Sebastian Wellendorf: Welche Gefahren gehen von ganz normalen Kinderfotos aus?
Thomas-Gabriel Rüdiger: Ja, tatsächlich. Neben dieser allgemeinen Frage, die man immer im Blick hat, zum Beispiel Sexualtäter oder Täter, die Kinder entführen wollen und tatsächlich Daten bekommen wollen, muss man sagen, gibt es mehrere Ebenen, die dann noch relevant sind. Eine der grundsätzlichen Fragen ist eigentlich tatsächlich die Geschichte, dass das Kindern vermittelt, dass das sich im Netz präsentieren relativ normal ist, dass das auch eine Vorbildfunktion ist. Denn es wird sehr schwierig, mit ihren Kindern über eine reflektierte Mediennutzung zu sprechen, von deren eigenen Bildern, wenn sie größer sind, wenn sie sehen, wie ihre Eltern die ganze Zeit im Internet gepostet haben. Dann gibt es noch ein Gebiet, was ein Risiko sein könnte: Wir wissen heute noch gar nicht, was man mit Bildern in 20 Jahren anfangen kann. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass wir vielleicht irgendwelche Fingerabdrücke schon sehen können, mit denen sie in 20 Jahren vielleicht irgendwelche Türen öffnen, die man nachbilden kann. Oder eine Iris scannen. Das heißt, das sind alles Ebenen, wo man nicht weiß, wo man eigentlich sagen muss, es ist sinnvoll, seine eigenen Kinder noch nicht im Netz zu präsentieren.
Wellendorf: Schon jetzt gibt es aber anscheinend technische Möglichkeiten, zum Beispiel mit Apps Gesichter im Netz zu finden. Es gibt eine App, die jetzt hier auf den Markt kommen soll, die heißt "Findface", mit der es möglich sein soll, Gesichter im Internet zu suchen.
Rüdiger: Ja, tatsächlich, so was ist nicht unrealistisch. Es gibt auch Morphologie-Technologien, wo sie zum Beispiel eventuell die Gesichter auch schon altern können, der eine oder andere hat das vielleicht selber schon auf seinem Handy. Und das heißt, die Wiederauffindbarkeit von Personen wird natürlich immer stärker. Und das ist tatsächlich was: Je mehr Bilder von einem drinne sind, umso mehr vulnerable Informationen kann man auch über diese Person finden.
"Eltern haben die Oberhoheit"
Wellendorf: Das war meine Frage: Ist es denn jetzt schon möglich, über Gesichter – jetzt zum Beispiel von Kindern im Netz – auf Orte zu schließen, wo diese Kinder zum Beispiel wohnen?
Rüdiger: Sie müssen sich vorstellen, es gibt eine Technologie, das nennt man OSINT, Open-Source-Intelligence, die basiert da drauf, dass man tatsächlich nur Informationen aus den Sozialen Medien, die öffentlich gepostet sind, Bilder, Videos, was auch immer, dass man die nutzen kann, auswerten kann, um zum Beispiel Profile von Personen zu bekommen und Informationen darüber zu bekommen. Denn Sie müssen an eins denken: Es ist ja nicht nur das Bild. Wie Sie es gesagt haben, es kann sein, dass dann Straßennamen dabei sind; es kann sein, dass markante Gebäude zu erkennen sind. Das heißt, es ist tatsächlich so heutzutage schon relativ häufig der Fall, dass man so etwas machen kann. Was vielleicht jeder nachvollziehen kann: Wenn Sie mal eine Google-Bildersuche machen, dann werden ja auch nicht nur hundertprozentig die Treffer rausgeworfen, sondern auch ähnliche Bilder, meistens auch noch von ähnlichen Personen. Das ist heute eigentlich schon relativ normal.
Wellendorf: Wir haben über die Persönlichkeitsrechte der Kinder gesprochen. Aber wenn wir jetzt mal den Fall annehmen, dass es Kinder auch tatsächlich wollen, dass das Bild gepostet wird. Wenn es ein sehr unverfängliches Foto ist, das die Kinder auch schön finden und es schön finden, wenn das andere sehen würden. Das Kinderhilfswerk sagt: Nein, so etwas gar nicht veröffentlichen. Wie sehen Sie das?
Rüdiger: Ich bin jemand, ich bin da sehr strikt, und zwar ich würde sagen, Kinderbilder haben prinzipiell erstmal nichts im digitalen Raum verloren. Ich gehe davon aus, dass bis zu 12, 13 Jahren die Oberhoheit letztendlich bei den Eltern liegen sollte. Und jetzt gibt es aber einen Punkt, der nie so richtig berücksichtigt wird und den ich in Diskussionen auch immer höre, dann heißt es zum Beispiel: Wenn mein Kinder selbst in der Lage sind, das zu beurteilen, dann setze ich keine Bilder mehr rein, wenn sie mir das sagen. Dabei müsste es eigentlich so sein, dass erst, wenn die Kinder in der Lage sind, das zu beurteilen, ob Bilder reingesetzt werden, auch von den Eltern. Und das passiert leider häufig nicht. Da bin ich selber immer ein bisschen verblüfft immer, dass genau dieser Aspekt, zu sagen: Erst wenn meine Kinder das reflektiert selbst nutzen können und ich die darauf vorbereitet habe, erst dann erlaube ich das. Aber nein, das ist nicht der Fall, sondern häufig vorher. Dann würde ich aber tatsächlich sagen, wenn ich denke, sie sind fit und vorbereitet, dann würde ich das durchaus auch erlauben, aber selber mit ihnen reflektiert die Bilder noch besprechen. Das ist ganz wichtig, dass man immer noch reflektiert mit ihnen redet. Nur dafür muss man eines können: Man muss sie selber beherrschen, diese Medienkompetenz. Und das tun viele Erwachsene gegenwärtig nicht.
"Okay in geschlossenen Gruppen"
Wellendorf: Wir haben über das Thema Facebook gesprochen, da sehe ich es ein, weil man da mit einer sehr großen Community teilt. Aber was ist zum Beispiel mit diesen geschlossenen Netzwerken, scheinbar geschlossenen Netzwerken, wie Whatsapp, wo man zum Beispiel mit der Familie Fotos austauscht?
Rüdiger: Das ist ein guter Punkt. Und zwar: Whatsapp ist erstmal ein klassisches Soziales Medium, wenn man ganz ehrlich ist. Auch wenn es ein bisschen mehr Messanger-Stil hat. Aber man muss eines sagen: In einer geschlossenen Familiengruppe ist das für mich vollkommen okay. Aber: So etwas in den Status oder die Profilbilder zu setzen, was die meisten ja machen, auch in meinem eigenen Bekanntenkreis, wenn ich mir da die Whatsapp-Profilbilder anschaue, da sind viele Leute da mit Profilbildern zu sehen. Und das ist genau das Problem, wo man sagen muss: Das geht da auch nicht.
Wellendorf: Ich schlage noch einmal den Bogen zum Anfang unseres Gespräches, da sagten Sie, man sollte aufpassen, weil man ja nicht weiß, wie die technologische Entwicklung in der Zukunft aussieht, ob man möglicherweise Gesichter per Fingerabdruck etc. suchen kann. Bringt es denn was, die Bilder, die man jetzt möglicherweise veröffentlicht, noch mal zu löschen. Oder sind die schon im Netz für immer und ewig?
Rüdiger: Also, eines muss man halt sagen: Wenn es einmal im Netz ist, dann ist das so. Dann wird man das kaum rauskriegen, je nach dem wie schnell es geteilt ist. Das heißt aber nicht, man soll es nicht probieren. Wenn ich es gemacht habe, dann würde ich schon noch einmal probieren, alles Mögliche herauszuholen. Es kann immer passieren, dass es zurückkommt, aber da muss man dann halt sehen, wie man damit umgeht später. Deshalb sage ich nochmal: Besser, es wäre gar nicht erst draußen gewesen. Aber es gibt noch einen Punkt, den man tatsächlich diskutieren muss: Und zwar ist das auch die Rolle der Schulen und der Medien. Wenn Sie mal schauen, wie viele Schulen Kinderbilder oder Gruppenbilder reinsetzen auf die Seiten. Oder beispielsweise auch Medien, die Presseartikel untermalen, indem sie Kinderbilder nutzen, dann ist das auch ein Problem, über das man diskutieren muss. Und das ich persönlich auch für schwierig halte. In Brandenburg, ich muss noch ein bisschen Eigenwerbung machen, haben wir gerade auch ein Projekt gestartet, das heißt "Mein Bild gehört mir". Da geht es darum, dass nicht Eltern den Schulen das Recht abtreten, Kinderbilder zu posten, sondern dass die Schulen, die Eltern, alle Institutionen, den Kindern versichern, dass sie keine Kinderbilder ins Netz stellen werden. Und das halte ich eigentlich für einen sinnvollen Ansatz.
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