45 Haltestellen, ziemlich genau eine Stunde Fahrtzeit, dauert es, wenn man mit der Straßenbahnlinie 1 einmal quer durch Bremen, von Huchting im Westen nach Hemelingen im Osten der Stadt fährt – einmal durch alle sozialen Milieus – direkt nebeneinander. Durch eine Stadt mit über 33 Prozent an Kindern, die in armen Familien aufwachsen - auf Hartz 4 angewiesen sind.
Warum ist das so, dass Bremen 2012 sogar Mecklenburg-Vorpommern überholt hat? Das Bundesland, das sonst immer zuverlässig die rote Laterne am Ende sozialer Statistiken in der Hand hat. Carsten Schlepper, der Vorsitzende des Kinderschutzbundes in Bremen, hat sich am Hauptbahnhof mit in die Bahn gesetzt und erklärt:
"In den Untersuchungen wird eben deutlich, dass es in Bremen schon auch eine umfängliche Lage von unqualifizierten Arbeitsplätzen gibt. Entsprechend Menschen, die dort auch wenig Geld verdienen und eine verfestigte Einkommensnot, die sich schon über mehrere Generationen hinzieht."
Dabei ist Bremen auf Platz vier der bundesweiten Einkommensstatistik.
"Im Sinne der Menschen, die hier auch viel Geld haben, ja."
Das heißt aber auch, die soziale Schere geht immer weiter auseinander – das zeigt sich vor allem bei den Kindern.
"Das ist ja auch das Thema, das wir hier in Bremen haben und wo eigentlich schon seit Jahren versucht wird dagegen anzuarbeiten. In der Regel nämlich, dass diese Einkommenskluft so groß wird und wir Stadtteile haben da ist die Not riesengroß."
Und einige Wenige gibt es, da ist der Reichtum zu Hause. Durch einen solchen fahren wir jetzt – Schwachhausen, dem Stadtteil, in dem reiche Bremer Kaufleute Anfang des 19. Jahrhunderts ihre Landvillen errichteten. Seitdem ist er beliebtes Wohngebiet für das reiche Bremer Bürgertum ist: viel Platz, viel Grün. Die Kinderarmut liegt hier bei knapp sechs Prozent. 85 Prozent aller Schüler machen Abitur – im Nachbarstadtteil sind es nur 15. Dann macht die Strecke einen kleinen Bogen und es geht in die Vahr.
"Die Vahr ist ja auch ein hergestellter Stadtteil damals nach dem Zweiten Weltkrieg, hohe Häuser, Vielfamilienhäuser sozusagen in denen dann viele Familien auf engem Raum leben."
Hier leben mehr als 50 Prozent der unter 15-Jährigen wie es im Amtsdeutsch heißt, in Bedarfsgemeinschaften nach dem Sozialgesetzbuch II – sind also auf Hartz 4 angewiesen. Es gibt zwar Grün – aber:
"Es gibt keine Spielplätze, es gibt auch keine Möglichkeiten da auf einen Abenteuerspielplatz, da muss man auf die andere Seite der Weser gehen und hinterm Café Sand in diese Abenteuerwildnis hineingehen und das macht man nur als Kind, wenn man Eltern hat, die frei im Kopf sind und die auch die Möglichkeiten haben mit ihrem Kind zum Beispiel so eine Spielfläche mal aufzusuchen
Oftmals fehlt dafür aber einfach schon das nötige Fahrgeld für die Straßenbahn.
"Es wird ja ganz viel Geld dafür ausgegeben, so ist es ja nicht, sowohl im Kindergartenbereich als auch im Schulbereich wird tatsächlich viel Geld hier in Bremen ausgegeben. Man hätte mit dem Geld, was ausgegeben worden ist, besser etwas verteilter auf den Weg bringen können. Das ist im Augenblick das Thema."
Auch in Tenever, dem Stadtteil mit der höchsten Anzahl der Kinder, die auf Hartz 4 angewiesen sind. Die Bahn hält – mitten in einer Landschaft aus Wohntürmen. Auf einem winzigen Platz dazwischen – ein umgitterter Fußballplatz. Wenn man eine Betonrampe hochläuft, erreicht man das Jugendhaus Tenever – eine Jugendhilfe-Einrichtung der St. Petri Kirche. Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche – multinational und inklusiv - ein Stück Heimat. Hier gibt es Nachhilfe, ein Kunstatelier, hier wird zusammen gekocht, gesund gekocht, Fußball gespielt. Sie helfen bei der Ausbildungsplatzsuche, motivieren, dabei zu bleiben, bereiten Vorstellungsgespräche vor. Alles organisiert von Sarah Tolan und ihrem Team.
"Wir versuchen mit den Mitteln, die wir haben, den Jugendlichen gerecht zu werden. Wir machen eine Fragebogenaktion, wo wir die Jugendlichen fragen, was sie sich wünschen, oder was ihnen fehlt."
"Was wünschen die sich denn so?"
Computer? Geld? Tolle Kleidung? Nichts dergleichen
"Wir bräuchten mehr Betreuer, weil das Kokma ganz oft geschlossen hat, weil es sind zu wenig Leute."
"Also wir Jugendliche wünschen uns eigentlich, dass wir viel Spaß haben können, und das geschieht dann halt durch Aktionen, dass wir mit den Haus zusammen wegfahren oder einfach mal Heidepark oder sonst welche Vergnügungsparks. Dass wir halt dorthin mit dem Jugendhaus fahren können und was halt wichtig ist zu wissen ist, dass viele sich das, also wenn sie das aus ihrer eigenen Tasche bezahlen würden den ganzen vollen Preis, dass sie sich das halt nicht leisten können."
Es ist also gar nicht so viel, was sie sich wünschen. Ein bisschen Zeit, Aufmerksamkeit, Bildung, eine Chance, mehr nicht.