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Kinderarm und kinderfeindlich

Spanien zählt mit einer Geburtenrate von 1,37 Kindern zu den kinderärmsten Mitgliedsstaaten der EU. Betreuungsangebote sind unzureichend, finanzielle Hilfen für haustätige Eltern gibt es nicht. Auch die neue Babyprämie wird von jungen Spaniern kritisch gesehen. Hans-Günter Kellner berichtet aus Madrid.

Von Hans-Günter Kellner | 10.08.2007
    Dass er es einmal als Klingelton auf den Handys zum Hit bringen würde, hätte sich Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero sicher nicht gedacht. Seine im Parlament angekündigte Babyprämie in Höhe von 2.500 Euro wird mit der musikalischen Begleitung zur Zielscheibe der Satire.

    Ruben López aus Madrid ist gerade Vater geworden. Und er hält nicht viel von den Versprechungen. Für ihn ist die angekündigte Babyprämie lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein:

    "In diesem Land gibt es keine Hilfen. Nichts. Familien- und Berufsleben sind im Grunde unvereinbar. Es gibt viel zu wenige Plätze in den staatlichen Kindergärten. Und wenn Dein Kind einen bekommt, musst Du es dort spätestens um 16.30 Uhr abholen. Da arbeiten aber doch noch alle. Und einen privaten Kindergarten können wir uns nicht leisten."

    Für Ruben und seine Frau gibt es zum Glück noch die Großeltern, die immer noch die verlässlichste soziale Institution in Spanien ist. Das Kindergeld beschränkt sich auf 100 Euro im Monat – und das auch nur, solange beide Elternteile berufstätig sind und nur bis zum dritten Geburtstag des Kindes. Das in Deutschland diskutierte Betreuungsgeld für Eltern, die zu Hause bleiben, gibt es auch in Spanien nicht. Aber am familienfeindlichsten sind in Spanien die langen Arbeitszeiten, meint Ruben:

    "Ich sehe meinen Sohn eine Stunde am Tag. Ich gehe morgens um acht Uhr aus dem Haus und komme abends um halb neun wieder zurück. Da bringt ihn seine Mutter gerade ins Bett. Ständig werden die Kinder von irgendjemandem beaufsichtigt. Dann beschweren sich die Leute über die schlechte Erziehung oder über die Schwierigkeiten der Kinder in der Schule. Aber die Eltern kümmern sich doch gar nicht um die Kinder."

    Gerade mal ein halbes Prozent seiner Wirtschaftskraft gibt Spanien für die Familienpolitik aus, so wenig wie kein anderes Land in Europa. Gleichzeitig ist die Geburtenrate mit 1,37 Kindern pro Frau ebenfalls eine der niedrigsten der Union. Doch werden die Spanierinnen mit der Babyprämie der Regierung nun wirklich mehr Kinder gebären? Mar Carrasco, 38 Jahre alt, Tontechnikerin und Mutter einer sechs Monate alten Tochter, ist skeptisch:

    "Früher wurden die Frauen nur darauf hin erzogen: heiraten und Kinder kriegen. Heute ist das anders. Heute kann jeder an der Universität studieren, eine berufliche Karriere anstreben. Niemand schreibt mir vor, ob und wie viele Kinder ich bekommen soll. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist heute eine andere. Wenn ich Kinder möchte, bekomme ich sie, ob es nun Geld dafür gibt oder nicht."

    Und wer sich bewusst gegen Kinder entscheidet, lässt sich auch mit 2.500 Euro nicht umstimmen, meint sie. Mit diesem Wandel des Selbstverständnisses der spanischen Frau wurde die Familie lange Zeit von vielen als eine überkommene Institution gesehen, die die individuelle Entwicklung der Frauen behindert. Eine ausgesprochene Familienpolitik gab es so nicht. Diesen Fehler erkennen auch die Gewerkschaften an. Manuel Risco von der Gewerkschaft "Comisiones Obreras" kritisiert dennoch die Babyprämie:

    "Das ist zwar keine schlechte Initiative. Aber wir haben damit auch eine Gelegenheit verpasst. Wir brauchen dauerhaftere Hilfen als so eine einmalige Zahlung. Zum Beispiel günstige und bessere Wohnungen für Familien mit Kindern und vor allem: Vorschulen für Kinder bis drei Jahre. Davon haben die Eltern auch längerfristig etwas."

    Die Babyprämie kostet im nächsten Jahr fast 1,2 Milliarden Euro. Damit ließen sich mehr als eine halbe Millionen neue Kinderbetreuungsplätze finanzieren, rechnen die Gewerkschaften vor. Und Mutter Mar Carrasco kritisiert, in manchen Betrieben bedeute eine Schwangerschaft, ein Antrag auf eine Halbtagsstelle trotz eines erst in diesem Jahr verabschiedeten Gleichstellungsgesetzes immer noch das Karriereende. Doch nicht nur Arbeitgeber verhielten sich ausgesprochen kinderfeindlich:

    "Ich sehe es doch an mir selbst. Wir haben hier im Block einen Innenhof, da spielen oft Kinder und machen einen fürchterlichen Lärm. Oder in Restaurants: Früher störte es mich, wenn da ein Kind schrie. Jetzt sehe ich das natürlich anders. Unsere Sandra wird wachsen, sie wird in den Hof gehen, sie wird spielen und sie wird schreien. Es stimmt, Kinder stören. Denn in Spanien ist es heute einfach nicht mehr normal, Kindern zu begegnen."