Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) möchte an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett und Salz per Gesetz eindämmen und hat dazu Punkte für einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die neuen Regelungen sollen die bisherigen freiwilligen Selbstverpflichtungen ablösen. Davor müssen sie allerdings in der Bundesregierung weiter abgestimmt werden.
Auch wenn SPD, FDP und Grüne solche Werbebeschränkungen grundsätzlich im Koalitionsvertrag vereinbart haben, befürworten nicht alle Özdemirs Pläne. Vor allem in der FDP stoßen die Pläne auf Ablehnung. Das Ministerium hat deswegen einen abgeschwächten Kompromissvorschlag vorgelegt, aber auch der findet nicht überall Anklang.
Wie soll das Werbeverbot für Süßigkeiten aussehen?
Bei dem geplanten Gesetz geht es um ein Werbeverbot von Lebensmitteln, die zu viel Zucker, Fett oder Salz beinhalten. Als Messlatte sollen Nährwertprofile der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dienen. Ausgenommen sind laut Ministerium Werbung für Obstsäfte und Milch. Einem neuen Kompromissvorschlag zufolge soll auch Joghurt ausgenommen werden, der nicht extra gesüßt wurde.
Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder unter 14 Jahren richtet, soll demnach in allen für Kinder relevanten Medien und als Außenwerbung verboten werden. Beispielsweise dürfte dann in Zukunft kein Werbeplakat auf der Straße einen sehr zucker- und fetthaltigen Schokoriegel als guten Snack für Grundschulkinder loben.
Auch für Werbung, die ungesunde Snacks anpreist, sich aber nicht inhaltlich speziell an Kinder richtet, soll es Einschränkungen geben. Sie soll beispielsweise nicht mehr an Tageszeiten zu sehen sein, an denen viele Kinder Medien nutzen. Das soll wochentags von 17 bis 22 Uhr gelten, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und sonntags von 8 bis 22 Uhr. Werbung für ungesunde Chips, Fertiggerichte oder Limonaden wären dann verboten, auch wenn die Spots sich nicht speziell an Kinder richten.
Ursprünglich sollte die zeitliche Einschränkung sogar von 6 Uhr morgens bis 23 Uhr gelten, egal ob im Fernsehen, Radio oder im Internet.* Im neuen Kompromissvorschlag Özdemirs wurden die Zeiten also gekürzt. Auch wurde der Hörfunk von der Regelung ausgenommen. "Was Angebote im Internet angeht, sind alle gängigen Kanäle betroffen und auch Influencer, deren Inhalte zunehmend von Kindern konsumiert werden“, sagte der Ernährungsminister dazu.
Daneben möchte Özdemir auch Werbung im direkten Umfeld von Schulen und Kitas regulieren. Hier soll eine Bannzone von 100 Metern für Plakatwerbung für ungesunde Snacks gelten – selbst, wenn sich die Werbung nicht speziell an Kinder richtet. Ursprünglich sollte diese Bannmeile auch für Sport- und Spielplätze gelten. Dies wurde aber im neuen Kompromissvorschlag gestrichen.
Was es hingegen nicht geben soll, ist ein allgemeines Werbeverbot oder gar ein Verbot ungesunder Lebensmittel.
Was spricht für ein Werbeverbot?
Bundesernährungsminister Cem Özdemir begründete das geplante Gesetz mit einer Schutzverpflichtung gegenüber Kindern. Sie seien besonders empfänglich für Werbung, die sie oft noch nicht als solche erkennen. Dem gegenüber stehe das große Problem von Übergewicht bei vielen Kindern und Jugendlichen, was erhöhte gesundheitliche Risiken bedeutet.
Unterstützung bekommt Özdemir von Parteikolleginnen und vom Koalitionspartner SPD: Oft beginne eine chronische Krankheit in der Kindheit, ungesunde Ernährung sei häufig der Anfang, so Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Grünen-Politikerin Renate Künast verweist auf hohe gesellschaftliche Kosten von Krankheiten.
Auch Gesundheits- und Verbraucherexperten begrüßten die ursprünglichen Pläne. Ein Bündnis aus 40 Verbraucherschützern, Ernährungs- und Kinderschutzorganisationen sowie den größten deutschen Krankenkassen hatte schon im November 2022 ein solches Verbot von Werbung gefordert. Freiwillige Regeln hätten keinen Erfolg gezeigt.
Umso enttäuschter sind sie nun von dem aufgeweichten Kompromissvorschlag: So kritisierte der Vorsitzende der Stiftung Kindergesundheit, Berthold Koletzko, dass Plakatwerbung in der Nähe von Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen weiterhin erlaubt wäre. Auch mit den gekürzten Verbotszeiten für Fernsehwerbung zeigte er sich gegenüber den RND-Zeitungen unzufrieden: "Wenn man Kinder und ihre Gesundheit wirkungsvoll schützen will, sollten die Zeiten von 6.00 bis 23.00 Uhr wochentags und am Wochenende eingeschlossen werden."
Denn laut Koletzko sei die Datenlage klar: "Werbung erhöht den Verzehr ungesunder Lebensmittel und führt zu mehr Übergewicht und Adipositas“, so der Mediziner Berthold Koletzko. Der Einfluss der Werbung dürfe nicht unterschätzt werden, auch wenn daneben natürlich noch andere Faktoren eine Rolle spielten.
Ähnlich sieht es Barbara Bitzer von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). In vielen Studien sei belegt, dass Werbung wirke und besonders bei Kindern Präferenzen fördere, so Bitzer.
Was spricht gegen ein Werbeverbot?
Aus der Lebensmittelwirtschaft, von der Opposition und auch von der mitregierenden FDP kam Kritik an Özdemirs Plänen.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) warf dem Ernährungsminister vor, mit seinen Plänen den Rahmen des Koalitionsvertrags zu verlassen. Auch wäre "der Kollateralschaden eines Lebensmittel-Werbeverbots für die Medienvielfalt, für Sportvereine, für das Produktangebot riesig, aber der Kinderschutz nicht automatisch erhöht", sagte der BVE-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff der "Rheinischen Post".
Hinzu kommt Kritik vom Koalitionspartner FDP, auch am neuen Gesetzesvorschlag: Er halte die Pläne "weiterhin für falsch", sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki. Er glaube nicht, dass "das Werbeverbot helfen wird, das eigentliche Gesundheitsproblem, nämlich den Bewegungsmangel der Kinder, zu beheben". Kinder würden in erster Linie durch ihr Elternhaus geprägt. "Ein Werbeverbot für Kinder läuft völlig ins Leere und ist deshalb nichts anderes als politischer Aktivismus."
Auch bei der Einstufung von Lebensmitteln in gesund und ungesund seien die WHO-Grenzwerte in der Praxis nicht umsetzbar und hätten deshalb auch nicht den Weg in den Koalitionsvertrag gefunden, sagte FDP-Politikerin Carina Konrad anlässlich des ersten Gesetzesvorschlags Özdemirs gegenüber der „Welt".
Die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU/CSU, Gitta Connemann (CDU), ärgerte sich indes über „Bevormundung pur“. Nicht Werbung sei das Problem, sondern übermäßiger Konsum.
Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen - Wie groß ist das Problem?
Knapp mehr als 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen in Deutschland sind nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) aus dem Jahr 2018 übergewichtig, fast sechs Prozent gelten als adipös. Mögliche Folgen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Gelenkprobleme und Depressionen. Hinzukommt laut Bundesgesundheitsministerium, dass in der Kindheit entwickeltes Übergewicht oft ein Leben lang beibehalten werde.
Die Ursachen für Übergewicht sind laut RKI vielfältig: Neben dem Medienkonsum spielen zahlreiche Faktoren wie Verpflegung in Kitas, Lebensmittelkosten, der sozioökonomische Status der Familie und Kinderarmut, das Verhalten der Eltern und vor allem auch Bewegung eine entscheidende Rolle.
Auch die Coronapandemie hatte hier einen Einfluss. Den Ergebnissen einer Elternumfrage aus dem Mai 2022 nach hat sie sich negativ auf das Ernährungs- und Bewegungsverhalten ausgewirkt. Demnach bewegte sich fast die Hälfte der Kinder weniger, ein Viertel konsumierte mehr Süß- und Knabberwaren. Insgesamt 16 Prozent sind dadurch dicker geworden, bei den Zehn- bis Zwölfjährigen sogar jeder Dritte.
Außerdem hätten sich soziale Unterschiede noch verstärkt, so Hans Hauner. Für den Professor für Ernährungsmedizin an der TU München müsse gegengesteuert werden, sonst drohe der Gesellschaft eine neue und folgenschwere „Epidemie von Erkrankungen“, die mit Übergewicht und Fettleibigkeit in Zusammenhang stehen.
Wie kann man Übergewicht bei Kindern noch bekämpfen?
Da die Ursachen für Übergewicht bei Kindern so divers sind, sind auch die Lösungsansätze vielfältig – da sind sich eigentlich alle Experten einig.
Werbung zu regulieren, ist für Roman Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, nur ein Baustein, um ein gesundes Aufwachsen von Kindern zu fördern: „Es braucht natürlich mehr Bewegung. Es braucht beispielsweise gesundes Essen in Kitas und Schulen. Aber es braucht auch diese klare Werberegulierung“, so Pop.
Ähnlich sieht es Hans Hauner, Professor für Ernährungsmedizin an der TU München. Neben Werbebeschränkungen schlägt er eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse sowie eine Zuckersteuer vor. Eine solche führten bislang weltweit weit mehr als 40 Länder ein.
Hauern nennt dazu das Beispiel Großbritannien: "Sie haben das wirklich clever gemacht, der Industrie auch Zeit gelassen, ihr Produktportfolio zu ändern. Der Konsum von Zucker über zuckerhaltige Getränke ist dort wirklich signifikant gesenkt worden“, so Hauner.
Neben den präventiven Maßnahmen müsse auch den bereits übergewichtigen Jugendlichen geholfen werden, beispielsweise mit frühen Therapien gegen Adipositas und Kostenübernahmen durch die Krankenkassen.
dpa, kna, afdp, reuters, Panajotis Gavrilis, Volker Mrasek, ikl, lkn
* Redaktioneller Hinweis: Anders als zunächst geschrieben, ist in dem Gesetzentwurf jegliche Werbung ungesunder Lebensmittel von 6 bis 23 Uhr verboten, unabhängig davon, ob sie sich speziell an Kinder richtet oder nicht. Wir haben dies im überarbeiteten Text korrigiert.