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Kinderbuch: "Die Spur des Elefanten"
Geschichten aus fernen Ländern

Nasrin Siege ist nicht nur als Kinderbuch-Autorin in der Welt zuhause. Sie kam mit neun Jahren als Kind iranischer Eltern nach Deutschland, wurde Deutsche und zog später, verheiratet und mit einem Kind, nach Afrika. In ihren Büchern verarbeitet sie auch ihre Reiseerlebnisse – wie beispielsweise im neu erschienenen Buch "Die Spur des Elefanten".

Von Maria Riederer |
    Afrikanischer Elefant im Imfolozi Nationalpark, Südafrika, November 2014
    Afrikanischer Elefant (picture alliance / dpa / Jürgen Hein)
    Sie laufen durchs Dorf, zerren die frische, noch feuchte Wäsche von der Leine und klatschen sie sich genüsslich auf ihre grauen, gewaltigen Rücken. Sie zerstampfen mühselig angebautes Gemüse und Getreide und verwandeln die Wasserstelle der Dorfbewohner in eine trübe Brühe. In dem tansanischen Dorf Ngaranda ist die Spur der Elefanten eine Spur der Zerstörung. Sie sind keine amüsanten oder beeindruckenden Zoobewohner, sondern gefährliche und lästige Mitbewohner in der wenig fruchtbaren Steppe am Rande des Selous-Nationalpark in Tansania. Nasrin Siege kennt diese Welt und erzählt deshalb mehr als nur eine spannende Geschichte. Ihr Held heißt Zawadi. Seine Mutter starb bei der Geburt, der Vater lebt mit seiner neuen Frau und der kleinen Tochter im Nachbarhaus, während Zawadi mit den Großeltern zusammenlebt. Er geht zur Schule, streift in seiner freien Zeit mit seinem Freund Omari durch die Steppe oder verrichtet Arbeiten für seine Großmutter.
    "Das nächste derdrei trichterförmig ausgehobenen Wasserlöcher liegt hinter dem Schulgelände am Dorfrand. Hier trifft Zawadi auf mehrere Frauen und Kinder. Unter ihnen ist auch Mama Hamedi, die auf dem abschüssigen Hang im Inneren des Wasserlochs steht, eine an einem langen Stab befestigte Kalebasse mit Wasser vom Trichterboden füllt und den Inhalt in leere Eimer gießt, die sie am Trichterrand abgestellt hat. In dem Tamarindenbaum in der Nähe des Wasserlochs sitzt eine Familie von Pavianen im dichten Blättergestrüpp und frisst von den Früchten. Sie sind wie wir Menschen, denkt Zawadi. Die Mütter tragen ihre Babys auf dem Rücken oder vor dem Bauch, die älteren Kinder toben und spielen, und die Männer streiten sich manchmal. Das Sagen aber hat der stärkste Affenmann und vor dem haben alle Respekt."
    Nasrin Siege beschreibt Zawadis Leben innerhalb einer Gesellschaft, die geprägt ist von den Mühen des Broterwerbs, von der unvergleichlichen Natur, von traditionellen Hierarchien, den Überresten eines Geisterglaubens und der nahenden Technisierung. Dabei versteht sie es bestens, die für den nord-westlichen Leser so exotische Welt mit der Lebenswirklichkeit ihrer Bewohner zu füllen. So kommt man zum einen in den Genuss, die Streifzüge Zawadis mit seinem Freund Omari durch den Wald mit allen Sinnen miterleben zu dürfen: Zum anderen mutet die Autorin den Lesern auch die harte Realität inmitten dieser exotischen Umgebung vor: Die Dorfbewohner müssen sich das Land mit anderen Interessenten teilen. Vor allem mit den Tieren, aber auch mit gierigen Wilderern. Ein Elefant wird erlegt und Omaris Vater ist plötzlich der Wilderei verdächtig. Die beiden Freunde wollen herausfinden, wie es wirklich war.
    Erzählungen aus einer Welt, die die Autorin gut kennt
    "Mit leisen Schritten laufen beide schweigend einen alten Wildpfad entlang, der, nach dem ausgetrockneten Dung zu urteilen, schon seit längerem nicht mehr von Elefanten benutzt worden ist. Doch diesmal sind es nicht nur die Dickhäuter, vor denen sie sich in Acht nehmen. Überall im dichten Unterholz könnte sich ein Löwe verbergen, der sich hier tagsüber ausruht, um nachts sein Unwesen in den Dörfern zu treiben. Als ihnen an einer Stelle beißender Katzengeruch in die Nase steigt, bleiben sie mit klopfendem Herzen stehen, schauen sich vorsichtig um. 'Leopard' – Omari deutet auf einen Baum, dessen Stamm die typischen Kratzspuren der großen Raubkatze zeigt. Weiter oben, in einer Astgabel, entdecken sie die Reste eines Impalas, das der Leopard hochgezerrt hatte, um seine Beute vor den Hyänen zu schützen. 'Lass uns abhauen', flüstert Zawadi. 'Der schläft bestimmt hier in der Nähe.'"
    "Eine urtümliche Welt, in der eben Telefon und Laptop und Computerspiele und Elektrizität, all das gibt es ja nicht, das ist eine völlig andere Situation - Telefone gibt es inzwischen natürlich, die Mobiltelefone haben sich überall durchgesetzt - aber diese andere Welt, die völlig anders ist als die Welt unserer Kinder hier in den westlichen Kulturen, rüberzubringen und den Kindern in unserer Welt zu zeigen: Diese Kinder im Dorf in Ngaranda, die dann barfuß sich durch den Busch machen und gucken ob sie da die Wilderer finden oder Spuren, die zu den Wilderern führen und die Angst haben und die Sorgen haben oder die sich freuen, die sind genauso wie du in dem Erleben, in den Gefühlen, nur sie leben in einer anderen Welt."
    Man spürt beim Lesen, dass Nasrin Siege diese Welt kennengelernt hat. Ihr Mann arbeitet in einem Projekt gegen die Wilderei, beide leben schon lange in verschiedenen afrikanischen Ländern und kennen Dörfer wie Ngaranga.
    "Ich hab in Sambia mehrere Dörfer auch besucht, und in dem Dorf in 'Spur des Elefanten', da hab ich auch Situationen erlebt, wo die Elefanten wirklich seelenruhig durch das Dorf gelaufen sind - ich beschreib das auch in dem Buch, und die Leute versuchen die dann mit Krach, Blech gegen Blech zu vertreiben. Solche Situationen, die umzusetzen in Worte, sodass jemand anderes das hören und sehen und riechen kann, das ist etwas, was mich dann auch reizt."
    "Alle im Dorf, selbst die kleinen Kinder, beteiligen sich an dem Spektakel. Da werden Topfdeckel geschlagen, wird mit Löffeln auf Wellblechdächer gehauen, mit Blecheimern und Dosen gerasselt. Einige Männer bewaffnen sich mit Stöcken und Buschmessern, zünden Fackeln an und vertreiben so die Elefanten aus ihren Feldern. Erst bei Sonnenaufgang kommen sie alle müde und zerkratzt zurück. Die Bananenplantage von Kassim, Omaris Vater und das Kassava-Feld von Jusufu haben den größten Schaden erlitten. Die Elefanten haben nicht nur die Früchte aufgefressen, sondern auch die jungen Pflanzen ausgerissen und niedergetrampelt."
    Langjährige Erfahrungen in Afrika
    Wie unterschiedlich das Leben von Kindern aussehen kann, weiß die Autorin aus eigener Anschauung. Als Kind kam sie von Teheran nach Norddeutschland. Sie wuchs in Hamburg und Flensburg auf lebt seit 1983 in verschiedenen afrikanischen Ländern, in denen sie sich vor allem für benachteiligte Kinder engagiert.
    "Ich bin 1994 das zweite Mal nach Tansania gekommen und hab dort in einem Straßenkinderprojekt angefangen, ehrenamtlich zu arbeiten. Und in dieser Zeit hab ich ganz viele Geschichten von den Kindern gehört - und auch selbst erlebt, und es kamen so viele Dinge zusammen, manchmal hat das richtig wehgetan, ihnen zuzuhören, und ich hab das Gefühl gehabt, Straßenkinder können kein Buch schreiben."
    Also hat Nasrin Siege sich selbst daran gemacht, die Geschichten der Kinder aufzuschreiben: Sie handeln von Straßenkindern in den Großstädten Tansanias und Madagaskars, von Landkindern aus den afrikanischen Dörfern, und auch von dem Mädchen, das sie selbst war. Im Roman heißt sie "Shirin", zieht von Persien nach Hamburg und erlebt dort, was es heißt, fremd zu sein und dann doch ein Zuhause zu finden.
    "Ich hab mehrere Zuhauses, also ich denk schon, Deutschland ist mein Zuhause, aber ich bin seit 1983 in Afrika mit der Familie und mit meinem Mann, wir wohnen in Äthiopien, meine Kinder sind in Afrika groß geworden und ich hab, denk ich schon, ganz starke Wurzeln auch geschlagen - irgendwo denke ich schon, dass es so ist, wie ich das in meinem Buch Shirin - wo gehöre ich hin - am Ende des Buches da schreibe ich: Wo gehöre ich hin: in die Welt, einfach in die Welt."
    Nasrin Siege: "Die Spur des Elefanten"
    Razamba, 162 Seiten, 12,90 €, ab 10 Jahre