Die Geschichte des Erdmännchens Elvis ist erstaunlich. Sie schafft es, den Kleinsten auf unterhaltsame Art und Weise zu zeigen, dass Zusammenarbeit mehr bringt als ständiger Streit. Katja Reider packt das, illustriert von Cornelia Haas, in eine Abenteuergeschichte. "Bestimmer sein. Wie Elvis die Demokratie erfand" ist gereimt und in großformatigen detailreichen Dschungel-Bildern erzählt. Der Streit zwischen den Tieren ist groß:
"Wer rückt dem anderen auf die Pelle?
Wer darf wann an die Wasserstelle?
Wer fordert stets das Allerbeste?
Und wer kriegt immer nur die Reste?
Wer bringt hier endlich Ruhe rein?
Wer soll im Land Bestimmer sein?"
Wer darf wann an die Wasserstelle?
Wer fordert stets das Allerbeste?
Und wer kriegt immer nur die Reste?
Wer bringt hier endlich Ruhe rein?
Wer soll im Land Bestimmer sein?"
Katja Reider, Cornelia Haas: "Bestimmer sein"
Auf dem Bild dazu streitet sich ein Affe mit einem Warzenschwein um eine Banane, ein Chamäleon zankt mit einem Äffchen um ein Blatt und so fort. Trotz des Streits wirken die Bilder heiter und kindgerecht. Elvis beobachtet die Auseinandersetzungen. Da hat er eine Idee: Lasst uns Vertreter wählen, die für uns streiten. Die Tiere machen mit. Am Ende steht eine schöne Utopie:
"Die Lösung schien allen gut zu gefallen.
Selbst Löwen und Leos senkten die Krallen!
Emus, Büffel, Zebras … genossen die Zeit.
Und Flusspferde seufzten: Vorbei Kampf und Streit!
Lief etwas schief, entschied man mit Geduld.
Dann gab es Debatten, nur selten Tumult.
So viel Harmonie
nennt man Demokratie."
Selbst Löwen und Leos senkten die Krallen!
Emus, Büffel, Zebras … genossen die Zeit.
Und Flusspferde seufzten: Vorbei Kampf und Streit!
Lief etwas schief, entschied man mit Geduld.
Dann gab es Debatten, nur selten Tumult.
So viel Harmonie
nennt man Demokratie."
"Bestimmer sein" vermittelt charmant für Kinder ab vier Jahren, wie wertvoll Wahlen und Demokratie sind.
Paula Desgualdo, Pedro Markun, Larissa Ribeiro, André Rodrigues: "Im Dschungel wird gewählt"
Deutlich wilder geht es in dem sehr gelungenen Bilderbuch "Im Dschungel wird gewählt" zu. Die Zeichnungen sind roher, erinnern an Scherenschnitt, die Handlung ist komplexer. Die Tiere in diesem Dschungel revoltieren gegen den Löwen, der sich als Privatvergnügen ein Schwimmbad gebaut hat. Hier fallen dann Schlagwörter wie Podiumsdiskussion oder Demonstration, die in einem kleinen Glossar erklärt werden. Ein rasantes und witziges Bilderbuch, an dem auch Erwachsene ihre Freude haben dürften.
Eleanor Levenson, Paul Boston: "Politik"
Ein einziges großes Glossar ist das Sachbuch "Politik. 100 Begriffe aus Politik und Gesellschaft in 100 Wörtern erklärt" für Kinder ab acht Jahren. Der Name ist Programm. Jede großformatige Seite erklärt stilvoll illustriert einen Begriff. So klingt der Eintrag zu Politik:
"Der griechische Philosoph Aristoteles schrieb schon im 4. Jahrhundert vor Christus ein Buch über "Politik". Er beleuchtete damals, wie größere Gemeinschaften sich organisieren und welche Arten von (guten und schlechten) Regierungen es gibt. Und ganz ehrlich: Seit Aristoteles hat sich nur wenig geändert. Heute nutzen wir den Begriff der Politik, um zu beschreiben, wie und durch wen in größeren Gruppen Entscheidungen getroffen werden, wie wir unser Zusammenleben gestalten und wie Menschen Macht erlangen – beispielsweise, indem sie für ihre eigenen Ideen werben, oder durch Wahlen."
Das waren 84 der 100 Wörter. Sicher können in einem solchen Projekt die Begriffe nicht erschöpfend beleuchtet werden. Aber die Lexikoneinträge schaffen es, Wörter wie Demokratie oder Diktatur zumindest zu definieren und in einen Kontext zu setzen. Die Reihenfolge der Einträge ist nicht alphabetisch, sondern inhaltlich. Auf Politik folgt Demokratie, auf Politiker Autorität. Die Autorin Eleanor Levenson wandert so die politische Grundstruktur unserer Gesellschaft schlagwortartig ab. Die großformatigen und einfallsreichen Illustrationen von Paul Boston verniedlichen die Themen nicht, sondern stilisieren sie ansprechend.
Ein schönes Buch, das dabei hilft, dass sich junge Lesende in ihrem Wissensdrang ernst genommen fühlen. Beim Eintrag zu Feminismus etwa sieht man das Porträt einer schwarzen Frau über einem langen Konferenztisch, an dem ganz unterschiedliche Menschen sitzen. Den Vorsitz führt selbstverständlich eine Frau. Schade ist allerdings, dass in diesem Buch nicht gegendert wird.
Christine Paxmann: "So geht's! Demokratie für Kids"
Das macht Christine Paxmann in "So geht's! Demokratie für Kids" besser. Im Vorwort erklärt sie, warum sie gendert:
"Liebe junge Leser*innen, ihr wisst, wofür das Sternchen * steht? Genau, es sollen sich einfach alle Menschen angesprochen fühlen, egal welches Geschlecht sie haben, denn jeder Mensch soll gleichbehandelt werden. So ist das in einer Demokratie wie in der Bundesrepublik Deutschland."
Das Buch hat eine hohe Informationsdichte, ohne die junge Leserschaft ab acht Jahren abzuhängen. Als Identifikationsangebot dient Familie Strudel. Kleine Anekdoten aus ihrem Familienalltag sind das Sprungbrett, um die komplizierten demokratischen Strukturen zu erklären. Warum muss ich Steuern zahlen? Warum sitzen die Parteien eigentlich genau in dieser Sitzordnung im Bundestag? Wer macht die Gesetze? Als roter Faden dient die Idee des kleinen Leon, seinen eigenen Staat zu gründen: "Kinderland".
Fehlerhaftes Narrativ
Leider gibt es in dem sinnvoll strukturierten, wenn auch im Layout überladenen Buch "So geht’s! Demokratie für Kids" einen Lapsus. In dem Kapitel "Links und Rechts" heißt es:
"Da kommt Mama mit der Zeitung herein. ,Schaut mal, die Linken und die Rechten haben laut dieser Umfrage ganz schön zugelegt, oha!' ,Na, dann muss sich die Mitte aber warm anziehen', antwortet Papa."
Das Gegenüberstellen von Links- und Rechts, in deren Mitte sich die bürgerlichen Parteien als Gemäßigte befinden, ist nicht mehr zeitgemäß. Dieses Modell nennt sich Hufeisentheorie. Darin wird eine Gleichsetzung der extremistischen Ausprägungen von Links und Rechts angenommen. Links und Rechts seien im Grunde spiegelverkehrte Ansichten. Sowohl die Bundeszentrale für politische Bildung als auch viele Politologen halten dieses Modell für zu vereinfachend. Es ist schade, dass in dem aufwändig gestalteten Buch dieses fehlerhafte Narrativ beiläufig reproduziert wird. Gerade in Zeiten, in denen faschistische Strömungen in unserer Gesellschaft immer stärker werden.
Eva Rottmann: "Mats & Milad"
Eine besorgniserregende Entwicklung, die in dem Romandebüt "Mats & Milad" von Eva Rottmann eine Rolle spielt, wenn auch eine untergeordnete. Es handelt sich primär um eine Liebesgeschichte zweier Jugendlicher. Was daran politisch ist: Milad bekommt wegen seiner Hautfarbe Ärger mit einer Naziclique aus der Ortschaft.
"Ich war ein einziges Mal in meinem Leben im Libanon. Ich habe keine Ahnung vom Libanon, verstehst du? Ich bin hier geboren. Aber ich bin trotzdem der Ausländer. Weiß du, wie oft die Leute mich fragen: Wo kommst du her? Und ich sage: aus Deutschland. Und die Leute: Nein, aber eigentlich, wo kommst du eigentlich her?"
Schließlich sorgt ein Komitee "besorgter Bürger" für Krawall, weil die Bewohnerinnen und Bewohner eines Asylantenheimes aus dem Nachbarort neu verteilt werden sollen. Der Roman greift das Thema Xenophobie unaufgeregt auf. Durch den geschmeidigen und der Jugendsprache angenäherten literarischen Stil Eva Rottmanns ist diese Geschichte für eine Leserschaft ab 13 Jahren eine interessante Lektüre, die eines verdeutlicht: Man muss und kann sich gegen Nazis zur Wehr setzen.
Kyra Groh: "Mein Leben als lexikalische Lücke"
Auch in Kyra Grohs "Mein Leben als lexikalische Lücke" – ebenfalls ab 13 Jahren – geht es um Politik und Zivilcourage – und um eine Liebesgeschichte. Die ist allerdings eher als Hintergrundrauschen in die Geschichte eingewoben. Jule und Benni haben zu kämpfen. Jule mit ihrer Familie, die überhaupt nicht verstehen kann, dass sie aus ökologischen Gründen kein Fleisch mehr isst. Ihre Mutter ist schockiert.
",Du bist eine Veganerin???', donnert sie hervor. ,Ich habe gedacht, du willst einfach nur abnehmen, wie jedes normale sechzehnjährige Mädchen!'
Ein normales Mädchen? Man ist in ihren Augen also ein normales Mädchen, wenn man abnehmen möchte, selbst wenn man wie ich eine schlanke Figur hat? Wenn das ihr Verdacht war, wäre es dann nicht ihre Pflicht gewesen, mich zu überzeugen, dass ich nicht abnehmen muss? Dass ich okay bin, wie ich bin? Dass mein Wert nicht von meinem Körpergewicht abhängt?
,Dir ist es lieber, dass ich hungere, um abzunehmen, als dass ich einfach nur keine toten Tiere mehr essen will?'"
Ein normales Mädchen? Man ist in ihren Augen also ein normales Mädchen, wenn man abnehmen möchte, selbst wenn man wie ich eine schlanke Figur hat? Wenn das ihr Verdacht war, wäre es dann nicht ihre Pflicht gewesen, mich zu überzeugen, dass ich nicht abnehmen muss? Dass ich okay bin, wie ich bin? Dass mein Wert nicht von meinem Körpergewicht abhängt?
,Dir ist es lieber, dass ich hungere, um abzunehmen, als dass ich einfach nur keine toten Tiere mehr essen will?'"
Auflehnen gegen das Elternhaus
Benni lebt bei seiner stark religiösen Mutter zusammen. Auch er erzählt seine Geschichte in der ersten Person. In kurzen Kapiteln wechseln sich die Perspektiven von Jule und Benni ab.
"Als ich in der dritten Klasse war, wollte meine Mutter verhindern, dass ich am Sexualkundeunterricht teilnehme. Unsere Mütter und Väter wurden an einem Elternabend über die anstehende Lehreinheit informiert und meine Mum war davon unendlich schockiert. Ich weiß nicht, ob sie ernsthaft gehofft hatte, man würde Kinder in den 2000er-Jahren nicht aufklären – aber so muss es wohl gewesen sein, denn sie regte sich so tierisch auf, dass sie von meiner Klassenlehrerin zu einem Vieraugengespräch eingeladen wurde."
Das Auflehnen gegen überkommene religiöse Vorstellungen, gegen das erzkonservative, rassistische Elternhaus, für eine Welt, die besser sein könnte, machen dieses Buch zu einer motivierenden Lektüre. In "Mein Leben als lexikalische Lücke" erzählt Kyra Groh von zwei Jugendlichen, die miteinander die Kraft und den Mut finden, es anders zu machen. Ein politisches Buch, weil es aufzeigt, dass Veränderung möglich ist, wenn man etwas dafür tut.
"Für etwas einzustehen, ist Arbeit. Jeden Tag. Nicht nur auf Demos und in der Wahlkabine. Sondern am Frühstückstisch. Beim Zeitunglesen. In der Schule. Beim Abendbrot. Beim Cartoons-Gucken mit deinem Bruder. Bei der Wahl deiner Freunde. Bei jeder Aussage, die du tätigst."
Lea Loos: "Widerstand ist zwecklos? Nein!"
In der Graphic Novel "Widerstand ist zwecklos? Nein!" von Lea Loos treffen in einer WG nicht nur Aktivistinnen und Aktivisten, sondern auch bekannte Theoretikerinnen und Theoretiker des gewaltfreien Widerstands aufeinander. Die charmante Idee: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren eigentlich auf dem Weg zu einem Kongress, haben aber alle die falsche Adresse gehabt – und sitzen jetzt zusammen in der WG und diskutieren ihre Theorien. Eine humorvolle Geschichte, die viele Aspekte, Möglichkeiten und die Geschichte des gewaltfreien Widerstandes gewinnbringend aufarbeitet. Aber Vorsicht: Wer diesen Comic liest, hat danach genügend Material und Motivation, die Welt zu ändern. Ob Groß oder Klein.
Katja Reider, Cornelia Haas (Ill.): "Bestimmer sein. Wie Elvis die Demokratie erfand"
Hanser Verlag, München. 24 Seiten, 15 Euro, ab 4 Jahren.
Paula Desgualdo, Pedro Markun, Larissa Ribeiro (Ill.), André Rodrigues (Ill.): "Im Dschungel wird gewählt"
Aus dem Portugiesischen von Lea Hübner
Prestel Verlag, München. 48 Seiten, 15 Euro, ab 5 Jahren.
Eleanor Levenson, Paul Boston (Ill): "Politik. 100 Begriffe aus Politik und Gesellschaft in 100 Wörtern erklärt"
Aus dem Englischen von Britta Meinass
Carlsen Verlag, Hamburg. 112 Seiten, 18 Euro, ab 8 Jahren.
Christine Paxmann: "So geht's! Demokratie für Kids"
Verlag Dorling Kindersley, München. 80 Seiten, 14,95 Euro, ab 8 Jahren.
Eva Rottmann: "Mats & Milad. Oder: Nachrichten vom Arsch der Welt"
Verlag Jacoby & Stuart, Berlin. 256 Seiten, 16 Euro, ab 13 Jahren.
Kyra Groh: "Mein Leben als lexikalische Lücke"
Arctis Verlag, Zürich. 448 Seiten, 18 Euro, ab 13 Jahren.
Lea Loos: "Widerstand ist zwecklos. Ein Comic über gewaltlosen Widerstand"
avant-Verlag, Berlin. 154 Seiten, 16 Euro, ab 13 Jahren.
Hanser Verlag, München. 24 Seiten, 15 Euro, ab 4 Jahren.
Paula Desgualdo, Pedro Markun, Larissa Ribeiro (Ill.), André Rodrigues (Ill.): "Im Dschungel wird gewählt"
Aus dem Portugiesischen von Lea Hübner
Prestel Verlag, München. 48 Seiten, 15 Euro, ab 5 Jahren.
Eleanor Levenson, Paul Boston (Ill): "Politik. 100 Begriffe aus Politik und Gesellschaft in 100 Wörtern erklärt"
Aus dem Englischen von Britta Meinass
Carlsen Verlag, Hamburg. 112 Seiten, 18 Euro, ab 8 Jahren.
Christine Paxmann: "So geht's! Demokratie für Kids"
Verlag Dorling Kindersley, München. 80 Seiten, 14,95 Euro, ab 8 Jahren.
Eva Rottmann: "Mats & Milad. Oder: Nachrichten vom Arsch der Welt"
Verlag Jacoby & Stuart, Berlin. 256 Seiten, 16 Euro, ab 13 Jahren.
Kyra Groh: "Mein Leben als lexikalische Lücke"
Arctis Verlag, Zürich. 448 Seiten, 18 Euro, ab 13 Jahren.
Lea Loos: "Widerstand ist zwecklos. Ein Comic über gewaltlosen Widerstand"
avant-Verlag, Berlin. 154 Seiten, 16 Euro, ab 13 Jahren.