Svenja Streich aus Gladbeck im nördlichen Ruhrgebiet ist Mutter von zwei Kindergartenkindern – und wie ihr Mann berufstätig. An einem Donnerstagnachmittag Mitte September erhielt sie eine Nachricht vom Kindergarten, "dass ein Kind positiv getestet wurde und die Einrichtung jetzt erst mal geschlossen sei".
Corona-Quarantäne – schoss es ihr und anderen Eltern direkt durch den Kopf. Müssen wir uns jetzt testen lassen, und was sage ich meinem Arbeitgeber, fragte sich die 36-Jährige: "Ich habe die Kita gebeten, eine kurze, relativ formlose Bescheinigung zu schreiben, dass man etwas in der Hand hat, also sozusagen entschuldigt fehlt."
Schnell sprach sich herum, welches Kind positiv getestet wurde, "sodass ich für uns wusste, wir sind gar nicht Kontaktpersonen ersten Grades und eigentlich nicht in Quarantäne."
Das verringerte die gesundheitlichen Sorgen der Familie – aber weil die gesamte Kita insgesamt zwei Wochen geschlossen blieb, mussten die vier und sechs Jahre alten Kinder dennoch zu Hause betreut werden. Svenja Streich und ihr Mann entschieden, dass sie das macht – so wie das in vielen Familien während der Corona-Pandemie die Frauen übernommen haben. "Da ist uns relativ schnell aufgefallen: Wenn es keine behördliche Schließung einer Einrichtung, in dem Fall Kita gibt, gibt es gar nichts."
Also kein Geld, keine Lohnfortzahlung, keine Entschädigungen. Für viele Familien und vor allem für Alleinerziehende ist das eine enorme finanzielle Belastung. "Das ist unbezahlte Freistellung", meint Svenja Streich.
Enorme finanzielle Belastung für Familien
Im Fall einer sogenannten kurzfristigen Verhinderung des Arbeitnehmers sieht das Gesetz im Paragraf 616 BGB eigentlich eine Lohnfortzahlung vor. Allerdings sind sich Arbeitsrechtler aktuell unsicher, ob dieser Paragraf auch bei einer Pandemie greift. Außerdem ist er in einigen Tarif- und Arbeitsverträgen ausgeschlossen. Auch bei Svenja Streich, die in Gelsenkirchen im öffentlichen Dienst arbeitet.
Das Bundesgesundheitsministerium hat deshalb im März das Infektionsschutzgesetz verändert und im Paragraf 56 neu geregelt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Entschädigung gezahlt wird, wenn sie ein Kind aufgrund einer Quarantäne betreuen müssen. Diese Regel gilt aber nur, wenn eine Einrichtung behördlich geschlossen wurde. Wenn die Einrichtung selbst die Schließung veranlasst oder einzelne Kinder in Quarantäne geschickt werden greift der Paragraf nicht.
Gesetzeslücke?
"Im Moment ist das eine absolute Gesetzeslücke." Darauf weist auch Nele Flüchter von "Familien in der Krise" hin. Die Organisation hat sich im Frühjahr gegründet, als Kitas und Schulen geschlossen waren. Sie möchte eine dauerhafte Lobby für Familien bilden. Denn die Belange von Eltern und Kindern habe die Politik nicht immer im Blick, sagt Flüchter: "Obwohl mittlerweile - man kennt ja dieses Schlagwort - 50.000 Schüler in Quarantäne sind, gibt es keine Lösung dafür, wie die Eltern die Kinder daheim betreuen sollen. Weil es gibt keine Lohnersatzleistung dafür. Es gibt nur Lohnersatzleistungen, wenn die Einrichtung komplett geschlossen wird."
Dass ganze Einrichtungen geschlossen werden, passiert allerdings immer seltener, denn mittlerweile haben Studien gezeigt, dass vor allem jüngere Kinder für das Infektionsgeschehen kaum relevant sind.
"Es läuft sehr gut in den Kitas" verwies Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vergangene Woche auf eine deutschlandweite Studie in Kinderbetreuungseinrichtungen. Bundesgesundheitsministerin Franziska Giffey: "Eine ganz entscheidende Erkenntnis ist, dass die Kitas selbst keine Infektionsherde sind und dass auch Kinder im Kita-Alter nicht die Infektionstreiber sind."
Deshalb wollen Giffey und Spahn bei aktuell stark steigenden Infektionszahlen die 56.000 deutschen Kitas so lange es geht offenhalten. Auch der Schulbetrieb soll weiterlaufen und nur einzelne Kinder oder Klassen in Quarantäne. Das sei gut und richtig so, sagt Nele Flüchter von "Familien in der Krise". Nun fehle aber eben noch eine Regelung für den finanziellen Ausgleich im Quarantäne-Fall: "Wenn ich jetzt zum Beispiel als normaler Arbeitnehmer in Quarantäne geschickt würde, würde ich hundert Prozent meines Lohns bekommen. Das heißt, es ist eine ganz klare Benachteiligung von Familien mit Kindern, die noch betreut werden müssen."
Vorbild Kind-Krank-Tage
Die "Familien in der Krise" fordern in einem offenen Brief an die Bundesregierung, dass mindestens der Paragraf 56 des Infektionsschutzgesetzes so verändert wird, dass er auch greift, wenn nur einzelne Kinder in Quarantäne kommen. Allerdings hat der Paragraf selbst dann noch Nachteile, sagt Nele Flüchter. Er sieht zum Beispiel nur eine Entschädigungszahlung von 67 Prozent des Nettolohns vor: "Das ist ein Riesenproblem, vor allen Dingen für Alleinerziehende. Ideal wäre, das so zu machen, wie bei den Kind-Krank-Tagen, dass es also relativ nah an dem Gehalt der Eltern ist."
90 Prozent des Netto-Lohns – so viel erhalten Eltern in Deutschland, wenn sie wegen ihres krankes Kindes nicht arbeiten können.
Forderung: Ersatzzahlungen einfacher regeln
Svenja Streich aus Gladbeck hat letztlich für die zwei Wochen Kita-Schließung doch noch Geld bekommen. "Glücklicherweise ist das tatsächlich hier erfolgt. Ich glaube, ich habe die fünfte Bescheinigung bekommen, die ich dann mit einreichen konnte, die eine behördliche Schließung notiert."
Damit hatte sie Anspruch auf Entschädigungszahlungen nach dem Infektionsschutzgesetz. Vorangegangen waren viele Gespräche mit der Kita: "Ich habe der Kita nochmal erklärt, wie wichtig das für die Eltern ist, dass sie eben tatsächlich diese Bescheinigung bekommen, um ihrem Arbeitgeber zu sagen: Bitteschön, hier gibt es entsprechende Ausfallgelder, auch wenn das nur 67 Prozent sind."
Streich hofft, dass die Bundesregierung nun schnell reagiert und die Ersatzzahlungen zukünftig einfacher regelt. Sie hofft aber auch, dass die jüngsten Studien zum Infektionsgeschehen bei kleinen Kindern auch entsprechend ernst genommen – und Quarantäne-Verfügungen seltener und vor allem nicht mehr so pauschal ausgesprochen werden. Denn mittlerweile gebe es unter den Eltern schon ernsthafte Sorgen, wie Arbeitgeber bei einer nächsten Quarantäne reagieren werden.