Alles beginnt mit einem Koffer. Einem alten Reisekoffer aus Büffelleder mit Riemen zum Verschließen. Den finden Mia und Lucas im Schlafzimmer ihres Großvaters, den sie zum ersten Mal in Chicago besuchen. Dort lebt er in einem Wolkenkratzer mit Seeblick. Opas Wohnung ist super modern und super cool, finden die beiden: große Fenster bis zum Boden, Fußböden aus schwarzem Linoleum, weiße Wände, weiße Sessel, schwarze Schränke, weiße Porzellanvasen. Und mitten drin dieser mysteriöse Koffer.
"Vor allem Mia ist viel zu neugierig, um nicht hineinzuschauen. Sie klappen den Koffer auf und finden auf der Innenseite einen halb abgerissenen Werbeaufkleber mit alter Schrift 'Frankfurter Hof – immer eine gute Adresse'. Die Kinder kommen sich vor, als hätten sie einen Schatz gefunden! Schwarz-Weiß-Postkarten liegen darin, ein alter Lichtschalter, ein Päckchen Reisnudeln, ein verrostetes Ventil, eine Uhr, eine knallrote Krawatte, ein Pelz-Muff mit Mottenkugeln, mehrere Tapetenmuster und Holzstückchen, ein Zigarrenstummel. Was hat das nur alles zu bedeuten?"
Was eine Gasrohrmuffe ist
Opa Ludwig lüftet das Geheimnis – der Koffer ist das Vermächtnis seines Vaters: Josef Rosenstein, genannt Joschi. Mithilfe der kleinen Schätze im Koffer lässt er ihn wieder lebendig werden. Er entführt Mia und Lucas in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts, als ihr Urgroßvater Joschi die Zementfabrik seiner Eltern übernahm und von nun an die Architekten des Bauhauses beriet und mit Baumaterialien versorgte. Die Kinder lauschen den Erzählungen des Großvaters, lernen so einiges über die eigene Familiengeschichte, außerdem auch, was eine Gasrohrmuffe ist und warum die Frankfurter Küche so praktisch war. Und sie erfahren eine ganze Menge über die Bauhaus-Meister und ihre Ideen:
"Dann erzählt ihr Vater von Hannes Meyer, dem zweiten Bauhausdirektor, der so bauen wollte, dass sich die Menschen in ihren Wohnungen wohlfühlen, auch wenn sie nur wenig Geld hatten. Freundlich und gesund und arbeitssparend. Keine Luxusappartements, sondern wirkliche Volkswohnungen. Mit schönen, preiswerten Möbeln. Naja, in einer Volkswohnung wohnen sie zu Hause in Frankfurt nun nicht gerade, denkt Mia, aber ihr gefallen die einfachen Möbel von diesem Hannes Meyer: Ein ganz einfacher brauner Tisch und dazu ein brauner Hocker, der mit grauem Stoff bezogen ist. Chic. Ihr Vater hat das iPad herausgeholt und zeigt seinen Kindern, wie Meyer sich die Einrichtung seiner Wohnungen vorgestellt hat. 'Das sieht ja aus wie bei IKEA', lacht Lucas und erntet ein Nicken des Vaters: 'Ja, wenn man so will, waren das frühe IKEA-Möbel, eben Sachen für jedermann.'"
"Alles Bauhaus? Eine fantastische Zeitreise mit Mia und Lucas" heißt dieses Buch für Kinder ab 10 Jahren, das im September im Hanser-Verlag erscheint. Empfehlenswert auch wegen der Illustrationen von Kitty Kahane, die nicht nur Bauhaus-Architektur und Bauhaus-Möbel, sondern auch die Skyline des heutigen Chicago liebevoll ins Bild setzt.
Ein Treppenhaus als Turm
Neben Mia und Lucas hat sich Autor Ingolf Kern ein weiteres Bauhaus-begeistertes Geschwisterpaar ausgedacht: Lotte und Max heißen die Protagonisten einer fünfteiligen Reihe, die im E.A. Seemann-Verlag erscheint – seit 2015 gibt es jedes Jahr ein neues Buch, allesamt illustriert. Herausgeber der Reihe ist die Stiftung Bauhaus Dessau – und so gehen Lotte und Max in drei der fünf Bänden auf Entdeckungstour in eben jener zweiten Heimatstadt des Bauhauses: Sie besichtigen die Dessauer Meisterhäuser, das Schulgebäude und die berühmten Laubenganghäuser von Hannes Meyer in der Siedlung Dessau-Törten:
"Die (…) Kinder steigen das Treppenhaus hinauf, das ihnen wie ein Turm vorkommt, der vor die eigentlichen Häuser gebaut ist. In der zweiten Etage gelangen sie in einen winzigen Eingangsflur, von dem es ins Bad und ins Wohnzimmer geht. (…) Es ist total hell, weil alle Wohnräume nach Süden gehen. Platz ist wirklich wenig, aber es gibt eine Menge praktischer Dinge (…): Einbauschränke, einen Küchentisch, der ausgeklappt werden kann, sogar Julians Bett ist in einem Schrank versteckt. Julians Papa kommt aus der Küche: ‚Damals, als das Haus gebaut wurde, war es ziemlich modern und noch günstig dazu. Hier gab es Zentralheizung, eine Toilette mit Wasserspülung und eine Badewanne aus Emaille. Das hatten damals nur wenige Menschen! Hier haben Menschen gewohnt, die nicht so viel Geld hatten, also Arbeiter und so‘, erklärt er."
Die Bücher funktionieren als Lektüre für zu Hause, eignen sich aber auch gut als Reiseführer – für neugierige Kinder, denen beim Besuch in Dessau lauter Fragen in den Kopf kommen:
"Warum hat das Bauhaus so viele Fenster? Ist das Bauhaus eigentlich gemütlich? Warum hängen die Heizkörper so weit oben an der Wand? Warum gab es mehr Männer als Frauen am Bauhaus? Warum ist Gropius' Sessel gelb? Warum sind Bauhaus-Möbel heute noch so cool? Haben die am Bauhaus auch Fußball gespielt?"
Wer putzt die Fenster?
Gute Fragen, die wohl auch manche Bauhaus-Kenner nicht aus dem Stehgreif beantworten könnten. Der erste Band der Reihe des E.A. Seemann-Verlags hingegen beantwortet sie alle. Dabei vermittelt das Buch mit dem Titel "Was ist das Bauhaus?" sowohl interessante Details und witzige Anekdoten als auch das große Ganze, die Bauhaus-Idee:
"Warum hat das Bauhaus keine Schnörkel?
– Gropius wollte Häuser bauen, die klar und schön und ganz strahlend sind. Nichts sollte davon ablenken, keine Zierleiste, keine Stuckdecke, keine Schnörkelei. Gropius sagte, dass er bauen wollte, ohne zu schwindeln. Und deshalb ließ er eben sein Haus ganz nackt und durchsichtig, ohne alle Verspieltheiten. Auf manche Leute wirkte das damals abweisend und frostig. Es gab aber auch andere, die Gropius' Ideen mutig fanden und sie verteidigten."
– Gropius wollte Häuser bauen, die klar und schön und ganz strahlend sind. Nichts sollte davon ablenken, keine Zierleiste, keine Stuckdecke, keine Schnörkelei. Gropius sagte, dass er bauen wollte, ohne zu schwindeln. Und deshalb ließ er eben sein Haus ganz nackt und durchsichtig, ohne alle Verspieltheiten. Auf manche Leute wirkte das damals abweisend und frostig. Es gab aber auch andere, die Gropius' Ideen mutig fanden und sie verteidigten."
"Wer muss eigentlich die Fenster putzen?
– Das machen heute Fensterputzer von einer professionellen Firma mit einem großen Kran. Da es hier sehr viel Glas gibt, dauert das Putzen mindestens zwei Wochen und ist auch entsprechend teuer. Deshalb werden die Scheiben auch nur einmal im Jahr geputzt."
– Das machen heute Fensterputzer von einer professionellen Firma mit einem großen Kran. Da es hier sehr viel Glas gibt, dauert das Putzen mindestens zwei Wochen und ist auch entsprechend teuer. Deshalb werden die Scheiben auch nur einmal im Jahr geputzt."
Was ist die Janusköpfigkeit der Moderne?
Einen ganz ähnlichen Titel hat der E.A. Seemann-Verlag übrigens auch für Erwachsene im Programm. Auch er sei an dieser Stelle empfohlen, denn er ist die perfekte Vorbereitung für Eltern, die auf bohrende Kinderfragen rund um's Bauhaus kompetent antworten wollen. "Das ist das Bauhaus! 50 Fragen, 50 Antworten" heißt das Buch. Es besticht schon auf den ersten Blick durch die Illustrationen von Halina Kirschner und das ansprechende Layout. Obendrein gibt der Titel fachkundig und kritisch Auskunft über das Bauhaus von A bis Z – informiert über Architektur, Design und Lebensgefühl, und thematisiert auch die schwierigen politischen Kontexte, in denen das Bauhaus entstand und wieder verschwand.
"Was ist die Janusköpfigkeit der Moderne?
– Ein Foto von Hitler auf einem Freischwinger wäre zwar eine spektakuläre, aber zu plakative Antwort. Fakt ist: Faschismus und Moderne waren 'Zeitgenossen' und haben sich natürlich gegenseitig beeinflusst. (…) Moderne, das waren Emanzipation und Befreiung, aber auch Kälte und technische Rationalität. Aus der Industriestadt Dessau kamen nicht nur die Stahlrohrmöbel des Bauhauses: In den Werken der Zucker-Raffinerie GmbH wurde auch das im Holocaust eingesetzte Zyklon B produziert, in den Junkerswerken wurden Flugzeuge für den Luftkrieg gebaut. Der Weg vom Neuen Menschen zum Herrenmenschen kann manchmal kürzer sein, als gedacht."
– Ein Foto von Hitler auf einem Freischwinger wäre zwar eine spektakuläre, aber zu plakative Antwort. Fakt ist: Faschismus und Moderne waren 'Zeitgenossen' und haben sich natürlich gegenseitig beeinflusst. (…) Moderne, das waren Emanzipation und Befreiung, aber auch Kälte und technische Rationalität. Aus der Industriestadt Dessau kamen nicht nur die Stahlrohrmöbel des Bauhauses: In den Werken der Zucker-Raffinerie GmbH wurde auch das im Holocaust eingesetzte Zyklon B produziert, in den Junkerswerken wurden Flugzeuge für den Luftkrieg gebaut. Der Weg vom Neuen Menschen zum Herrenmenschen kann manchmal kürzer sein, als gedacht."
Die meisten Kinderbücher sparen die politische Dimension des Bauhauses weitgehend aus. Leider. Denn richtig aufbereitet könnte das Bauhaus – zumindest für ältere Kinder und Jugendliche – durchaus einen guten Zugang bieten, zur Geschichte der Weimarer Republik und des Dritten Reichs.
Experimentierstube für radikale Köpfe
Das Bauhaus war ein großes Labor, eine Experimentierstube für radikale Köpfe, eine Werkstatt für Kreative aus aller Welt – und damit eigentlich ein dankbarer Aufhänger für Bastelbücher. Verwunderlich, dass nicht mehr Verlage in diesem Bauhaus-Jubiläumsjahr zum Selbermachen aufrufen. Immerhin: Der Bauhaus Universitätsverlag präsentiert Konni Kubus, ein Männchen aus geometrischen Formen in den Bauhausfarben Rot, Gelb und Blau. Konni Kubus lädt Kinder ab 8 Jahren zum Malen, Basteln und Spielen ein:
"Hallo, ich bin Konni Kubus! Alles an mir hat einfache Formen: mein Kopf, mein Bauch – sogar meine Beine! Ab jetzt führe ich euch durch das Heft. Zuerst zeige ich euch die drei Dinge, die ihr zum Malen und Basteln braucht: Farbstifte, Schere und Kleber – mehr nicht!"
Und schon kann's losgehen: Malen wie Lyonel Feininger und Paul Klee, Weben wie Anni Albers, nur mit Papierstreifen statt mit Fäden, oder eine Ballettfigur basteln, die aussieht wie die Tänzer in Oskar Schlemmers "Triadischem Ballett".
Die 1922 uraufgeführte Performance brach damals mit allen Traditionen: statt tuffiger Tutus trugen die Tänzer fantasievolle Kostüme, die fast wie Skulpturen aussahen. Ihre geometrischen Formen und frohen Farben inspirierten nun auch die schottische Illustratorin Lesley Barnes. Ihr Beitrag zum Bauhaus-Jubiläum ist wohl das Schönste, was der deutsche Kinderbuchmarkt in diesem Jahr zum Thema anbietet: Ein Pop-up-Buch voller Bauhaus-Tänzer – sie drehen, kreisen, wirbeln über die Seiten, bis zum großen Finale:
"Die Truppe verbeugt sich, der Saal ruft ‚Chapeau!‘
Der Vorhang fällt, es gibt ein letztes Hallo
Und siehst du dort, ganz hinten – oho,
die Ballon-Lady schweben – das ist das Ende der Show!"
Der Vorhang fällt, es gibt ein letztes Hallo
Und siehst du dort, ganz hinten – oho,
die Ballon-Lady schweben – das ist das Ende der Show!"
Ingolf Kern, Werner Möller: "Alles Bauhaus? Eine fantastische Zeitreise mit Mia und Lucas", Hanser Verlag, München. 80 Seiten, 15 Euro. Ab 10 Jahren. Erscheint am 23.09.2019
Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.), Ingolf Kern: "Was ist das Bauhaus?", Verlag E.A. Seemann, Leipzig. 56 Seiten, 16 Euro. Ab 8 Jahren
Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.), Ingolf Kern: "Wer wohnt in weißen Würfeln?", Verlag E.A. Seemann, Leipzig. 56 Seiten, 16 Euro. Ab 8 Jahren
Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.), Ingolf Kern: "Wie kommt das U-Boot in den Garten?", Verlag E.A. Seemann, Leipzig. Ca. 56 Seiten, 16 Euro. Ab 8 Jahren
Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.), Ingolf Kern: "Die Bauhaus-Stadt", Verlag E.A. Seemann, Leipzig. 56 Seiten, 16 Euro. Ab 8 Jahren
Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.), Ingolf Kern: "Mit dem Bauhaus um die Welt", Verlag E.A. Seemann, Leipzig. Ca. 56 Seiten, 16 Euro. Ab 8 Jahren. Erscheint am 01.10.2019
Gesine Bahr, Halina Kirschner: "Das ist das Bauhaus! 50 Fragen – 50 Antworten", Verlag E.A. Seemann, Leipzig. 192 Seiten, 19,95 Euro
Alfred Meurer, Francesco M. Vizzarri: "Bauhaus Spiel- und Bastelbuch", Bauhaus Universitätsverlag, Weimar. 40 Seiten, 16 Euro. Ab 8 Jahren
Lesley Barnes, Gabby Dawnay: "Das Bauhaus Ballett: Eine Pop-up Performance", Laurence King Verlag, Berlin. 16 Seiten, 24 Euro. Für alle Altersklassen