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Kinderbuch
"Mäuse sind eine gute Identifikationsfigur"

Der Schriftsteller Lorenz Pauli und die Illustratorin Kathrin Schärer bilden ein mittlerweile eingespieltes Team beim Verfassen und Illustrieren von Kinder- und Jugendliteratur. Im Deutschlandfunk erzählen sie, dass ihre Arbeiten immer ein Gemeinschaftsprojekt sind. Und warum das Schweizerdeutsch so schön ist.

Lorenz Pauli und Kathrin Schärer im Gespräch mit Ute Wegmann | 28.11.2015
    Ein Kind liegt zwischen vielen Büchern und schaut sich ein Buch an, aufgenommen am 28.01.2015 in Dresden (Sachsen).
    Bilderbücher sind für Kinder wichtig - Lorenz Pauli und Kathrin Schärer arbeiten hier häufig zusammen. (picture alliance/dpa/Thomas Eisenhuth)
    Ute Wegmann: Herausragende Werke der Kinder- und Jugendliteratur kommen aus der Schweiz. Von dem unvergessenen Jürg Schubiger, von Franz Hohler, Hanna Johansen, Hannes Binder und auch von Peter Stamm, um nur einige wenige zu nennen. Zwei Schweizer Künstler sind heute Gast im Büchermarkt. Sie sind zu zweit, weil sie neben Axel Scheffler und Julia Donaldson, neben Ulf Nilsson und Eva Eriksson eins der erfolgreichen Teams der Kinderliteraturszene sind. Der Schriftsteller Lorenz Pauli und die Illustratorin Kathrin Schärer. Allein 14 Geschichten, meist Bilderbücher, habe ich mir für unser Treffen angeschaut. - Lorenz Pauli, wie viele Bücher haben Sie zusammen gemacht?
    Lorenz Pauli: Die erste Frage und ich weiß schon keine Antwort. Ich zähle gar nicht, ungefähr 15 werden es sein
    Kathrin Schärer: 15, 16, so ungefähr.
    Wegmann: Kathrin Schärer, wie kam es zu dem Glücksfall dieser Zusammenarbeit?
    Schärer: Es hat angefangen mit "Giraff unterm Bett", das war ein Liedtext den Lorenz geschrieben hat und ich wollte das illustrieren. Ich glaube, ich habe dich angerufen oder gemailt, ob ich das illustrieren darf. Und das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
    Wegmann: Wie die Bücher gemeinsam entstehen, darüber werden wir heute sprechen. Ein paar Worte zur Biografie der beiden.
    Lorenz Pauli, geboren 1967, hat nach einer Banklehre und langjähriger Arbeit als Kindergärtner im Jahr 2014 ein Leben als freier Schriftsteller begonnen.
    Kathrin Schärer, geboren 1969, studierte Zeichen- und Werklehrerin in Basel. Entschied sich dann für das Illustrieren von Bilderbüchern. Sie hat neben der Zusammenarbeit mit Lorenz Pauli eigene Bücher gestaltet. Das bekannteste sicherlich "Johanna im Zug". Viel gerühmt, viel besprochen. Kathrin Schärer blickt auf eine Werkliste von über 30 Büchern und auf Nominierungen für den Hans-Christian-Andersen Award und den Astrid-Lindgren Memorial Award, die beiden international höchsten Auszeichnungen im Kinder- und Jugendbuchbereich.
    Kathrin Schärer, "Johanna im Zug" aus dem Jahr 2009 war so etwas wie ein Durchbruch. Das Bilderbuch erzählt von der Entstehung einer Geschichte, auf dem Papier. Im Mittelpunkt ein kleines Schwein auf Zugreise, das immer wieder in die Geschichte eingreift. (Fleck woanders/Eisbärkind verirrt).
    Schon das Vorsatzpapier zeigt zum Zeichnen bereite Hände vor einem leeren Blatt, auf einem Tisch mit Zeichen – und Malutensilien, Federn, Stiften, aber auch drei Büchern. Dürrenmatts Erzählungen, Max Frisch: "Biografie, Ein Spiel". Pascal Mercier: "Nachtzug nach Lissabon".
    Welche Bedeutung haben im Kontext des Bilderbuchs die drei Schweizer Werke, die sich alle mit dem Leben, seiner Vorbestimmtheit oder auch Zufälligkeit beschäftigen?
    Inspiration durch bekannte Schweizer Autoren
    Schärer: Das war meine Inspiration. Die drei Werke hab ich unabhängig voneinander viele Jahre vorher gelesen. Vor allem war es Max Frisch: "Biografie, ein Spiel", ein Theaterstück, wo die die Hauptperson viele Stationen des Lebens noch mal neu erleben kann. Sie kann wählen, in diesen Bereich möchte ich noch mal zurück. Und das fand ich einen spannenden Ausgangspunkt, denn das ist ja das, was wir machen als Autorinnen, als Illustratorinnen: Wir sind die Regisseurinnen, wir können unsere Figuren hin- und herschieben, wie wir wollen. Und in Pascal Mercier "Nachtzug nach Lissabon", da gibt es eine Stelle, wo die Hauptfigur das Zugfahren als Metapher vom Leben beschreibt, das hat mir gefallen. Jeder sitzt alleine in seinem Abteil, du weißt nicht genau, wohin die Reise geht. Und diese beiden Geschichten – der Dürrenmatt ist rausgefallen – das hat sich verdichtet in meinem Kopf zu der Johanna-Geschichte. Das Spiel mit Möglichkeiten, was ich machen kann mit einer Figur und das Entwickeln einer Geschichte, also zu zeigen, wie eine Geschichte entsteht.
    Wegmann: Genau! In "Johanna im Zug" greift die Hauptfigur in ihr Leben ein, fordert den Künstler auf, Dinge zu verändern oder rückgängig zu machen, äußert Wünsche, bestimmt selber, wann die Geschichte zu Ende sein soll.
    Zeigt denn das Bilderbuch auch die Geschichte Kathrin Schärers, eventuell auch Lorenz Paulis, wenn er eine Geschichte schreibt, wie man als Künstler die Entstehung einer Geschichte erlebt, nämlich, dass Figuren auf dem Papier in Bild oder Wort lebendig werden und Dinge vorgeben, die man nicht geplant hat?
    Schärer: Also, es zeigt sicher den Arbeitsprozess, der Vorsatz mit dem berühmten leeren Blatt Papier, so fängt es an. Es zeigt das Entwickeln einer Idee, dass die Johanna so selbstständig ist. Und klar sagt, wo sie hingehen will. Ich möchte mit dem eher auch das Scheitern zeigen, dass ich etwas zeichne und dann geht es in eine andere Richtung. Ich glaube, es ist für mich eher das Suchen nach einer Figur, das Suchen nach der richtigen Darstellung. Das wollte ich damit zeigen.
    Pauli: Wenn bei mir eine Geschichte anders ausgeht, als ich sie geplant habe, dann bin ich sehr glücklich, weil ich dann weiß, dass sie wirklich Leben hat. Mir passiert es bei Gedichten öfter. Gedichte zwingen einen zu einer gewissen Form. Und die eröffnet auch neue Wege, die man ursprünglich nicht gesehen hat.
    Wegmann: Lorenz Pauli, auch Sie haben noch unabhängig von Kathrin Schärer eigene Projekte. Liedtexte für den Schweizer Musiker Linard Bardill und vor allem Mundart-Geschichten. "Der Chly Prinz" (Der kleine Prinz von Saint-Exupery) ist von Ihnen in die Berner Mundart übertragen, aber auch das erfolgreiche Bilderbuch von Sam McBratney und Anita Jeram: "Weiß du eigentlich, wie lieb ich dich hab":
    "I ha di weisch wie gärn". Warum ist der Erhalt der Mundart wichtig?
    Pauli: Mundart hat in der Schweiz einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland. In der Schweiz wird Mundart überall gesprochen und SMS werden in Mundart geschrieben. Mundart ist eine Art Identitätsstiftung. Wir definieren uns über unsere Sprache sehr stark in der Schweiz. Nicht immer zum Guten. Ich denke, es ist auch eine Abgrenzung, die unsympathisch sein kann. Mundart macht Dinge möglich, die wir in gutem Deutsch nicht sagen können. Es gibt so unzählige Worte in Schweizerdeutsch im Bereich Liebkosungen beispielsweise, da fehlt uns das Vokabular in gutem Deutsch.
    Wegmann: Hören wir eine kurze Lesung in Berner Mundart. Sie haben uns einen Text mitgebracht.
    Pauli: Vor einigen Jahren habe ich ein Bilderbuch von Erich Kästner ins Berndeutsche übertragen. Die deutsche Version heißt: "Das verhexte Telefon". Oder ein anderer Titel des gleichen Buches: "Arthur mit dem langen Arm". Es ist ein Buch, das meine Mutter schon als Kind besaß, es war mein Lieblingsbuch als Kind. Und so hat es mich gereizt, den Text ins Berndeutsche zu übertragen.
    Pauli: ((Kästner-Lesung in Berner Mundart))
    Wegmann: Lorenz Pauli in Berner Mundart. Das hat er frei rezitiert. Das war ganz wunderbar. Ich habe sogar einige Wörter verstanden: Telefon, hallo, Bürgermeister. Also ich werde mich da hineinarbeiten. Der Schweizer Schriftsteller Lorenz Pauli heute Gast im Büchermarkt, zusammen mit der Illustratorin Kathrin Schärer.
    Kathrin Schärer, die meisten Bilderbücher sind Fabeln. Sie malen sehr naturalistische Tiere, die dennoch viel Menschliches aufweisen, sich in für Kinder nachvollziehbaren Alltagssituationen und –umgebungen befinden. Vier Tiere, ein Wettkampf, vier Mutproben – ein Bilderbuch vom Mut und vom Mut, sich den Mutproben zu widersetzen, davon handelt "mutig, mutig". Miteinander das Schöne des Lebens genießen und die Schwächen des Anderen ausgleichen oder ihm helfen, darum geht es in "ich mit dir, du mit mir".
    Ein Generationenbuch über Hierarchie innerhalb einer Familie und über Bestimmer, das erzählt "Oma-Emma-Mama" anhand eines Versteckspiels von Chamäleons. "Pippilothek??", "Das Beste überhaupt", "nur wir alle", "Da bist du ja!" – alles Titel, die sie gemeinsam entwickelt haben.
    Tiere über Tiere. Hirsch, Bär, Meerschwein, Frosch, Fisch, Schwein, Vogel und so weiter – alle sind vertreten in Nah- und Fernsichten, in Auf- und Untersichten, in Totalen und Großausschnitten. Groß und klein, mal groß mal klein. Aber eine Tierart ist öfter vertreten als alle anderen: die Mäuse. Was verbindet Kathrin Schärer mit den Mäusen?
    Mäuse als gute Identifikationsfiguren
    Schärer: Ich denke, Mäuse sind eine gute Identifikationsfigur für Kinder. Ein kleines Tier, das sich gegenüber einem größeren durchsetzen muss. Man kann sie auf zwei Beinen zeigen, sie agieren ähnlich wie Menschen, haben kleine Händchen. Sind herzig, niedlich mag ich nicht so gerne, den Begriff. Kinder mögen Mäuse. Ich zeichne Mäuse gerne. Man kann auch extrem viele Emotionen mit Mäusen darstellen. Mit Ohren, die sich nach hinten klappen. Mit Schwänzchen, die sich kringeln. Haare sträuben sich. Die ganze Palette an Gestik und Mimik steht mir bei einer Maus zur Verfügung.
    Wegmann: Die Titel der besprochenen Bücher finden Sie im Internet unter www.deutschlandfunk.de, wo Sie die Sendung nachlesen oder nachhören können. Meine Gäste im Büchermarkt heute das Schweizer Erfolgsgespann Lorenz Pauli und Kathrin Schärer.
    Wie läuft der Schaffensprozess zwischen Ihnen beiden ab? Kathrin Schärer, greifen Sie in den Text ein?
    Schärer: Aber sicher. Aber er greift auch in die Bilder ein. Also bei gemeinsamen Projekten machst meistens du den Anfangskick.
    Pauli: Nein! Nein!
    Schärer: Na, nicht immer.
    Pauli: Nein, den eigentlichen Kick, den kriege ich schon von dir. Weil wenn ich mit der Geschichte anfange, wenn ich einen roten Faden zu zupfen versuche, ich sehe immer schon deine Tiere. Und das ist eine so bunte Ausgangslage, da kann oftmals nichts mehr schief gehen, weil ich die Figuren schon habe, die du in anderen Projekten gemacht hast. Also, der Anfang liegt bei dir.
    Schärer: Ich denke, das mit Kick und Spiel, das ist ein wichtiger Punkt zwischen uns beiden. Es ist ein Pingpong, ein Hin- und Her an Ideen. Er kann immer eingreifen bei den Bildern, ich beim Text. Es ist nie eine Angst da, dass man den anderen kränken könnte mit einer Kritik. Und es ist nie am Schluss, wer hat welche Idee gehabt. Es ist wirklich ein gemeinsames Entstehenlassen.
    Wegmann: Sprechen wir über die Illustrationstechniken.
    Wir erkennen einerseits Ihre Technik, bei der Sie das Bild offensichtlich in Tusche und Aquarell vorgestalten und dann später übermalen? Mit Buntstiften?
    Schärer: Mit Farbstiften.
    Wegmann: Aber es gibt noch eine zweite, die Collage. Sie malen die Figuren auf, schneiden sie aus und setzen sie auf Hintergründe?
    Schärer: Auf braunem Papier, das ist eine warme Grundtonfarbe und passt gut zu einem Fell von einem Tier. Man sieht auch das Weiß gut, dann ziehe ich es auf eine hauchdünne Klebefolie, schneide es mit einem Skalpell aus, dann gibt es einen Sticker, das kann ich dann beliebig verschieben. Und so kann ich bis zum Schluss die Bilder verändern, das ist mir wichtig.
    Wegmann: Lorenz Pauli, die Sprache ist Ihr Werkzeug. Aber Sie betrachten Sprache auch als eine Art Spielzeug. Was bedeutet das im Hinblick auf die Entstehung einer Bilderbuchgeschichte?
    Pauli: "Ich bin kein Arbeiter, sondern Spieler"
    Pauli: Also ich bin kein Arbeiter, sondern ein Spieler. Wenn ich hinter eine Geschichte gehe, dann trägt sie mich davon, weil ich mit den Worten spiele wie andere mit Lego. Ich freue mich, wenn mir etwas gelingt, wenn ich Formeln finde für eine Geschichte, für Sätze, die mich auch selbst überraschen.
    Wegmann: Sie beide haben eine Reihe Hefte für das Schweizerische Jugendschriftenwerk gemacht, Erstlesehefte. DIN A5 groß, 32 Seiten, flexibler Einband, hoher Bildanteil, wenig Text. Titel: 10 Wünsche/3 freche Mäuse/Eine schlimme Geschichte.
    Gibt es für solche Hefte, die ja in die Schulen ausgegeben werden, Auflagen vom Auftraggeber, Dinge, die sie nicht dürfen, Dinge, die sie unbedingt machen sollen?
    Pauli: Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir sagen können, was wir nicht wollen. Wir können eigentlich sagen, nein, wir machen keine Auftragsarbeiten, in denen die Moral zu dick aufgetragen werden muss. Da können wir uns wehren.
    Wegmann: Auch "nur wir alle" ist eine Auftragsarbeit des Schweizer Bundesamtes für Sport. Ein Buch über Bewegung.
    Maus, Hirsch, Fisch und Vogel, später noch der Bär, wollen etwas gemeinsam unternehmen, etwas, das mit Bewegung zu tun hat. Die Geschicklichkeitsübungen der Maus auf einem Ast kann der Hirsch nicht machen, er schlägt eine Übung vor, die heißt Trockene-Füße-Behalten. Sie finden zusammen in Leichtigkeit und Spiel. Und jedes Tier wächst über sich hinaus, damit sie zusammen bleiben können.
    Gab es hier nur die Anweisungen, die müssen in Bewegung bleiben?
    Schärer: Das Thema war ja auch Integration, nicht nur Bewegung. Verschiedene Tiere mit unterschiedlichen Fähigkeiten machen etwas zusammen und passen die Übung jeweils an, sodass eben das andere Tier mitmachen kann. Ja, und Bewegung sollte auch dabei sein.
    Wegmann: Lorenz Pauli, würden Sie uns den Anfang lesen, damit wir hören, wie ein solches Bilderbuch beginnt.
    Pauli: ((Lesung aus "nur wir alle"))
    Wegmann: Vielen Dank, Lorenz Pauli.
    Das Heraustreten aus der Geschichte, das Distanz schaffen zum Erzählten, das fällt hier auf. Wenn wir das Buch aufschlagen, dann schaut uns Kathrin Schärers Hirsch an, sehr opulent, sehr gelangweilt. Das ist eine ganz typische Situation, das man angeschaut wird, dass eine Figur heraustritt aus der Geschichte.
    Es gibt ein anderes Buch, wo es vergleichbar ist: "Pass auf mich auf'"- ein Bilderbuch, gerade geshortlistet für den Schweizer Kinder- und Jugendmedienpreis. Es geht um Verantwortung, die ein Junge von einem Erwachsenen einfordert, dabei verlieren sich beide im Spiel, fallen sogar aus dem Buch heraus und freuen sich schließlich auf eine gemeinsame Zeit. Illustriert von Miriam Zedelius, gezeichnet mit Bleistift und Buntstift auf liniertem Papier, mit freigestellten Figuren, kein Hintergrund, es geht sogar bis zur leeren Seite. Dieses Heraustreten aus der Geschichte, das Distanz schaffen zum Erzählten oder vielleicht ist es gar keine Distanz, sondern Nähe zum Leser. Ist das ein literarischer oder ein pädagogischer Trick, um die Kinder in die Geschichte zu ziehen?
    Möglichst viel Nähe herstellen
    Pauli: Ich hoffe, es ist ein pädagogischer. Das war meine Intention, ich wollte möglichst viel Nähe bereits anlegen in der Geschichte, die dann auch übernommen werden kann durch die erzählende Person.
    Wegmann: Kathrin Schärer, es gab eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit mit Franz Hohler. Wunderbare, verrückte, freche reimende Mehrzeiler von Ihnen ins Bild gesetzt in "Es war einmal ein Igel".
    "Es war einmal ein Dachs, der aß am liebsten Lachs,
    doch Lachs gab es fast nie. Da sprach er irgendwie:
    Ists ohne Lachs auch schöner, jetzt aß er nur noch Döner"
    Wir sehen den Dachs mit einem Döner, der auf den Boden tropft. Hier konnten Sie eine ganze Reihe anderer Tiere aufleben lassen, Jetzt gerade zur Weihnachtszeit erschienen: "Die Nacht des Kometen". Ferien in den Bergen, Murmeltiere, Vögel, aber auf dem Titel zwei Kinder auf einem Kamel. Und obwohl es einen Engelchor mit einer Eule, einem Murmeltier und einem Frosch gibt, spielen die Menschen in der Weihnachtsgeschichte eine größere Rolle als die Tiere. Was war anders bei der Gestaltung des Hohler-Buches?
    Schärer: Ja, die Menschen. Die Menschen finde ich schwierig, denn wenn man die Höhe der Augen nur Millimeter verschiebt, dann werden sie zwei, drei Jahre jünger oder älter. Und das durchzuhalten in einem Buch, das finde ich schwierig. Ich habe ganz viele Abfallprodukte produziert. Also nicht nur das Alter, auch dass es gleich ausschaut, finde ich sehr schwierig. Aber Franz Hohler hat ja zum Glück noch Murmeltiere eingebaut für mich, also nicht nur für mich.
    Wegmann: ... und einen Frosch ...
    Schärer: Also ich hatte Spaß.
    Wegmann: Hier haben Sie mit Collagentechnik gearbeitet.
    Schärer: Genau!
    Wegmann: Ein weiteres Buch ist in diesem Herbst erschienen, ein Bilderbuch zum Thema Tod. Eine Fabel, im Reich der Füße. "Der Tod auf dem Apfelbaum". Die Geschichte des alten Fuchses, der noch nicht gehen will, als ihm sein Tod entgegen tritt. Gemalt als Fuchs in einem weißen weichen Kapuzenpelz, der nicht bedrohlich wirkt. Dem Fuchs gelingt es, den Tod noch für eine Zeit im Apfelbaum festzuhalten, aber dann merkt er, dass seine Zeit gekommen ist. Er nimmt Abschied, gibt sich dem Tod hin. Wie kamen Sie auf die Idee, den Tod in einen weißen Kapuzenmantel zu stecken?
    Lange Suche nach der Darstellung des Todes
    Schärer: Das war eine sehr lange Suche. Das ist oft bei mir so. Zuerst habe ich in der Kunstgeschichte geschaut, wie der Tod da dargestellt ist. Meistens als Skelett. Dann hab ich mir Bilderbücher angeschaut, wie die Kolleginnen und Kollegen das machen: auch als Skelett. Viele malen ein menschliches Skelett, wie Erlbruch bei "Ente, Tod und Tulpe", bekleiden es, um einen universellen Tod zu zeigen. Ich wollte aber einen persönlichen Tod vom Fuchs zeigen, damit sich das Kind, wenn es möchte, distanzieren kann vom Buch und sagen kann: Das ist der Tod vom Fuchs. Dann habe ich ihn mit einem Mantel gezeichnet. Mit einem schwarzen zuerst, das hat bedrohlich gewirkt. Dann mit einem weißen, das sah aus wie ein Arzt, wollte ich nicht. Dann bin ich auf die Strampelhose gekommen, weil das etwas Kindliches hat. Dann hatte ich Strampelhose mit Fuchsskelett innen, das hat auch bedrohlich gewirkt. Die Augenhöhlen, das ging gar nicht, der musste gucken können, damit er mit dem Fuchs agieren konnte. Sehr lange Zeit hat es gedauert, bis ich darauf gekommen bin, ihn heller zu zeichnen, mit der Strampelhose. Und nachträglich, das leicht transparent zu stellen, damit der Tod eine andere Dimension bekommt. Dass ich die beiden Wesensarten zeigen kann: der Fuchs auf der einen Seite, der Tod auf der anderen.
    Wegmann: Das ist sehr schön, wie sie die Beziehung darstellen. Auf dem Titel sieht man noch, wie sich der Fuchs abwendet, dem eigenen Tod den Rücken zudreht. Wenn er sich dann hingibt, sieht man sie beide in einer Art inniger Umarmung. Sie stehen hintereinander, haben die Augen geschlossen. Und es hat gar nichts Bedrohliches.
    Schärer: Das freut mich. Es war mir wichtig, dass ein Kind, obwohl es ein belastendes Thema ist, das Buch trotzdem gerne anschaut. Vor allem, dass es Fragen stellen kann mittels des Buches.
    Wegmann: "Eine Geschichte ist nur dann eine gute Geschichte, wenn sie auch nach dem letzten Wort weitergeht: in unserem Kopf!" – das sagt Lorenz Pauli. Was ist das Rezept, um das zu erreichen?
    Pauli: Man muss früh genug aufhören. Ich denke, viele tun sich schwer damit, einen Schluss für ihre Geschichte zu finden. Das ist wirklich zentral und sehr schwierig. Man darf nie Zuhörer und Zuhörerin vergessen und muss ihnen Autonomie gewähren, selber weiterzudenken. Wenn ich eine Geschichte schreibe, die am Ende zu ist wie eine Konservendose, dann taugt sie nichts, weil sie nichts mehr bewegt, nichts mehr auslöst im Kind.
    Wegmann: Never change a winning team! – So heißt es im Sport, warum nicht auch in der Literatur? Ich wünsche Ihnen noch viele gute gemeinsame Projekte. Das war der Büchermarkt mit dem Schriftsteller Lorenz Pauli und der Illustratorin Kathrin Schärer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Buchinfos:

    Kathrin Schärer: Johanna im Zug, 32 Seiten, atlantis
    Kathrin Schärer: Der Tod auf dem Apfelbaum, 32 Seiten, atlantis
    Franz Hohler/Kathrin Schärer: Es war einmal ein Igel. Kinderverse, 60 Seiten, Hanser
    Franz Hohler/Kathrin Schärer: Die Nacht des Kometen, 128 Seiten, Hanser
    Lorenz Pauli/Kathrin Schärer: mutig, mutig, 32 Seiten, atlantis
    Lorenz Pauli/Kathrin Schärer: ich mit dir, du mit mir, 32 Seiten, atlantis
    Lorenz Pauli/Kathrin Schärer: Oma-Emma-Mama, 32 Seiten, atlantis
    Lorenz Pauli/Kathrin Schärer: Pippilothek??? Eine Bibliothek wirkt Wunder, 24 Seiten, atlantis
    Lorenz Pauli/Kathrin Schärer: nur wir alle, 32 Seiten, atlantis
    Lorenz Pauli/Kathrin Schärer: Das Beste überhaupt, 32 Seiten, atlantis
    Lorenz Pauli/Kathrin Schärer: Da bist du ja! Die Liebe, der Anfang, allüberall, 32 Seiten, atlantis
    Lorenz Pauli/Miriam Zedelius: Pass auf mich auf!, 32 Seiten, altlantis
    Lorenz Pauli/Suse Schweizer: Leo, Dünen, Strand und mehr, 32 Seiten, atlantis
    Lorenz/Schärer: 10 Wünsche/Eine schlimme Geschichte/Freche Mäuse/Lulu zaubert/Goldfreunde/Wanda will weg/ - alle 32 Seiten, Schweizerisches Jugendschriftenwerk