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Leseförderung
Was hilft Kindern beim Lesenlernen?

Laut der neuen IGLU-Studie können Viertklässler in Deutschland immer schlechter lesen. Welche Lesefördermöglichkeiten gibt es? Die Palette reicht von besonders gestalteten Büchern über KI-basierte Angebote bis hin zu bundesweiten Projekten.

    Illustration: Aus dem Kopf eines lesenden Mädchens kommt ein Faden, der sich im Raum verwirbelt.
    Lesenlernen kann ganz schön schwierig sein. Zahlreiche Angebote wollen helfen. (imago / fStop Images / Malte Müller)
    Jeder vierte Viertklässler in Deutschland kann nicht richtig lesen. Das hat die jüngst erschienene IGLU-Studie ergeben. Die Coronapandemie ist dafür nicht der einzige Grund. Insgesamt lesen deutsche Grundschulkinder deutlich schlechter als noch vor 20 Jahren.

    Besondere Bücher für einfacheres Lesen

    Mehrere Kinderbuchverlage bieten Lektüre für Kinder und Jugendliche mit Leseschwächen an: mit entschlackter Sprache, übersichtlichem Layout und geringerer Seitenzahl – aber trotzdem genügend Spannung.
    Die Reihe „Super Lesbar“ aus dem Beltz Verlag zum Beispiel unterscheidet zwischen dem Alter der Kinder und ihrem Leseniveau. So gibt es Bücher, die inhaltlich Elfjährige ansprechen, aber dem Leseniveau von Neunjährigen entsprechen, erklärt Christian Walther vom Beltz Verlag.
    Größere Schrift und größerer Zeilenabstand sollen den Zugang erleichtern. Ganz wichtig ist der Inhalt: "Dass wir die Kinder da abholen, wo sie stehen", so Walther.

    Sinnerfassendes Lesen erleichtern

    Das heißt: Abenteuer- oder Fantasiegeschichten, Geschichten mitten aus dem Leben, mit Humor. Problemthemen eher nicht. Das Buch soll maximal 120 Seiten haben, mit kurzen Kapiteln.
    An Erstleser und -leserinnen richtet sich die "Kleine Lesehelden"-Reihe des Thienemann Esslinger Verlags. Um das sinnerfassende Lesen zu erleichtern, enthält das Schriftbild herausgehobene und teils fett gedruckte Passagen, die einzelne Worte oder auch direkte Rede optisch kenntlich machen. Außerdem werden die Bücher mit zahlreichen Illustrationen oder Rätseln angereichert, bei denen Buchstaben ergänzt werden müssen.
    Um im Bereich Sachbuch komplizierte Themen kind- oder jugendgerecht und alltagstauglich zu vermitteln, setzt der Fischer Verlag auf Comics. Ein Beispiel: „Doc Caro – Einsatz fürs Herz“ von der aus dem Fernsehen bekannten Notfallmedizinerin Carola Holzner. In einer Comic-Sachgeschichte erklärt sie, wie das Herz funktioniert.

    Digitale Leseförderung und künstliche Intelligenz

    Auch künstliche Intelligenz (KI) kann beim Lesenlernen helfen. Der Klett Verlag etwa hat kürzlich ein neues Instrument auf dieser Grundlage entwickelt: den „Lautlesetutor“. Das digitale Angebot soll Schülerinnen und Schüler zu lautem Lesen animieren.
    Die Lehrkräfte können ihren Klassen Texte zuteilen, die die Kinder als Hausaufgabe am Rechner einlesen. Die KI gibt eine umfassende Auswertung der Leseleistung an die Lehrer. Die Schülerinnen und Schüler erhalten Motivation und Verbesserungsvorschläge.
    Auch Microsoft hat nach eigenen Angaben Angebote, die auf künstlicher Intelligenz basieren und das Lesen unterstützen. Beispielsweise soll der „Immersive Reader“ durch akustische und visuelle Hinweise helfen, Texte besser zu lesen und zu verstehen. Leserinnen und Leser können sich Begriffe als Bild anzeigen und zugleich vorlesen lassen.
    Neben KI-gestützten Leselernhilfen gibt es viele digitale Möglichkeiten. Der Leselernhelfer-Verein Mentor empfiehlt zahlreiche Apps und Onlineseiten auf seiner Webseite, darunter sind Spiele, interaktive Rätselgeschichten und Puzzles.

    Leselernhelfer und Lesepaten

    Leselernhelfer, auch Lesepaten genannt, üben das Lesen mit Kindern und Jugendlichen, die sich dabei schwertun. Ziel ist, das Verständnis von Texten und die Sprachkompetenz zu verbessern. Damit soll Kindern ermöglicht werden, sich weitere Bildung anzueignen.
    Die Lesepaten sind in der Regel ehrenamtlich im Einsatz und werden von verschiedenen Organisationen vermittelt. Eine davon ist der bundesweit aktive Verein Mentor. Über ihn sind mehr als 13.000 ehrenamtliche Lesepatinnen und -paten aktiv.
    Vielen Kindern wird zu Hause nicht vorgelesen und so nicht an Bücher herangeführt. Das ist für die bei Mentor engagierte Heidrun Abel ein großes Problem, das auch die Schulen nicht ausgleichen können. Deshalb seien die Lesepaten wichtig.
    Bei Mentor betreuen die Lesepaten nur ein Kind. Die Treffen finden in der Schule statt, aber außerhalb der regulären Schulstunden. Es sollte mindestens ein Jahr lang eine Stunde pro Woche gemeinsam gelesen werden, erklärt Margret Schaaf, die Vorsitzenden des Mentor-Vereins.
    Von Lehrern und Lehrerinnen kommt die Rückmeldung, dass die Kinder Selbstvertrauen bekommen, wenn jemand mit ihnen alleine liest. Die Mentoren und Mentorinnen kommen laut Schaaf aus allen Berufen, auch wenn viele ehemalige Pädagogen dabei sind. Und: Es werden ständige neue Leselernhelfer gesucht.
    Bei der Stiftung Lesen finden sich noch mehr Möglichkeiten, sich ehrenamtlich fürs Lesen zu engagieren.

    Schulbibliotheken

    Für Barbara Schleihagen steht fest: Eine gut ausgestattete Schulbibliothek ist ein wichtiger Partner für die schulische Bildung. Die Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Bibliotheksverbandes stellt aber fest, dass es an deutschen Schulen meist anders aussehe: Die Bibliotheken fristen ein Schattendasein, ohne hauptamtliche Fachkraft. Anders sieht es in Ländern wie Skandinavien, den Niederlanden, Großbritannien oder Regionen wie Südtirol aus.
    Schulbibliotheken müssen Orte mit "guter Atmosphäre" sein, an denen man sich gern allein oder mit Freunden aufhält, aber auch Unterricht stattfinden kann. Im Angebot muss es gedruckte Bücher, aber auch multimediale Geräte geben, so Schleihagen. Sehr wichtig ist zudem, dass das Ganze spielerisch ist.
    Mindestens genauso wichtig: Ohne eine Fachkraft geht es nicht. Das könne auch eine Lehrkraft sein, aber mit Weiterbildung. Wenn es niemanden gibt, kann auch eine Kooperation mit der örtlichen Bibliothek eine Möglichkeit sein, sagt Barbara Schleihagen.

    Stiftung Lesen und Nationaler Lesepakt

    Die Stiftung Lesen widmet sich dem Ziel, Leseförderung in Deutschland nachhaltig zu verbessern und allen Kindern und Jugendlichen das Lesenlernen zu ermöglichen. Im Fokus stehen dabei laut der Stiftung vor allem Kinder, Jugendliche und deren Familien, die in einem bildungsbenachteiligten Umfeld leben. Ihr Angebot richtet sich an Familien, Erzieher, Lehrerinnen sowie an andere Fachexpertinnen und -experten.
    Die 1988 gegründete Stiftung gibt Lesetipps, arbeitet aber auch mit Institutionen aus Politik, Wissenschaft sowie mit Verbänden zusammen. Sie organisiert bundesweite Programme, Kampagnen, Forschungs- und Modellprojekte, zum Beispiel den Bundesweiten Vorlesetag im November.
    Zusammen mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat die Stiftung Lesen im März 2021 den Nationalen Lesepakt initiiert. Damals, während der Coronapandemie, war bereits absehbar, dass sich die Schulschließungen negativ auf die Lesekompetenz von Kindern vor allem aus bilungsferneren Familien auswirken könnten. Der Lesepakt, dem 180 Partner angehören, versammelt Projekte, die Kinder und Jugendliche fürs Lesen begeistern wollen.
    (abr)