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Kinder- und Jugendbücher
Mit dem Essen spielt man

In Kochbuchabteilungen finden sich von der Mittelalterküche bis zum Kochen für Singles und Senioren zahlreiche Bücher. Angeboten werden auch Titel für Kinder- und Jugendliche. Aber nicht immer befassen sich diese wirklich mit dem Thema Essen.

Von Maria Riederer |
    Wer in die Kochbuchabteilungen großer Buchhandlungen geht, wird fast erschlagen vom Angebot an Titeln. Klösterlich oder mittelalterlich kochen, vegetarisch oder vegan, Kochen für Singles und Senioren, für Gasherd oder Mikrowelle. Und natürlich auch: Kochen für Kinder oder Jugendliche. "Volle Pfanne" heißen die Titel dann, oder auch Kochen "mit Pettersson und Findus", "mit Lieselotte", der Kuh, oder – Jahr für Jahr in neuen Variationen: "Kochen mit der Maus".
    Nicht immer befassen sich diese Bücher auch wirklich umfassend mit dem Thema Essen. Das klingt paradox, aber die Herkunft der Nahrungsmittel, das genaue Hinsehen, Schmecken, Riechen, Verstehen und Durchschauen von Zutaten oder Werbetricks in der Nahrungsmittelindustrie – das alles kommt in den meisten Kinderkochbüchern nicht vor. Aber mehr und mehr Autoren und vor allem Gestalter nehmen sich die Zeit für diese Themen, und das nicht nur in Kochbüchern. Bevor die ernsten Themen beginnen, soll hier aber zunächst ein unterhaltendes Buch zum Thema Essen und Trinken vorgestellt werden.
    "Lirum Larum Löffelstiel
    alte Weiber essen viel,
    junge müssen fasten.
    Das Brot, das liegt im Kasten,
    der Wein, der ist im Keller,
    lauter Muskateller
    das Messer liegt daneben,
    ei, was ein lustig Leben!"
    Herausgeberin Birgit Lockheimer und Illustratorin Sonja Bougaeva bitten mit ihrem Hausbuch vom Essen und Trinken zu Tisch. "Zu Tisch" heißt auch der Titel des Buches. Gedichte, Sprüche und Geschichten aus sechs Jahrhunderten erzählen von vorlauten Brötchen, strengen Benimmregeln, verzauberten Tassen und verschmähter Suppe.
    "Der Kaspar, der war kerngesund,
    ein dicker Bub und kugelrund,
    er hatte Backen rot und frisch
    die Suppe aß er hübsch am Tisch:
    Doch einmal fing er an zu schrei'n:
    'Ich esse keine Suppe! Nein!
    Ich esse meine Suppe nicht!
    Nein! Meine Suppe ess ich nicht!'"
    Welches Ende es mit Heinrich Hoffmanns Kaspar nehmen wird, ist bekannt. Erich Kästner erzählt dagegen die Geschichte vom Peter, der sich an Knödeln fast tot isst. James Krüss die vom dicken Mann, der so viel frisst, dass er sich in ein Schwein verwandelt. Und Axel Hacke beendet die Erzählung von den Kindern, die zum Kummer ihrer Eltern immer nur nackte Nudeln aßen, gänzlich pragmatisch.
    "Als ihre Eltern Signora Schpaghetti und Papa Nudel beim Weg in den Keller stolperten und in Stücke zerbrachen, blieben die Kinder ganz allein. Sie kochten sich jeden Tag nackte Nudeln und hätten herrlich und in Frieden leben können, wenn sie nicht an Skorbut gestorben wären."
    Die Welt des Essens ist bunt, lustig und auch grausam. Das zeigt "Zu Tisch" als ganz und gar unpädagogische, mit Überraschungen gespickte und wunderbar illustrierte Sammlung. Wer weiß schon, dass Matthias Claudius nicht nur dem Mond, sondern auch der Kartoffel ein Denkmal gesetzt hat?
    "Viel Pastet und Leckerbrot
    verdirbt nur Blut und Magen.
    Die Köche kochen lauter Not
    sie kochen uns viel eher tot;
    ihr Herren, lasst euch sagen!

    Schön rötlich die Kartoffeln sind
    und weiß wie Alabaster!
    Sie däun sich lieblich und geschwind
    und sind für Mann und Frau und Kind
    ein rechtes Magenpflaster."
    Entdecken und Erobern
    Einen völlig anderen Weg, sich dem Thema Essen und Trinken zu nähern, geht das Sachbuch "Entdecke, was dir schmeckt – Kinder erobern die Küche" von Anke Leitzgen und Lisa Rienermann. "Kinder erobern die Küche" – der Titel stimmt und stimmt doch nicht. Denn erobert wird in diesem besonders gelungenen Buch weit mehr als nur die Küche.
    "Essen ist zwar auch Nahrungsmittel, aber hat auch ganz viel damit zu tun: Wie sieht es aus? Wie spricht es mich denn an? Wie sind denn die Farben? Und all diese Dinge halt, und deshalb haben wir uns dem Design von Essen auch sehr gewidmet, weil ich das auch wichtig fand, dass Kinder wissen: Warum sprechen mich denn Süßigkeiten an, was ist das denn in der Verpackung, warum ist das so toll, wenn weich mit was Röstigem kombiniert wird, und wenn hart auf weich trifft – was macht das mit mir, und warum ist das so lustvoll beim Essen?"
    "Dass sie einerseits ein bisschen sich selbst verstehen, Genuss verstehen, und andererseits auch die Industrie ein bisschen durchblicken. Die Lebensmittelhersteller, die kennen einfach unsere Vorlieben total und spielen damit und spielen das auch aus, und wenn ich selber weiß: Hmmm, ja, das mag ich so gerne, WEIL…! Dann kann man leicht 'nen Schritt zurücktreten und vielleicht auch die Dinge kritischer sehen, und ist vielleicht nicht so leicht verführbar."
    Die Rolle der Verführer nehmen hier Autorin und Gestalterin ein: Sie laden die Kinder zunächst zu einer Entdeckungsreise ein, in der fast alles erlaubt ist: Mit Essen spielen ist nicht verboten – ganz im Gegenteil!
    "Mach die Küche zum Spielplatz:
    - Kaue ein Stück Brot solange, bis es süß schmeckt
    - Probiere ein Gemüse, das du noch nie gesessen hast. Beschreibe genau, wie es schmeckt.
    - Fülle Vanillepudding in ein gespültes Mayonnaise-Glas. Iss daraus in der Öffentlichkeit.
    - Sammle fünf gute und fünf schlechte Gerüche. Schreibe zwei Listen.
    - Picknicke unter dem Esstisch."

    "Es geht ja nicht um Verschwendung, sondern es geht ja mehr darum, einen sinnlichen Genuss zu haben und eben auch zu wissen, dass man die Dinge selbst in der Hand hat – wie man essen möchte. Ich esse ja nicht schlechter unter dem Tisch als am Tisch. Ich geh ja genauso sorgfältig, wenn nicht sogar wertschätzender mit dem Essen um, wenn ich mal den Ort ändere. Es geht ja nicht darum, dass wir sagen: Mach mit dem Essen, was du willst, sondern einfach: Mach mit der Situation, was du willst. Erlebe das Essen anders."
    Dass Kinder Essen erleben und nicht nur konsumieren – dazu will das Buch anregen. Das tut es mit großflächigen Fotos in satten Farben, die nur noch wenig Sprache brauchen. "Warum macht hart und weich zusammen so viel Spaß im Mund?" – fragt eine Kapitelüberschrift. Die Bilder sprechen für sich: Außen Kokos, innen Creme, in der Mitte eine Mandel. Außen Schokolade, innen Keks, in der Mitte Karamell – und auf der gegenüberliegenden Seite eine Scheibe Brot: Außen die braune, knackige Rinde, innen der weiche Teig. Und dann kommt der sogenannte Küchenversuch – die Anregung zum Selbermachen:
    "Weißt du, dass du fast jeden Tag Gelegenheit hast, dir deine eigenen fantastischen Esserlebnisse zu bauen? Es geht ums Pausenbrot. Und falls du es bislang geschmiert bekommen hast: Ändere das! Nutz die Chance, dein Frühstück für die Schule so spannend zuzubereiten, wie du es möchtest."
    Auf dem Bild ein appetitanregender Turm aus Brotscheiben verschiedenster Art, dazwischen Gurken, Käse, Sprossen, Röstzwiebeln, Cracker, Frischkäse, Salat, Radieschen, Avocado, Fleischwurst. Der Kniff ist einfach: Gegensätze machen Essen spannend. Das Buch lässt außerdem die verwirrende Wirkung von Farbstoffen auffliegen. Es erklärt, warum viele Kinder Ketchup mögen aber keine Tomaten, und warum sie Grünes oft meiden.
    "Als die Menschen noch in Höhlen lebten, war es für sie lebenswichtig, nichts Giftiges zu essen. Deshalb mussten sie die gefährlichen Pflanzen von den ungefährlichen unterscheiden können. Die jüngsten Höhlenbewohner mussten das erst noch lernen. Deshalb sorgte die Natur mit einem Trick dafür, dass Kinder nichts Grünes in den Mund nahmen und steuerte die Kinder über den Instinkt. Der ließ sie glauben, dass Grün nicht schmeckt."
    "Deshalb versuch ich auch, mit dem Buch eine Brücke zu schlagen zwischen Kindern und Eltern, dass einerseits die Kinder verstehen: Warum gibt es das, dass man Sachen nicht mag? (…) Und das sag ich den Kindern: Wenn dir das noch nicht schmeckt, erklärt das Mal deinen Eltern, warum das so ist und dann muss man sich keine Sorgen machen – das kommt schon."
    Anke Leitzgen und Lisa Rienermann klären die Kinder auf: Über den Zuckergehalt in Speisen, über die Berge von Essen, die im Müll landen, über schwindende Fischbestände oder den Verlust der Artenvielfalt im Obst- und Gemüseregal. Sie tun das mit klaren und originellen Bildern und knappen Texten, die aufklären ohne zu belehren oder ein schlechtes Gewissen zu machen. Die Macherinnen setzen darauf, dass Kinder diese Eindrücke selbst verarbeiten und dann auch denen wiedergeben, die einkaufen und meistens auch kochen: den Erwachsenen.
    "Das ist auch mit ein Grund, dass es Kinderbücher sind, weil ich denke: Kinder erreicht man noch so, weil sie noch offen sind, und gerade dieses Bild mit den Fischen. Als Erwachsener kann man solche Bilder leichter abschütteln. Kinder sind da einfach fassungslos und denken: Diese Erwachsenen, die machen es so falsch, ich werde das Mal anders machen."
    Aufklärung über Geschmacksverstärker
    Vor allem aber soll das Buch den Kindern das zurückgeben, was ihnen durch Fertigessen, durch Gewöhnung an Geschmacksverstärker, und durch Mensaessen statt des heimischen Mittagessens mehr und mehr genommen wird. Die Rezepte im hinteren Teil des Buches sind einfach und gehen immer von den Grundnahrungsmitteln aus. Zum Beispiel die Kartoffel, die man – einmal gekocht – als Pellkartoffeln essen oder – im Handumdrehen – in Bratkartoffeln oder Kartoffelsalat verwandeln kann. Einfacher geht's nicht, und die Bilder zeigen das so anschaulich, dass Zutatenliste und Beschreibung fast überflüssig werden. Wer das simple Prinzip der Grundzutaten und ein paar einfache chemische Regeln verstanden hat, für den sind auch Pizza, Holundersirup und rosa Waffeln ein Kinderspiel.
    "Je weniger zuhause gekocht wird, umso wichtiger ist es, dass Kinder gute Bücher haben, in denen sie inspiriert werden, es selber zu machen. Ich denke, gerade bei unserer vorbereiteten, schnell konsumierbaren Welt ist es so wichtig, dass Kinder wissen: Nein, ich kann das ja selber machen, das ist überhaupt nicht schwierig, ein Ei in die Pfanne zu hauen."
    Die Anregung, Essen selbst zu machen oder zu entdecken, ist hier meistens gepaart mit dem Tipp: Mach es mit anderen. In der Gemeinschaft bringen Kochen und Essen nicht nur mehr Spaß, sondern auch neue Erkenntnisse.
    "- Esst zu zweit: Jeder füttert dabei den anderen.
    - Backe jemanden glücklich.
    - Frag deine Großeltern, was sie gerne gegessen haben, als sie so alt waren wie du."
    "Da geht es dann darum, Generationen miteinander ins Gespräch zu bringen und z. B. auch darauf zu kommen: Ach, bei euch gab es das alles nicht – ihr hattet nicht genug zu essen – und ihr habt euch über Dinge gefreut, über die ich heute vielleicht die Nase rümpfen würde? Aber wenn ich dann sehe, wie vielleicht die Augen der Großeltern leuchten dabei, weil das so ein glücklicher Moment war, ich denke, das ist eine sehr lebendige Geschichte, die da zustande kommt."
    Diese Geschichte wird im Buch nicht erzählt. Mit etwas Glück führt die Anregung zu einem Gespräch zwischen den Generationen. Ein Mangel an Lebensmitteln ist den meisten Kindern heute völlig fremd. Das bedeutet allerdings nicht zwingend, dass Kinder diese Tatsache als beglückend oder staunenswert erleben. "Entdecke was dir schmeckt" will dieses Staunen wieder wecken.
    Wenn Essen zu einem Probelm wird
    Andere Bücher erzählen vom Mangel, der inmitten des Überflusses entstehen kann, wenn Essen zum Problem wird – zum Beispiel die Graphic Novel "Luft und Liebe" der Franzosen Hubert und Marie Caillou. Das Buch richtet sich an Leser ab 14, es ist leicht zu lesen, aber schwer zu verdauen. Der Ernst des Themas wird gleich auf der ersten Doppelseite deutlich: Ein schmales junges Mädchen mit androgynem Körperbau und kurzen Haaren steht in der Küche und wiegt nach einer Kalorientabelle Erbsen ab. Auf der gegenüberliegenden Seite sieht man sie in Unterwäsche mit einer Schleife im Haar. Stolz hält sie mit magerem Arm eine Miniportion Essen hoch. Zwei französische Comic-Köche präsentieren ihre Maße: Body Mass Index 16,5, Größe: 1,65 Meter, Körpergewicht: 45 Kilogramm.
    "Mein erstes Diätbuch hat mir meine Mutter geschenkt. Da war ich zwölf. Inzwischen bin ich zur Diätexpertin geworden. Ich kenne die Kalorienzahl jedes Lebensmittels. Ich berechne alles. Jedes bisschen, das über meine Lippen geht, ist aufs Gramm abgewogen. Ich habe alles unter Kontrolle. Die Disziplin zahlt sich aus: Ich nehme nicht zu. Ich wiege genauso viel – wie vor zwölf Jahren."
    Das Mädchen hat keinen Namen. Bei der Therapie lernt sie einen jungen Mann kennen – auch er bleibt namenlos – und die beiden freunden sich an. In einer Szene erzählen sie sich, wie sie ihren Körper zwingen, fast ohne Nahrung auszukommen, und wie sie doch immer wieder von Attacken überfallen werden, in denen sie hemmungslos essen und sich dann durch Erbrechen wieder erleichtern. Aber auch das bekommen sie in den Griff. Sie sind Meister der Disziplin – auf die Gefahr hin, ihr Leben durch den Entzug von Nahrung zu zerstören.
    - "Am Anfang kaufte ich Konserven, aber die habe ich gleich in mich reingestopft, kalt, direkt aus der Dose. Dann hatte ich genug von Konserven. Ich habe Bacon gekauft und ihn mit den Fingern aus der Packung gegessen. Also: Schluss mit Speck. Der Trick ist, dass, sobald ich in kritischen Momenten auf ein Lebensmittel scharf bin, es von meinem Einkaufszettel gestrichen wird. So bleibt der Vielfraß im Käfig."
    - "Und was machst du, wenn nichts mehr auf deinem Einkaufszettel steht?"
    - "Das ist der wunde Punkt."
    Während sie noch sprechen, steigt Rauch auf, das Haus steht in Flammen. Über eine Feuerleiter können sich die beiden retten, aber die Dramatik des Momentes berührt sie überhaupt nicht. Sie unterhalten sich weiter wie auf einem Spaziergang. Lebensbedrohliche Momente sind für sie nichts Ungewöhnliches. Hubert und Marie Caillou arbeiten mit surrealen Szenen, in denen die äußere Wirklichkeit in das innere Empfinden der Protagonisten hinübergleitet. Es geht darin um den Wunsch, schwerelos zu sein, unabhängig von Nahrung. Es geht um die Rolle der Mütter, die zu kochenden, backenden Monstern anschwellen oder um die Erfahrungen von Liebe und Sexualität in einem Körper, der zum Feind geworden ist. Ein Happy End gibt es nicht. Luft und Liebe – das wird überdeutlich – reichen nicht zum Leben.
    - "Unsere Körper sind rein. Unsere Eingeweide sind dekorative Windungen, von jeder trivialen Funktion entbunden."
    - "Zwei perfekte Kleiderständer, zwei pure Skelette, nichts Überflüssiges, kompromisslos streng."
    - "Weniger ist mehr. Ich wünschte, mein Skelett wäre aus schwarz eloxiertem Aluminium, wie das Seagram Building."
    Roman über den Körper als Feind
    Auch der Held im Roman "Butter" von Erin Jade Lange empfindet seinen Körper als Feind. Aber aus anderen Gründen. "Butter" ist der Spitzname eines fettleibigen Jungen, dem das Essen zur Bedrohung wird. Er isst, um die seelische Leere in seinem Inneren zu füllen. Butter ist bereit, seinen Körper durch eine letzte, überbordende Henkersmahlzeit vor laufender Kamera zu zerstören. Allerdings nicht, um sich selbst etwas zu beweisen, sondern um die Ablehnung seiner Schulkameraden aufzubrechen, um seinen Hunger endgültig zu stillen.
    "Wenn ich darüber nachdenke, habe ich verdammt wenig dafür getan, um dazuzugehören. Ich bin nicht Footballspielen gegangen. Denn selbst als ich im ersten Highschool-Jahr noch ein schlanker Dreihundertpfünder war, wusste ich, dass zu dem Spiel mehr gehörte als bloß Leute niederzuwalzen. Ich passte nicht zu den Band-Nerds, den Sportlern, den Akademikern. Ich passte in keine Flugzeugsitze und in keine Levi's Jeans. Das Einzige, was immer passte, war Essen. Es passte perfekt in mich rein. Und je mehr ich an Essen einfüge, desto weniger bin ich in der Lage, mich irgendwo anders einzufügen."
    Den Anteil der Eltern am Dilemma des Jungen beschreibt der Ich-Erzähler gleich am Anfang des Romans. Während der Vater seinen Sohn schon lange aufgegeben hat, schwankt die Mutter zwischen gluckenhafter Liebe und versteckten Erziehungsversuchen. Was Hubert und Marie Caillou in ihrer Graphic Novel "Luft und Liebe" ins Bild gesetzt haben, lässt Erin Jade Lange ihren Helden selbst erzählen. In beiden Fällen sind die Eltern machtlos und doch mit schuldig.
    "Wenn es um meine Ernährung ging, hüpfte Mom ständig zwischen Vollkorn und Vollfett, Gemüse und Törtchen, Hoffnung und Resignation hin und her, so wie ich zwischen Magen vollstopfen und Körper entschlacken hin und her sprang. Mom mochte es vielleicht aufgegeben haben, mit mir über mein Gewicht zu reden, aber Dad hatte ungefähr zu der Zeit, als ich die 400 Pfund übersprang, ganz aufgehört, mit mir zu sprechen."
    Mit der Ankündigung seines Selbstmordes in der Silvesternacht gewinnt Butter auf Anhieb eine Menge Anhänger. Sein Hunger nach Anerkennung, Gesellschaft und Freundschaft findet plötzlich Nahrung, das Essen verliert gleichzeitig an Bedeutung. Zu spät erkennt er, dass die makabre Idee, seinen verhassten Körper zu opfern, nicht mehr aufzuhalten ist. Aber nicht nur der Countdown des näher rückenden Termins lässt den Leser von Seite zu Seite mitfiebern.
    Auch die verzweifelte Lage des Jungen, gepaart mit seinem Galgenhumor machen den Roman zu einer spannenden Lektüre. Bewusst aber sorglos essen – das ist den Helden dieser beiden Jugendbücher nicht vergönnt.
    Getreide-Unverträglichkeit bei Kindern
    Aber auch ohne psychische oder soziale Störungen können nicht alle Kinder und Jugendlichen das Essen nach Lust und Laune genießen und damit experimentieren. Unverträglichkeiten, die in den letzten Jahren immer mehr zum Thema werden, machen den Speiseplan vieler Kinder zu einer eigenen Wissenschaft, die sie selbst früh beherrschen müssen. Birgit Kulmer ist die Mutter eines solchen Kindes. Nachdem bei ihrer Tochter Zöliakie diagnostiziert wurde – eine Getreide-Unverträglichkeit -, hat Birgit Kulmer in Stuttgart einen eigenen, kleinen Kinderbuchverlag gegründet. Als Mutter wünschte sie sich nicht nur Aufklärungsbroschüren, sondern eine Geschichte mit ansprechenden Figuren und Bildern. Heraus kam ein Bilderbuch mit dem Titel "Zucker, Zauber und Zinnober". Das Thema wirkt zunächst arg speziell, doch wer in einem Jahr 2000 Exemplare eines Bilderbuches verkauft, hat offenbar einen Nerv getroffen. Und das liegt nicht nur an den Infos im Buch, sondern auch an der liebevollen und positiven Aufmachung mit einer Protagonistin, die das Schicksal der Kinder teilt.
    "Es ist die Feldmaus Fiona, die kein Getreide mehr essen darf – es ist die Idee, dass es etwas ist, was so grundlegend in die Ernährung eingreift – wenn man mit Zöliakie plötzlich keine Pizza, keine Nudeln, keine Waffeln, kein Brot mehr essen darf, dann ist das zunächst mal … denkt man, es bleibt nichts mehr übrig."
    Die Bilder von Anna Marshall zeigen Fiona Feldmaus in einer bunten Welt voller Verlockungen, zwischen denen sie sich nun nicht mehr frei entscheiden kann. Natürlich helfen der Doktor und die Eltern mit Rat und Tat, vor allem aber hilft der kleinen Maus die Zuversicht, dass ein Ernährungsplan ohne Gluten nicht öde sein muss.
    "Als sie wieder zuhause sind, sagt Mama: "Jetzt packen wir alles auf den Tisch, was du essen darfst. Mal schauen, was wir daraus kochen können."
    In einem zweiten, noch im Druck befindlichen Buch wird Birgit Kulmer Rezepte für Kinder mit und ohne Zöliakie herausgeben und dazu – wieder mit Bildern von Anna Marshall - Geschichten aus verschiedenen Kulturen erzählen. Der Name ihres Verlages: "Edition Buchstabensuppe".
    "Die Idee hinter diesem Namen war eigentlich, dass man im Essen lesen muss oder lesen kann – also, das Lesen-Können einerseits über andere Kulturen, die sich im Essen spiegeln, und dann besonders für die Zöliakie-Betroffenen bedeutet das ganz konkret immer: Sie müssen immer die Zutatenlisten von allem lesen. Also das Essen und das Lesen sind auf einmal miteinander verbunden."
    Kinder kochen und feiern
    Kinder, Kocht! Dazu fordert die Köchin und Rezeptautorin Claudia Seifert zusammen mit einem Team aus Fotografin, Illustratorin und Stylistin Kinder jeden Alters auf. Ihr gemeinsames Buch ist ein klassisches Kochbuch und doch weit mehr als das. Es ist ein Fest, in dem Kinder die Hauptrolle spielen. Sie kochen und sie feiern – und das nicht nur im Haus, sondern auch im Garten, im Schwimmbad oder im Wald. Der Autorin Claudia Seifert und Illustratorin Gesa Sander war es wichtig, Kinder auf verschiedenen Wegen zum Kochen zu verlocken!
    "Kinder an den Herd zu bekommen, teilweise über die Rezepte, aber auch über schöne Bilder und Ideen, über Partys, ich kann viel freier, kreativer, individueller arbeiten für ein Kinderkochbuch."
    "Was daran ganz wichtig ist, dass die Kinder nicht schon so ein fertiges, perfekt gestyltes Produkt in dem Buch abgebildet sehen, sondern dass da auch mal gekleckert und gekrümelt und so was werden darf."
    "Wir haben es nach den Jahreszeiten strukturiert, um Kindern auch das nahezubringen, dass man saisonal bestimmte Dinge machen kann – also z. B. Kürbisse im Herbst oder im Frühjahr eben Holunderblüten, aber auch die Festivitäten wie Ostern und Weihnachten."
    Mädchen und Jungen sind auf den Fotos gleichermaßen mit Kochen, Backen, Braten, Grillen – oder natürlich mit Essen beschäftigt. Wer vor dem Lesen noch keinen Appetit hat, wird hier garantiert nicht widerstehen können, das ein oder andere Rezept auszuprobieren - oder auch einen der vielen kleinen Tipps für einfache Dinge wie Schokobanane oder Tomatenbrot. Die Bilder sind großformatig und durchgehend liebevoll arrangiert. Rezepte aus anderen Ländern sind mit landestypischen Fotos und Beigaben garniert, sodass das Stöbern im Buch auch ohne Kochabsichten eine reine Freude ist.
    "Ich glaub, man hat auch einfach Spaß, weil die ganzen Kapitel auch immer eine Geschichte erzählen, das kann man auch einfach wie ein dickes Bilderbuch durchblättern und mit den Kindern, die da abgebildet sind, mit Spaß haben, was die dabei alles erleben."
    Der ein oder andere, dezente Hinweis in den Rezepten oder im einführenden Teil zeigt, dass den Macherinnen etwas an verantwortungsvollem Umgang mit dem Essen und der Natur liegt. Sie schlagen vor, dass man ein Biohühnchen für die Hühnersuppe wählt, und 80 Prozent der Rezepte sind vegetarisch. Doch das ist hier Nebensache. Informationen gibt es dann schon eher über das nötige Zubehör in einer Küche, über Schneide- und Gartechniken und – auch hier – über die von der Natur vorgesehene und vom Menschen eingeschränkte Vielfalt der Arten. Der einzige Kritikpunkt an dem Buch: Die Schrift in den Rezepten ist für ein Kochbuch, das man in Aktion noch lesen können muss, sehr klein gesetzt.
    Wer Kinder über Bücher an das Thema Essen heranführen will, kann viele Wege gehen: den Weg über das Kochen, über literarische Leckerbissen oder chemische Experimente in der Küche. Ob ein Kind alles mag und verträgt oder das Thema Essen nur mit spitzen Fingern anfasst: Je lustvoller, bunter und lebendiger die Bücher sind, umso größer die Chance, dass aus dem Lesen und Stöbern mehr wird: vielleicht ein neues Verständnis über den Wert von Lebensmitteln oder über das eigene Verhältnis zu Essen und Geschmack. Oder auch der Wunsch, gemeinsam zu kochen und das Essen nicht zu einer Nebensache verkommen zu lassen.
    Büchertipps:

    Birgit Lockheimer (Hrsg.) und Sonja Bougaeva (Bilder): "Zu Tisch! Das Hausbuch vom Essen und Trinken",
    Gerstenberg, 142 Seiten, 24,95 Euro

    Anke M. Leitzgen und Lisa Rinermann (Bilder): "Entdecke, was dir schmeckt – Kinder erobern die Küche", Beltz und Gelberg, 156 Seiten, 16,95 Euro, ab neun Jahre

    Hubert/Marie Caillou: "Luft und Liebe", Carlsen – Graphic Novel, 77 Seiten, 15,90 Euro, ab 14 Jahre

    Erin Jade Lange: "Butter", rororo, ca. 272 Seiten, 8,99 Euro, ab zwölf Jahre

    Birgit Kulmer und Anna Marshall (Bilder): "Zucker, Zauber und Zinnober", Edition Buchstabensuppe, 14,95 Euro, ab drei Jahre

    Claudia Seifert und Gesa Sander (Bilder): "Kinder, kocht!", AT Verlag, 288 Seiten, 24,90 Euro, ab acht Jahre und für die ganze Familie