Burkhard Müller-Ullrich: Jedes Museum, das auf sich hält, hat heutzutage ein spezielles Programm für Kinder und Jugendliche zu bieten. Es ist wie beim Radio: Das Publikum der Zukunft soll mit allen Mitteln gewonnen und herangeführt werden – na ja, mit allen Mitteln ist übertrieben, denn um die Wahl der Mittel wird durchaus gestritten, auch beim Humboldt-Forum, nehme ich an. Um dieses geht es jetzt. Wir haben das Humboldt-Forum und seine Geschichten schon in elf Interviews beleuchtet, in einer Gründlichkeit, die diesem gigantischen Museumsprojekt gebührt, und jetzt in der zwölften Folge geht es um dieses schwierige, aber wichtige Unterfangen, sich für junge Leute interessant zu machen. Ute Marxreiter, das ist Ihre Aufgabe. Aber ist nicht gerade dieses Superlativische am Humboldt-Forum, dieses gleißende Scheinwerferlicht der staatlichen Repräsentation, das ja auch damit verbunden ist – ist das nicht eher abschreckend für die Jugend?
Ute Marxreiter: Na ja. Zum einen ist die Vermittlung, die Sie hier angesprochen haben mit den Kindern und Jugendlichen, für das Humboldt-Forum wirklich eine gewaltige Aufgabe, vor der ich auch sehr großen Respekt habe. In der Tat sind da viele Erwartungen und viele Dinge jetzt in der Öffentlichkeit, die auch diskutiert werden, zum Teil auch sehr kritisch diskutiert werden. Mir geht es in erster Linie darum, auch wirklich diese Arbeit zu machen, und wir haben im Humboldt-Forum eine besondere Chance, finde ich. Und zwar das, was Sie angesprochen haben, diese sogenannten Juniorflächen, sind Flächen, die innerhalb der Ausstellung freigehalten waren, freigehalten sind, um dort handlungsorientierte Angebote für Kinder, aber auch vor allem für Familien zu machen. In den meisten Museen ist es ja so, dass die Flächen für die Kinder und Jugendlichen eher ausgelagert werden in Kindermuseen, also separiert werden. Und das hier jetzt innerhalb der Ausstellung anzusiedeln, finde ich eine sehr mutige Entscheidung, die mich aber auch natürlich und die Gestalter vor viele Herausforderungen stellt. Aber ich finde es sehr wichtig, dass auch die jüngeren Besucher und die Angebote dafür innerhalb der Ausstellung ganz selbstverständlich sichtbar werden.
Müller-Ullrich: Wie nahe sind denn diese Juniorflächen am Rest, denn das bringt ja ein bisschen Unruhe herein? Kinder sind nun mal zappelig und der Rest der Herrschaften möchte gerne das Museum in Ruhe ansehen.
Marxreiter: Die sind ganz nahe. Das ist unterschiedlich. Die sind sehr eng an die Ausstellungsmodule angedockt und die Überlegung, die jetzt ich nicht so entschieden habe, die seitens des Ethnologischen Museums vorgegeben war, war zu sagen, wir haben ja verschiedene Kontinente und wir möchten einfach mal, vielleicht ein bisschen schematisch gedacht, zu jedem Kontinent so eine Juniorfläche andocken. Beispielsweise in dem Bereich Amazonien ist das wirklich innerhalb des Ausstellungsraumes. Da können Sie sich vorstellen: Da sind die Ausstellungsvitrinen und in einem Teil dieses Raumes ist dann die Fläche für die jungen Besucher(innen) gedacht.
Marxreiter: Kinder eher inspirierend als eine Störung
Müller-Ullrich: Und meine Befürchtung, dass da die Unruhe dann überschwappt, wie gehen Sie damit um?
Marxreiter: Na ja, das werden wir sehen. Ich denke, zum einen werden nicht alle Besucherinnen und Besucher, sage ich mal, in stiller Kontemplation das Museum betrachten wollen. Es ist ja auch immer noch die vorherrschende Vorstellung, dass das der quasi richtige Museumsmodus ist. Ich glaube, viele andere Besucherinnen und Besucher sind auch froh und dankbar, wenn es Dinge zum Anfassen und zum Ausprobieren gibt. Und wie die Kinder, wenn die dann Sachen ausprobieren, wenn die spielen, ich denke, dass das eigentlich für die anderen Besucher eher auch inspirierend ist und weniger eine Störung.
Müller-Ullrich: Sie haben ja gerade von Amazonien gesprochen. Die Verlockung des Exotischen, die ja in diesem Humboldt-Forum sozusagen eine Heimat findet, die ist ja für Kinder sehr interessant.
Marxreiter: Die ist sehr interessant. Aber das ist natürlich auch eine zwiespältige Sache, denn was wir nicht - und wir, denke ich, da kann ich auch in dem Fall für die Kuratorinnen und Kuratoren dieses Ausstellungsmoduls sprechen - möchten, ist so eine exotische Welt dieser fremden Kultur so ungebrochen darstellen. Ich denke, gerade die Kinder, die in diesen Regionen leben - und ich hatte das Glück, mich mit Leuten von dort auch austauschen zu können -, die sind ja oft auch wirklich in einem sehr starken Spagat zwischen den indigenen und den traditionellen Kulturen, aus denen sie vielleicht stammen, und modernen Lebensweisen. Ich denke, das ist was, was sehr, sehr spannend ist auch für die Kinder jetzt, die hier in Berlin in dieses Museum kommen, zu sehen, wie dort eigentlich die Kinder aufwachsen in diesen manchmal auch sehr konflikthaften Situationen.
Auf der anderen Seite geht es natürlich auch darum, Amazonien - wir haben da wirklich einen großen interaktiven Wald geplant -, einfach diesen Lebensraum erfahrbar zu machen und wirklich zum Ausprobieren auch erfahrbar zu machen.
Müller-Ullrich: Wenn Sie das so problematisieren, dass auch immer viele politische Sachen mit dargestellt werden sollen, Kolonialismus, Vergangenheit, ist da nicht zu viel Zeigefinger dann gleich dabei?
Marxreiter: Das ist die Frage, denke ich, wie man das macht. Ich glaube - und ich habe mich ja gerade sehr intensiv mit dem Kolonialismus auseinandergesetzt. Wir haben in Dahlem ja eine Probebühne dazu entwickelt. Ich glaube einfach, dass man die Themen ansprechen muss, und das ist in vielen Ausstellungsmodulen, das ist übergreifend als Thema. Gerade Kolonialismus durchzieht viele Bereiche und natürlich auch die Geschichte des Ethnologischen Museums an sich. Das ist untrennbar damit verknüpft, also wir müssen darüber sprechen. Ich denke, so wie wir es jetzt zum Beispiel in Dahlem probiert haben - und wir haben da keine fertigen oder richtigen Antworten, wir sind da wirklich auch am Suchen und am Ausprobieren -, ist es so, dass wir gesagt haben, wir möchten einerseits einen ganz starken Alltagsbezug herstellen, woher kommen denn im Alltag bestimmte Begriffe oder Worte, die wir vielleicht auch unreflektiert verwenden, was hat das für Wurzeln, und auch immer - und das ist ja mit dem Multiperspektivismus eine große Vorgabe auch - immer verschiedene Stimmen zu Wort kommen zu lassen, also nicht die eine Meinung hier zu verkünden auch im Sinne einer vielleicht gut gemeinten politischen Korrektheit. Darum geht es mir jetzt nicht.
Ringen um die richtigen Begriffe
Müller-Ullrich: Diese Dahlemer Probebühne, von der Sie sprechen - das Projekt hat den Titel "(K)ein Platz an der Sonne"; da ist das "K" eingeklammert, also soll schon so ein bisschen die Schwierigkeit, die Problematik andeuten - handelt unter anderem von dem einstigen Deutsch-Südwestafrika, wenn ich richtig informiert bin. Was haben Sie denn da für Erfahrungen konkret gesammelt? Wir sprechen jetzt im August miteinander, passt ja gut, da ist der Herero-Tag demnächst anstehend.
Marxreiter: Wir haben jetzt erst mal mit verschiedenen Besuchergruppen, Studierenden auch gesprochen, die sich diesen Raum angeschaut haben. Die Gruppe, die mich besonders interessiert, nämlich die Schulklassen, die werden wir ab September einladen, sich mit diesem Raum zu beschäftigen, uns eine Rückmeldung zu geben, wie sie das Thema finden, wie das bei ihnen ankommt, ob das verständlich, interessant ist, emotional berührend etc. Wir hatten, weil Sie gerade das Thema Herero angesprochen haben, ein sehr, sehr schönes Erlebnis. Wir haben dort in dem Raum noch mit Fragezeichen das Thema Genozid, weil das ja eine lange Debatte hier im Bundestag war, darf man das so nennen, wollen wir das so nennen, dort auch dargestellt und auch diese Langwierigkeit und diese Bemühungen seitens aktivistischer Gruppen, endlich das auch als Völkermord anerkannt zu bekommen, und sind jetzt quasi von der Geschichte überholt worden. Das finde ich wirklich, für eine Ausstellung kann einem eigentlich nichts Besseres passieren, als so aktuell die Sachen mit aufgreifen und dann auch diskutieren zu können.
Müller-Ullrich: Wir sollten es vielleicht kurz erwähnen. Der Stamm der Herero führt uns jetzt zurück in die deutsche Kolonialgeschichte und da gab es einen Aufstand 1904, der von deutschen Truppen blutig niedergeschlagen wurde und mehr als das. Man spricht von Völkermord.
Marxreiter: Ja und dieses Ringen auch, das war auch für mich wirklich und ist ein Lernprozess, auch dieses ringen um Bezeichnungen und Worte, weil da einfach wichtige Anschauungen auch dranhängen: Ist es ein Aufstand, war es ein Krieg, ist es ein Völkermord. Allein wenn ich daran denke, als wir angefangen haben, da die Texte zu erarbeiten, haben wir uns genau mit diesen Fragen beschäftigt und die eigentlich auch zum Thema gemacht: Wie schauen wir da heute drauf und wie wichtig sind bestimmte Worte, die wir dafür verwenden. Das eigentlich transparent zu machen, das war uns ein Anliegen.
Müller-Ullrich: Noch mal direkt zur Jugendarbeit. Kennen Sie das, was im British Museum gemacht wird zu diesem Thema?
Marxreiter: Ich kenne so ein bisschen die Vermittlungsarbeit im British Museum, aber jetzt nicht wirklich in aller Tiefe. Meinen Sie jetzt konkret zum Thema Kolonialismus, oder meinen Sie jetzt insgesamt, wie die ...
Museumsbesuche bei Nacht auf Wunschliste der Jugendlichen
Müller-Ullrich: Nein, überhaupt wie die Arbeit mit Jugendlichen aussieht, ja. Ihr Chef, Neil MacGregor, der hat das British Museum geleitet und wenn man dort sieht, wie die Schulklassen mit Zeichenmäppchen zu den Mumien stürmen und so, das hat auch immer etwas Erheiterndes. Aber die sind schon sehr dabei, das löst große Begeisterung aus.
Marxreiter: Die Programmstruktur, die ich dort gesehen habe - wir haben im Vorfeld natürlich auch recherchiert, wie wird dieses Thema auch in anderen Museen behandelt für die Schulklassen -, scheint mir wirklich sehr serviceorientiert zu sein. Es gibt Online und das haben wir hier in den staatlichen Museen in Berlin noch gar nicht. Es gibt Downloads für die Lehrer, die können sich Materialien dort für ihre eigene Vorbereitung, für die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern dort holen, und das finde ich eine sehr gute Sache, weil es den Schulklassen es leicht macht und wirklich auch eine Einladung ausspricht, ins Museum zu kommen und mit den Schülern dort zu arbeiten. Und wenn Sie sagen, die sind da unterwegs mit Materialien, das heißt, die probieren was aus, die diskutieren, und diese Art von Auseinandersetzung, das fände ich schön, wenn uns das auch gelingt.
Müller-Ullrich: Wenn man Jugendliche dazu bringen will, ein Museum nicht als Pflichttermin zu absolvieren, sondern auch als Freizeitgestaltung zu begreifen, dann ist ein guter Weg dazu die nächtliche Öffnung. Wie sieht es da aus bei Ihnen?
Marxreiter: So weit sind wir noch gar nicht. Wir sind ja jetzt in dem ersten Jahr seit letztem Sommer zu dem Projekt gestoßen. Da habe ich mich wirklich jetzt erst mal auf die Erarbeitung der Juniorflächen konzentriert und bin dabei zu gucken, wie kann man in den anderen Ausstellungsmodulen, die ja eigentlich mehr oder minder von den Kuratoren auch fertig geplant sind, wie kann man da dieses Thema Familienfreundlichkeit jetzt hier auch noch mit reinbringen. Das sind die baulichen Geschichten - wir sind jetzt stark mit der Ausführungsplanung beschäftigt -, die jetzt noch anstehen. So Sachen wie Nachtöffnungen, die natürlich, wenn man Jugendliche fragt, auf den Wunschlisten immer auftauchen, das wird uns zu einem späteren Zeitpunkt beschäftigen. Sie haben vorhin ja Neil MacGregor angesprochen. Er beginnt ja jetzt im Herbst, wir sind alle sehr neugierig, nimmt da seine Arbeit auf, was er da auch für Ideen einbringt.
Müller-Ullrich: Ja, da sind nicht nur Sie neugierig drauf, - Danke, Ute Marxreiter, für diese Erklärungen zu den Juniorflächen im künftigen Humboldt-Forum, für die Sie zuständig sind.
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