
117 Kinder mit deutscher Staatsbürgerschaft
Mit seiner Organisation Reprieve und dem ECCHR, dem Europäischen Rat für Verfassungs- und Menschenrechte, setzt er sich für die Rückführung der Kinder, aber auch generell der Ausländer aus den Gefangenenlagern im Kurdengebiet ein. Stafford Smith selbst hat in den Lagern Kontakt zu 20 Erwachsenen und 25 Kindern aus Deutschland aufgenommen. Sieben davon sind Waisen.
Insgesamt sollen sich laut Geheimdienstquellen 124 IS-Anhänger und 138 Kinder mit Deutschlandbezug in den Lagern aufhalten. 90 Erwachsene und 117 Kinder davon besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft: "Einige der Leute werden jetzt schon seit zwei Jahren ohne Prozess, ohne Verfahren festgehalten. Deshalb sprechen wir auch vom 'Guantanamo am Euphrat'. Die Menschen werden auf unbestimmte Zeit festgehalten und aus deutscher Sicht kann das ewig so weiter gehen", kritisiert Clive Stafford Smith.
Menschenrechtsanwalt nimmt Deutschland in die Pflicht
Erst gegen knapp zwei Dutzend ehemalige IS-Kämpfer aus den kurdischen Lagern sind in Deutschland Haftbefehle ergangen. Offenbar möchte man sich nicht ehemalige und/oder potentielle Dschihadisten ins Land holen, gegen die man nicht genügend Beweise für ein geordnetes Gerichtsverfahren hat. Reicht aber der Verdacht allein, um Personen ihre Rechte zu verwehren? In Syrien oder im Irak, wo laut Auswärtigem Amt immerhin acht deutsche Gefangene konsularisch betreut werden, droht die Todesstrafe.
"Wir treten für Menschenrechte und Freiheit für alle ein. Die Freiheit wird am Rand immer mehr untergraben. Wenn wir Menschen nicht mehr die Unschuldsvermutung und andere Rechte zugestehen, nur weil eine Minderheit in Deutschland diese Menschen hasst, dann verlieren wir alle. Deutschland kann das doch besser und die Politiker sollten dafür einstehe", so Clive Stafford Smith.
Immerhin konnten aus dem Irak, wo Deutschland eine diplomatische Vertretung hat, seit Inhaftierung der ersten IS-Unterstützer Mitte 2017 bislang 15 Kinder in Begleitung von Angehörigen ausreisen.