Kriege, Klimawandel, Artensterben, Wirtschafts- und Energiekrise: Kinder und Jugendliche müssen heutzutage viel aushalten. Das hat Auswirkungen auf ihr gesundheitliches Wohlbefinden. Besonders die Coronapandemie hatte viele Kinder und Jugendliche psychisch belastet. Haben sie es geschafft, sich davon zu erholen?
Inhalt
- Welche Folgen hat die Coronapandemie für die psychische Gesundheit junger Menschen?
- Was sind die Gründe für psychische Erkrankungen unter Kindern und Jugendlichen?
- Was sind die gesellschaftlichen Folgen von psychischen Erkrankungen?
- Wie einfach ist es, einen Therapeuten oder eine Therapeutin zu finden?
- Was könnte man besser machen, um den Kindern und Jugendlichen mit Problemen zu helfen?
- Wie beurteilen Experten die psychische Situation von Kindern und Jugendlichen weltweit?
Welche Folgen hat die Coronapandemie für die psychische Gesundheit junger Menschen?
Laut der COPSY-Studie (Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf zeigte während der Pandemie fast ein Drittel aller befragten Kinder und Jugendlichen psychische Auffälligkeiten. Betroffen waren vor allem Mädchen. Der Kinder- und Jugendreport der Krankenkasse DAK von 2022 stellte eine drastische Zunahme von Ess- und Angststörungen bei jungen Frauen fest.
Inzwischen haben sich die Lebensqualität und die psychische Gesundheit junger Menschen einer neuen COPSY-Erhebung zufolge wieder verbessert. Allerdings liegen die Werte nicht auf dem Vor-Pandemie-Niveau.
So berichten aktuell 22 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen von psychischen Auffälligkeiten und 23 Prozent von Angstsymptomen. Vor Corona waren es jeweils etwa fünf Prozent weniger.
"Restschatten" der Pandemie wird sichtbar
Zudem geben 21 Prozent der jungen Menschen an, sich manchmal, oft oder immer einsam zu fühlen - vor der Pandemie sagten dies nur 14 Prozent. Für Marcel Romanos, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), wird hier ein „Restschatten“ der Pandemie sichtbar.
In Deutschland ist in den vergangenen 15 Jahren auch die Zahl der diagnostizierten psychischen Erkrankungen unter Kindern und Jugendlichen erheblich gestiegen. Daraus kann nicht automatisch abgeleitet werden, dass es jungen Menschen generell schlechter geht.
Möglich sei auch, dass zwar die Diagnosen zunehmen, aber nicht die Störungen, sagt Christoph Correll, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Berliner Charité. Psychische Erkrankungen sind als Thema präsenter als früher und gesellschaftlich akzeptierter: Das könnte zu mehr Diagnosen führen. Auf TikTok zelebrieren manche Jugendliche ihre psychischen Probleme geradezu.
Nach der BELLA-Studie, bei der zwischen 2003 und 2017 rund 3000 Kinder und Jugendliche nach ihrem Befinden befragt wurden, nahmen die psychischen Auffälligkeiten in diesem Zeitraum sogar leicht ab. Auch die Suizidrate sank in dieser Zeit bei den unter 20-Jährigen laut Statistischem Bundesamt um fast ein Drittel.
Was sind die Gründe für psychische Erkrankungen?
Individuelle Risikofaktoren sind beispielsweise Gewalt in der Familie, die emotionale Vernachlässigung durch die Eltern, Missbrauch oder konflikthafte Trennungen. Auch ein hoher Konsum von sozialen Medien wird als ein möglicher Grund benannt.
Einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen und psychischen Störungen wissenschaftlich nachzuweisen, ist hingegen nicht einfach. Gut belegt ist dennoch, welche Rolle Armut und niedrige Bildung bei der Entstehung von psychischen Erkrankungen spielen.
In Deutschland haben Kinder und Jugendliche, die in einem Haushalt mit einem niedrigen sozioökonomischen Status aufwachsen, ein doppelt so hohes Risiko, psychische Auffälligkeiten zu entwickeln als Gleichaltrige, die in einem begüterten Elternhaus leben. Wenn Eltern unter Arbeitslosigkeit, Geld- und Zeitnot leiden, wenn sie hoffnungslos oder depressiv sind, wirkt sich das auch auf ihre Kinder aus.
Was sind die gesellschaftlichen Folgen von psychischen Erkrankungen?
Das ist schwer zu ermitteln, selbst wenn man nur aus der ökonomischen Perspektive auf das Problem blickt, erscheint es sinnvoll, gegenzusteuern. Durch psychische Krankheiten entsteht volkswirtschaftlicher Schaden. Laut Statistischem Bundesamt verursachten psychische Erkrankungen 2020 in Deutschland Krankheitskosten von mehr als 430 Milliarden Euro.
Dazu kommen die Fehltage am Arbeitsplatz. Im Jahr 2023 waren Beschäftigte insgesamt 132 Millionen Tage wegen psychischer Leiden krankgeschrieben, ein trauriger und auch teurer Rekord. Die Zahlen könnten weiter steigen, wenn nun eine Generation heranwächst, die mit mehr psychischen Problemen zu kämpfen hat als vorangegangene.
Wie einfach ist es, einen Therapeuten oder eine Therapeutin zu finden?
Noch ist nicht restlos geklärt, was hinter den gestiegenen Diagnosen steckt. Dass mehr über Sorgen und Nöte gesprochen wird, zeigt indes, dass junge Menschen Hilfe wollen und brauchen. Die ist schwer zu bekommen, denn die Praxen für Kinder- und Jugendpsychotherapie sind überlaufen.
Nach Angaben von Julian Schmitz, Professor für Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Leipzig, hat sich die Wartezeit für einen Therapieplatz während der Pandemie von drei auf sechs Monate verdoppelt. Die aktuellen Zahlen zeigten kaum Besserung, momentan seien es etwa fünf Monate, sagt Schmitz.
Das Gesundheitsministerium will die Lage verbessern und per Gesetz eine eigene Bedarfsplanung für Kinder- und Jugendpsychotherapeuten einführen, sodass künftig mehr Praxen zugelassen werden können. Bis das wirkt, wird es wohl noch einige Jahre dauern.
Was könnte man besser machen, um den Kindern und Jugendlichen mit Problemen zu helfen?
Kliniken und Praxen seien derzeit am Limit, sagt Marcel Romanos, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP). Neben mehr „Nachwuchs“ in seinem Fach wünscht er sich vor allem flächendeckend effektive Präventionsprogramme, um Belastungen frühzeitig abzufangen.
Dafür plädiert auch der Psychiater Christoph Correll: Es wäre sinnvoll, den Fokus stärker auf die frühe Behandlung von jungen Menschen zu richten. In Ländern wie Frankreich, Dänemark, Irland, Australien und Kanada gibt es inzwischen auch entsprechende Angebote.
In Deutschland ist die Beratungs-, Kontakt- und Behandlungsinitiative „Soulspace“ in Berlin die einzige ihrer Art. „Die Belastungen und Sorgen der jungen Leute werden hier ignoriert“, sagt Andreas Bechdolf, Professor für Psychiatrie und Chefarzt an zwei Vivantes-Kliniken in Berlin.
Wie beurteilen Experten die psychische Situation von Kindern und Jugendlichen weltweit?
Unter den Einschränkungen in der Coronazeit haben junge Menschen mehr als Erwachsene gelitten. Auch unabhängig von der Pandemie scheinen die psychischen Belastungen zuzunehmen.
Eine internationale Expertenkommission sieht sogar eine „globale Krise“ mit Blick auf die psychische Gesundheit von jungen Menschen. Die Lancet-Kommission warnt: Die mentale Gesundheit junger Menschen sei in eine „gefährliche Phase“ eingetreten.
Die Schuld allein bei Smartphones und sozialen Medien zu suchen, greife zu kurz, heißt es im Kommissionsbericht. Es gebe nicht nur eine Ursache, sondern viele. Der jungen Generation mache weltweit zunehmender Leistungsdruck, sich verschlechternde Arbeitsbedingungen, der Klimawandel, zu wenig bezahlbarer Wohnraum und wachsende soziale Ungleichheit zu schaffen.
ahe