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Kinderbuchillustratorin Ulrike Möltgen
"Das Wesentliche muss rüberkommen"

Die Wuppertaler Künstlerin und Kinderbuchillustratorin Ulrike Möltgen hat lange gebraucht, um gestalterisch aus dem Schatten ihres Lehrers Wolf Erlbruch zu treten. Inzwischen zählt sie selbst zu den rennomiertesten Künstlerinnen auf ihrem Feld. Im Dlf spricht sie über ihren Werdegang und ihre ästhetische Philosophie.

Ulrike Möltgen im Gespräch mit Ute Wegmann |
    An der Decke über dem Stand der Kooperation Kinder- und Jugendbuch des Deutschen Taschenbuch Verlages (dtv) hängen am 14.03.2014 auf der Leipziger Buchmesse in Leipzig (Sachsen) Bücher an Fäden.
    Produktive Schaffenskraft: Allein in diesem Herbst erscheinen vier Bücher mit Illustrationen von Ulrike Möltgen (hier nicht abgebildet) (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
    Ute Wegmann: Willkommen im Büchermarkt, mit Ute Wegmann und einer Künstlerin aus Wuppertal. Und somit verwundert es nicht, dass sie eine Erlbruch-Schülerin war. Ulrike Möltgen, geboren 1973 in Wuppertal, studierte Kommunikationsdesign an der Gesamthochschule, realisierte über 50 Bilderbücher und lebt immer noch in der Stadt, in der alles anfing. Wuppertal scheint ein inspirierender Ort für künstlerische Betätigung zu sein. Ist das so?
    Ulrike Möltgen: Ja, für mich ist es meine Heimat. Ich kenne viele in meinem Alter, die unter Heimatlosigkeit leiden und viel über Heimat nachdenken, aber damit muss ich mich gar nicht beschäftigen, weil ich einfach da wohne, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Ich weiß nicht, ob es inspirierend ist, es ist erst einmal beruhigend. Und die Inspiration finde ich dann woanders, in Texten und Bildern.
    Die Entstehung des "Mondbären"
    Wegmann: Im Jahr 1993 begann Ihre Zusammenarbeit mit dem Kinderbuchautor Rolf Fänger, der mit Ihnen zusammen die Geschichte "Der Mondbär" entwickelte. Eine Buchreihe, eine 52-teilige Fernsehserie, aus der ein Kinofilm entstand. Rolf Fänger arbeitete lange Jahre für den WDR. Für die Sendung mit der Maus gestaltete er Bilderbuchgeschichten. Er starb im Jahr 2009 im Alter von 59 Jahren. Was war das Besondere an der Zusammenarbeit mit Rolf Fänger?
    Möltgen: Ich hab ihn kennen gelernt, als ich gerade mit dem Studium anfing. Ich suchte noch einen Nebenjob und hab mich mit einer Mappe vorgestellt, aber das war für ein Trickfilmstudio. Und ich hab mich erst abgemüht, Trickfilmfiguren zu animieren, aber dafür war ich nicht geeignet, weil man dafür sehr gründlich und fast mathematisch denken muss. Irgendwann kam eine Anfrage von Coppenrath, ob er ein Buch machen wollte, da habe ich mitgemacht und das lief direkt gut. So fing die Zusammenarbeit an. Das Besondere, ja, ich war sehr jung, er war schon älter. Wir waren dann auch ein Paar, waren sehr eng zusammen, haben sehr zusammen gearbeitet, bei den ersten Büchern haben wir beide gezeichnet und geschrieben, später hab ich nur noch gemalt, also es war fast symbiotisch, würde ich sagen. 17 Jahre waren wir zusammen, haben einen gemeinsamen Sohn und dann ist er ja leider gestorben.
    Wegmann: Es gibt Fotos von ihnen, wo sie am Frühstückstisch zusammen sitzen und zeichnen. Es war eigentlich immer Arbeit.
    Möltgen: Ja, das war ganz normal, wenn wir im Café saßen, holte er sein Skizzenbuch raus und fragte mich: Stell dir vor, der und der kommt dahin, was machen die denn da. Inhaltlich waren wir sehr eng und visuell auch. Es war eine ganz, ganz enge Verbindung. Wir haben viel gemacht zusammen.
    Lehrjahre bei Wolf Erlbruch
    Wegmann: Sie begannen dann in den 90er Jahren Ihr Studium bei Wolf Erlbruch. Wolf Erlbruch, ein großer Künstler, ein großer Illustrator, der gerade in Stockholm mit dem Astrid Lindgren Memorial Award ausgezeichnet wurde, eine der beiden höchsten Ehrungen, die einem Künstler im Kinderbuch zuteil werden kann. Was zeichnet Erlbruch als Lehrer aus?
    Möltgen: Ja, der ist natürlich sehr anspruchsvoll und auch streng. Am Anfang hätte ich beinah das Handtuch geschmissen. Ich weiß noch, ich hab dann immer gezeichnet, und wollte auch dass die Zeichnung gut aussieht und nicht nur dem Bild dient. Und da hat er mir gleich einen Strich durch die Rechnung gemacht und meinte: Ja, ja, Hauptsache, es sieht gut aus – du sollst hier nicht zeigen, was du kannst. Das waren Sätze, da war ich zuerst verzweifelt und entmutigt, aber ich wollte bei ihm weitermachen, ich habe gespürt, dass ein großes Potenzial für mich da ist und ich bei ihm viel lernen kann. Und so war es ja dann auch.
    Wegmann: Was haben Sie genau von ihm gelernt?
    Möltgen: Vor allem, dass man sich nicht so leicht zufrieden gibt mit einer Zeichnung, vor allem in Bezug darauf, dass man nicht denkt: Das Bild wird es schon machen. Also man zeichnet eine Zeichnung, und die muss dann schon in sich stimmig sein. Man kann sich nicht auf das Bild verlassen, auf das, was hinterher dazukommt, Farben und alles mögliche, sondern die Zeichnung muss schon stimmen. Er hat mir auch beigebracht, dass es erst gut ist, wenn ich selbst wirklich zufrieden bin. Nicht wenn jemand sagt, das sieht doch schon gut aus, sondern wenn ich es selber danke: Das ist gut! Und das ist ein hoher Anspruch. Ich jedenfalls bin nicht schnell zufrieden, damit hat er mich auch gepackt.
    Wegmann: Die Collage, das Arbeiten mit verschiedenen Materialien, mit alten Papieren haben Sie noch weiter getrieben: In den letzten Jahren haben sie farbintensive Bildkompositionen geschaffen, indem sie Papiere, Tuch, Fäden, Pappen in das Bild hineingearbeitet haben. Ich denke an Bücher wie: "Die Weihnachtsgeschichte", "Vom Anfang der Welt", "Die Entstehung der Gürteltiere", "Karneval der Tiere", "Bei drei auf den Bäumen". Gibt es zu Beginn einen Materialienplan oder sitzen Sie zwischen allem, was gerade auf dem Tisch liegt, und fangen an?
    Kreationen aus der Mitte des Chaos
    Möltgen: Auf dem Tisch liegt auch was, aber das Meiste liegt auf dem Boden. Das ist natürlich das Problem, ich muss mich in dem Material befinden, um auf Ideen zu kommen. Ich hab natürlich eine Vorstellung, wie das neue Buch sein könnte. Und das wird meistens nicht so, wie das letzte war. Und dann sehe ich das ganze Material um mich herum. Es ist nach einem abgeschlossenen Buchprojekt auch besonders anstrengend, die kleinen Schnipsel alle wieder zu sortieren. Ich hab eine schwarz-graue Ecke, dann folgt die Blau bis Grün- Ecke, unten liegen die großen Papiere und oben die ganz kleinen. Das ist auch nicht so eine tolle Aufgabe, das alles wieder zu sortieren. Und dann sitze in der Mitte von diesem Chaos und lasse mich inspirieren von Resten und leg dann eine Farbfamilie fest.
    Wegmann: Sie haben einmal gesagt, Sie arbeiten nicht am Computer, weil es dort keinen Zufall gibt. Nun würde Ihnen unter Umständen ein großer Künstler widersprechen. Gerhard Richter, für den der Computer durch einen Zufallsgenerator in der Farbkomposition des Domfensters, aber auch bei dem Werk "4.900 Farben" aus dem Jahr 2007 eine große Rolle spielte. Der numerische Zufall ist bei Richter sozusagen der befragte Partner. Was bedeutet Ihnen der Zufall?
    Möltgen: Es hat vor allem eine haptische Komponente, beim Wühlen, worauf stoße ich, was hat eine komische Form. Die Schnipsel, die ich habe, haben erst einmal eine Form. Manchmal ergibt sich durch die Form, dass ich denke: Das ist eine Katze. Oder ich will eine Katze machen, und überlege, wie mache ich daraus eine Katze.
    Wegmann: Wie strukturieren Sie eine Doppelseite? Und wird zuerst geklebt und dann gemalt oder geht alles seinen Weg?
    "Es ist wie Schachspielen gegen sich selbst"
    Möltgen: Erst überleg ich lange, wie das ganze aussehen könnte. Dann mache ich ein sorgfältiges Storyboard, weil ich das von Erlbruch gelernt habe: Ein Storyboard muss von vorne bis hinten stimmig sein. Die Doppelseite überleg ich im Kopf, hab meinen Plan, das Material hat meistens aber einen eigenen Plan. Das ist wie gegen sich selber Schachspielen, aber es ist ein freundliches Schachspiel, also ich lass den Gegner unter Umständen auch gewinnen. Das ist sehr produktiv und kreativ, also der Prozess ist dann sehr spannend.
    Wegmann: Und das Storyboard ist mit Bleistift gescribbelt?
    Möltgen: Genau. Möglichst ganz sorgfältig gezeichnet. Das Wesentliche muss rüberkommen.
    Wegmann: "Bei drei auf den Bäumen", Text von Saskia Hula, ist die Geschichte vom kleinen Stachelschwein, das sich vermutlich aus Unwissenheit dem Bestimmer-Tiger wiedersetzt, der jeden Tag die Tiere im Dschungel tyrannisiert. Kennt man Ihre Bücher, so erkennt man wiederkehrende Tiere: Affen, Papageien, zum Beispiel, aber auch wenn die Tiere Ähnlichkeiten zu anderen Büchern aufweisen, müssen Sie doch letztlich immer alles neu entwickeln. Gibt es dennoch so ein Zurückgreifen auf Bewährtes: Also der Affe aus einem bestimmten Papier sah gut aus, den mach ich so noch mal? Oder ist es Ihr Anspruch immer etwas Neues zu schaffen?
    "Ich denk bei jedem Projekt neu"
    Möltgen: Es ergibt sich schon mal aus der Situation, dass ich das Papier für den Elefanten nicht mehr habe. Das war mal ein Linolschnitt, den haben Schüler in den Müll geworfen. Ich denk aber auch nicht an die alten Bücher, an die Dinge, die mal funktioniert haben. Ich denk bei jedem Projekt neu.
    Wegmann: "Die Weihnachtsgeschichte", Text Tanja Jeschke und die Schöpfungsgeschichte "Vom Anfang der Welt" von Rolf Fänger sind christlich-religiöse Geschichten. Vor allem Fängers Geschichte postuliert einen wissenden und lenkenden Gott. Da heißt es zum Schluss: "Seit dieser Zeit wissen die Menschen, dass alles, was es gibt, von Gott kommt, dass da nichts ist ohne ihn. Sie wissen auch, dass sie sich entscheiden müssen. Für das Gute in der Welt. Und dann, wer weiß, können sie vielleicht sogar zurück ins Paradies und wieder eins werden mit dieser Welt und mit sich selbst." Das ist ein kühner Schluss. Auch aus theologischer Sicht. Woran glaubt denn Ulrike Möltgen?
    Möltgen: Ja, das ist schwierig. Ich hab zu Religion ein merkwürdiges Verhältnis. Ich mag zum Beispiel die katholische Kirche, frag mich aber, ob nur aus ästhetischen Gründen. Ich sitz da gern. Ich sitz auch gern in der Messe. Ich mag die Symmetrie, die Ruhe, die Farben und die Kühle, aber es ist doch auch mehr als das. Ich würde nicht sagen, dass ich nicht glaube, aber ich kann auch nicht bestätigen, dass ich glaube. Ich würde gerne glauben, weil ich weiß, wenn man glaubt, dass man dann ziemlich glücklich ist. Deswegen versuche ich auch, meinem Sohn zu sagen, dass es wahrscheinlich einen Gott gibt, damit er glücklich ist.
    Schöpfung eines farbenprächtigen Paradieses
    Wegmann: Ob man glücklicher ist, ist die Frage: Sie haben die Schöpfungsgeschichte jedenfalls wundervoll entwickelt aus Grau und Schwarzweißtönen heraus zu einem farbprächtigen Paradies. In "Der Weihnachtsgeschichte" arbeiten Sie mit Vignetten, die aussehen wie zarte rote Scherenschnitte und die auf zurückgenommene Weise die Geschichte ergänzen. Das ist sehr wundervoll. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
    Möltgen: Ich hab erst einmal nur meine voluminösen Collagen im Auge gehabt, und dann dachte ich, dem muss ich etwas Schlichtes entgegen setzen. Da hatte ich rotes, dünnes Buntpapier daliegen, das liegt dann da eben, und dann habe ich es benutzt – und es war passend.
    Wegmann: Gerade zweimal auf der Bestenliste des Deutschlandfunks, auf den Bestenliste war, das Bilderbuch "Wolfsbrot", mit einem Text von Kilian Leypold. Wir haben ausführlich darüber gesprochen in der Juni und in der Juli-Sendung. Es ist die Erinnerung an einen Nachkriegswinter, ein kleiner Junge muss alleine den Schulweg vor der morgendlichen Dämmerung durch den Wald antreten. Seine Verpflegung für den Tag: Ein Wurstbrot. Da stellt sich ihm ein bewaffneter Soldat in den Weg "Wurst oder Leben", und obwohl das nur ein halber Scherz war, gibt der Junge das halbe Brot ab. Wenig später bedroht ihn ein Wolf. Wieder rettet ihn das Brot. Mit Leinenkante und bronzefarbenem Titelschriftzug kommt das Buch sehr hochwertig daher. Aber auch sehr dunkel. Nicht verwunderlich, denn es geht um kindliche Angst. Wie haben Sie sich dem Thema angenähert?
    Die Gedanken in einem sehr dunklen, verwirrenden Raum
    Möltgen: Zuerst hat mein Sohn mir die Geschichte vorgelesen, das mag ich immer besonders gern, dann krieg ich direkt einen Eindruck, wie das Ganze laufen könnte. Ich hab mich dann in meinen Gedanken in einem sehr dunklen, verwirrenden Raum wiedergefunden, den ich auch wiedergeben wollte. Ich wusste noch nicht wie. Aber die Angst des Kindes führt ja auch zu einer Abstraktion des Wahrgenommenen, und ich glaube, das wollte ich zeigen.
    Wegmann: Stellen sich beim Hören schon die ersten Bilder ein?
    Möltgen: Ja, ja, die ändern sich zwar noch ein bisschen, aber Manches ist dann schon da.
    Wegmann: Der Herbst bringt jede Menge Möltgen-Bücher: "Der Bär mit dem roten Kopf", "Ich", "Bluma und das Gummischlangengeheimnis", "Der kleine Häwelmann". Vier Bücher, vier Verlage. Produktionsschub oder Erscheinungszufall?
    Möltgen: Auf jeden Fall beides. Sie haben alle unterschiedlich lange gebraucht in der Produktion, aber der Bär war schon länger fertig. "Ich", dieses Jugendbuch, habe ich unheimlich schnell realisiert. Das war wie ein wilder Ritt, das hängt vielleicht auch mit dem Alter der Zielgruppe zusammen, das ist für 13-14-Jährige. Das hat zwei Wochen gedauert, das zu machen. "Der kleine Häwelmann" bei Insel hat drei, vier Monate gedauert.
    Wegmann: "Ich", ein Jugendroman über eine Identitätssuche, geschrieben von der großartigen Österreicherin Sarah Michaela Orlovsky. Von Ihnen stammt das Cover und es gibt Innenillustrationen. Das Cover zeigt in schwarz-weiß-grau-Tönen in Tusche und Aquarellfarben ein unglaublich ausdrucksstarkes junges Mädchen, Nono, 15 Jahre alt. Wovon handelt die Geschichte?
    "Stil ist nicht das Allerwichtigste im Leben"
    Möltgen: Nono ist auf der Suche nach einem eigenen Stil. Sie probiert Verschiedenes aus und kommt zu der Erkenntnis, dass Stil nicht das Allerwichtigste ist im Leben.
    Wegmann: Es gibt noch einen zweiten Roman, den Sie bebildert haben: Auch bei "Bluma und das Gummischlangegeheimnis", ein Kinderroman, bei beiden haben Sie nicht collagiert, sondern arbeiten mit Tusche und Buntstift. Haben sowohl für den Kinderroman als auch für den Jugendroman zwei bezaubernde Mädchenfiguren geschaffen. Warum haben Sie nicht collagiert?
    Möltgen: Wenn ich gerade ein Buch mit komplexen Collagen gemacht habe, dann hab ich keine Lust mehr auf Collage. Ich hab fünf Jahre lang mit Tusche jeden Abend um zehn Uhr ein Bild gemalt. Egal, wo ich war. Da hab ich gedacht, das war ein schönes Arbeiten, ist aber schon länger her und ich möchte mal wieder zur Tusche greifen. Deshalb hab ich Tusche genommen.
    Wegmann: Wie schwer ist es, sich von einem großen Meister wie Wolf Erlbruch zu befreien? Oder: Will man es überhaupt?
    Möltgen: Das will man auf jeden Fall. Spätestens wenn man den ersten Auftrag hat und herumzeichnet und herumprobiert und denkt, jetzt ist es gut und dann feststellt – 21, 22, es ist Erlbruch. Dann ist man verzweifelt. Natürlich ist das toll, aber man kann das ja nicht einfach kopieren. Es hat lange gedauert, etwas Eigenes zu finden, was dennoch Bezug nimmt, es hat lange gedauert, sich von Erlbruch zu lösen. Aber ich hab ihn immer noch auf der Schulter sitzen. Mit seinen Sätzen.
    Wegmann: Mit den strengen Sätzen.
    Möltgen: Ja. Genau!
    Dazugehören und Anderssein als künstlerische Leitmotive
    Wegmann: In "Milli Hasenfuss", mit einem Text von Michael Stavaric, geht es um das Anderssein und Selbstakzeptanz. Der weiße Hase ist ein Außenseiter unter den schwarzen und sucht seinen Platz. Einen Platz sich zu verstecken, aus Angst vor Feinden. Aber plötzlich gibt es auch die Angst vor Freunden. "Der Bär mit dem roten Kopf", ist ebenfalls eine Zusammenarbeit mit Michael Stavaric. Auch das eine Geschichte über das Dazugehören oder das Anderssein.
    Es gibt so viele Rottöne, bemängelt der kleine Bär, sogar fuchsrot, aber kein Bärenrot. Der Bär mit dem rosaroten Kopf ist traurig und sucht den Ort, wo es das Rot geben könnte. Da begegnet ihm eine Bärin mit grünem Kopf, sie sucht das Bärengrün. Es ist dann Liebe auf den ersten Blick. Rosa und Grün ergibt in der Farbmischung braun, so sehen nun ihre Kinder aus. Ein niedlicher Protagonist und eine Vielzahl wirklich schönster Rottöne. Gibt es so etwas wie eine Seelenverwandtschaft zwischen Autor und Künstler und das erleichtert die Interpretation der Texte?
    Möltgen: Ja, bei den beiden Büchern, ist die Idee von mir. Wenn ich einen Text schreibe, ist das nur eine Bildunterschrift und keine Geschichte. Und Michael Stavaric war glücklicherweise bereit und in der Lage, daraus eine Geschichte zu machen. Darüber bin ich total froh, sonst hätte es nicht realisiert werden können.
    Wegmann: Da verwundert die Parallele zwischen den Geschichten nicht. Ist das Ihr Thema, Anderssein, Dazugehören, Akzeptanz in der Gruppe?
    Möltgen: Tja, das kann natürlich sein. Übrigens, darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht, aber es ist wohl möglich.
    "Vor allen Dingen sehr viel Liebe"
    Wegmann: "Junge, sagte der gute alte Mond, hast du noch nicht genug." Wer kennt sie nicht, die Geschichte "Der kleine Häwelmann". Zum 200. Geburtstag von Theodor Storm erscheint sie nun in der Insel Bücherei Mitte September. Die Aufsässigkeit und Energie des blonden Jungen, die erschöpfte Mutter, ein besorgter Mond, eine sehr schwarze Katze und viele purzelnde Sterne. Bis der Mond genug hat, nicht mehr leuchtet und der kleine Häwelmann von der Sonne ins Wasser geschubst wird. Die Illustrationen sind hinreißend: Viel Tuch, viel Wasser, viel Wind, viel Übermut, aber vor allen Dingen sehr viel Liebe.
    Möltgen: Hm, ja, schon. Das ist mit sehr viel Liebe gemacht. Wenn man einen kleinen Jungen hatte, weiß man um die Leiden der Mutter und vielleicht auch um die des Mondes, der auch überfordert ist. Man liebt den Jungen ja auch. Es war unheimlich viel Arbeit mit dem Tuch, weil es transparent ist und man es nicht komplett festkleben konnte. Aber es tut dem Buch gut.
    Wegmann: Es ist Ihnen gelungen, etwas sehr Modernes in diese klassische Geschichte zu bringen, wenn ich an die Mutter denke, eine erschöpfte Mutter, eine moderne junge Mutter. Wie viel Eigenes fließt dabei ein?
    Möltgen: Also das ist wirklich nicht bewusst. Möglichst nicht so viel. Die Gesichtsausdrücke von kleinen Kindern, die was wollen, hab ich vielleicht noch von meinem Sohn noch im Kopf.
    Wegmann: Zum Schluss noch mal Gerhard Richter über das Sehen: "Es geht doch immer nur um das Sehen ...Malen kann man alles. Sehen, ob das, was man treibt, gut ist oder nicht, ist schwieriger. Aber es ist das einzig Wichtige. ... Das Sehen ist ja auch der entscheidende Akt, der letztlich den Produzenten und den Betrachter gleichstellt." Haben Sie eine kritische Distanz zu Ihren Arbeiten?
    Kritische Distanz und Selbstreflexion
    Möltgen: Möglichst! Das ist manchmal schwer zu erreichen. Oft dreh ich das Bild um. Und ich arbeite ja auch auf dem Boden, um immer wieder Distanz zu bekommen. Das ist übrigens sehr anstrengend für den Rücken. Man arbeitet wie ein Fliesenleger. Aber dadurch kann man immer wieder aufstehen und räumliche Distanz schaffen, oder das Bild herumdrehen, oder im Spiegel betrachten oder länger nicht draufgucken. Möglichst mit den Augen schauen von jemandem, der das Bild noch nicht gesehen hat. Das versuche ich auch. Das ist wichtig.
    Wegmann: Welcher Effekt stellt sich ein, wenn man das Bild herumdreht oder im Spiegel betrachtet?
    Möltgen: Man kann dann sehen, ob das Wesentliche stimmt. Man verliert sich nicht in Dingen, die man ohnehin betrachten wollte. Also rechts oben ist eine schwierige Ecke, unten links ist es schön. Man belügt sich ja auch gerne selbst. Wenn man es umdreht oder im Spiegel sieht man es mit anderen Augen und das ist gut.
    Wegmann: Das war der Büchermarkt mit der Künstlerin Ulrike Möltgen. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
    Silke Schlichtmann: Bluma und das Gummischlangengeheimnis, 176 Seiten, Hanser Verlag € 12,00

    Kilian Leypold:
    Wolfsbrot, 32 Seiten, Kunstanstifter Verlag, € 24,00

    Saskia Hula:
    Bei 3 auf den Bäumen, 32 Seiten, Sauerländer Verlag, € 14,90

    Tanja Jeschke:
    Die Weihnachtsgeschichte, 32 Seiten, Sauerländer Verlag , € 14,99

    Rolf Fänger:
    Vom Anfang der Welt, 32 Seiten, Sauerländer Verlag, € 14,95

    Michael Stavaric:
    Der Bär mit dem roten Kopf, 28 Seiten, Aracari Verlag, € 14,90

    Michael Stavaric:
    Milli Hasenfuss, 24 Seiten, Kunstanstifter Verlag, € 19,80

    Sarah Michaela Orlovsky:
    ich#wasimmerdasauchheißenmag, 160 Seiten, Tyrolia Verlag, € 15,95

    Theodor Storm:
    Der kleine Häwelmann, 48 Seiten, Insel Verlag, € 13,00