Lakshmi und ihre große Schwester verkaufen rote Rosen. An einer Straßenkreuzung in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi schlängeln sich die beiden Mädchen unerschrocken zwischen den Autos hindurch, sobald die Ampel an der Kreuzung der beiden mehrspurigen Straßen auf Rot gesprungen ist.
"Rosen, kauft Rosen. Nur zehn Rupien. Dann haben wir was zu essen."
Die achtjährige Lakshmi, deren Name in Sanskrit Glück, Schönheit und Reichtum bedeutet, muss sich auf die Zehenspitzen stellen. Sie ist etwa so klein, wie in Deutschland eine Vierjährige. Ihre Haut ist rau, das Haar struppig und die Augen sind trüb. Ganz offensichtlich hat Lakshmi, ebenso wie ihre ein Jahr ältere Schwester, von Anfang an zu wenig und zu schlecht zu essen bekommen.
Die Mutter der beiden Mädchen sitzt am Straßenrand und hütet ihren Sohn: "Wir versuchen, eine Arbeit für Tageslohn zu bekommen. Wenn das nicht klappt, fahren wir zum Markt und kaufen Rosen und verkaufen sie hier. Mein Mann ist krank. Andere Arbeit kann er nur ein paar Tage lang machen. Dann geht es mit seinen Gelenken nicht mehr."
Also arbeiten auch die Töchter.
Zahlen gehen weit auseinander
Wie viele Mädchen und Jungen in Indien Kinderarbeit leisten, ist nicht genau bekannt. Die Nichtregierungsorganisation des Friedensnobelpreisträgers Kailash Satyarthi geht von knapp zwölf Millionen aus, die indische Regierung von 4,4 Millionen. Sie zählt allerdings nur die illegal arbeitenden Kinder dazu, also solche, die etwa in Plastikfabriken oder Ziegeleien unter gefährlichen Bedingungen schuften.
Kinder wie Lakshmi, die ihren Eltern bei deren Arbeit helfen, werden nicht mitgezählt. Friedensnobelpreisträger Satyarthi, betrachtet Kinderarbeit als ein globales Problem. Nicht nur in seiner Heimat Indien gebe es noch viel zu viele Kinder, die arbeiten müssten, statt zur Schule zu gehen.
"Bei meinem Kampf gegen Kinderarbeit in Indien und ganz Südasien habe ich erkannt, dass das nicht ein isoliertes Problem des einen oder anderen Landes ist. Das muss man global betrachten und bekämpfen. Auf der einen Seite mussten wir eine starke soziale Bewegung gegen Kinderarbeit schaffen und auf der anderen Seite für wirkungsvolle Gesetze sorgen. Und über allem steht unsere Forderung nach einer internationalen Konvention gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit."
Auf der Grundlage des Zensus aus dem Jahr 2011 ist die Zahl der Fünf- bis 14-jährigen, die Kinderarbeit leisten in Indien seit 2001 um fast die Hälfte zurückgegangen.
Diese Einschätzung wird auch von den Vereinten Nationen geteilt. Yuri Afanasiev, der Indien-Beauftragte des UN-Entwicklungshilfeprogramms UNDP: "Als Vertreter der Vereinten Nationen in Indien gratulieren wir Premier Modi und dem zuständigen Arbeitsministerium zur historischen Umsetzung der Resolutionen 132 und 182, die auch die entsprechenden Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation sind. Das schützt Kinder vor der schlimmsten Ausbeutung und Diskriminierung am Arbeitsplatz."
Jetzt sei die Kinderarbeit "wieder da"
Seit 2016 ist in Indien Kinderarbeit für unter 14-Jährige gänzlich verboten. Und doch gibt es sie noch in vielen Bereichen.
Benjamin Pütter von der katholischen Hilfsorganisation "Die Sternsinger" war vor einigen Monaten mit einem Fernsehteam des ARD-Wirtschaftsmagazins "Plusminus" im Norden Indiens unterwegs und fand Kinder bei der Arbeit an Teppich-Webstühlen. Kinder, die offen sagten, dass sie lieber zur Schule gehen wollten, es aber nicht dürfen:
"Was für ein Schock. Wir sind hier in der Nähe des Taj Mahals, wo alle Touristen hingehen, und mir ist zum Heulen zumute. Ich sehe lauter Kinder, die hier arbeiten, und Teppiche herstellen. Ich arbeite seit Jahrzehnten gegen die Kinderarbeit, ich habe in den 90ern und den 2000er-Jahren fast überhaupt keine Kinderarbeit mehr gefunden hier, und jetzt ist sie wieder da."
Armut sei die Hauptursache für Kinderarbeit, schreibt das indische Arbeitsministerium auf seiner Webseite. Die Regierung unternehme alles, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern und Verstöße gegen das Verbot der Kinderarbeit aufzudecken und zu bestrafen.